OGH 14Os149/10h

OGH14Os149/10h28.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Dezember 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang B***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 19. August 2010, GZ 12 Hv 110/09a-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang B***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB in der Fassung BGBl 1974/60 (I) sowie mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in A*****

(I) in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 eine unmündige Person zur Unzucht missbraucht, indem er einen Finger in die Scheide seiner am 10. Jänner 1986 geborenen Nichte Mirjam K***** einführte, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine anhaltende Depression in Form einer Dysthymie, zur Folge hatte und

(II) „seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 1988 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Winter 1989“ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er Mirjam K***** dazu veranlasste, sein erregtes Glied zu küssen und es mit beiden Händen zu umfassen (1) sowie in mehrfachen Angriffen mit seinen beiden Händen ihre Scheide oberhalb der Kleidung berührte und daran „auf- und abrieb“ (2).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 5a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Wesen und Ziel der Tatsachenrüge (Z 5a) ist es, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen. Bloß aus Erwägungen der Tatrichter abgeleitete Einwände sind ebenso wenig zur prozessordnungsgemäßen Darstellung der Rüge geeignet wie Eindrücke, Hypothesen oder Spekulationen des Rechtsmittelwerbers (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487).

Genau darin erschöpft sich aber das auf Z 5a gestützte Vorbringen, mit dem anhand eigener Beweiswerterwägungen aus den in der angefochtenen Entscheidung vollständig gewürdigten Verfahrensergebnissen für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen gezogen werden als die des Erstgerichts. Solcherart bekämpft die Beschwerde bloß unzulässig die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, es läge „eine von den Feststellungen nicht gedeckte vorgreifende Beweiswürdigung des Erstgerichts“ vor, ist ebenso wenig verständlich wie nicht erkennbar, was mit dem nicht näher präzisierten Einwand gesagt werden soll, „die Unsicherheit in der Sprache“ zeige sich schon in den Wortfolgen „in einem nicht näher bekannten Zeitraum im Jahr 1988 oder 1989“ sowie „zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt“ und „in der zweiten Jahreshälfte (?!)“.

Inwiefern die beweiswürdigenden Erwägungen zur subjektiven Tatseite, die die Tatrichter mängelfrei (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452, RIS-Justiz RS0116882, RS0098671) aus dem objektiven Täterverhalten im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung ableiteten und es auf dieser Basis für „unzweifelhaft“ hielten, dass die Handlungen des Angeklagten jeweils auch von einem entsprechenden (im Übrigen hinreichend festgestellten [US 13]) Vorsatz getragen waren (US 26), „ungenau“ sein sollen, wie der Rechtsmittelwerber „aus Gründen anwaltlicher Vorsicht“ gestützt auf Z 5 (wohl erster Fall) behauptet, ist nicht nachvollziehbar.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) leitet den Einwand von Verjährung aus einer isolierten Betrachtung der dem damit bekämpften Schuldspruch II zugrunde liegenden Taten ab, ohne dabei an der Bestimmung des § 58 StGB Maß zu nehmen und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass die Urteilsannahmen zum Tatzeitraum (US 6 und 7), jedenfalls im Zusammenhalt mit dem zu deren Verdeutlichung heranzuziehenden (RIS-Justiz RS0117247) Urteilstenor (US 2: „seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 1988 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Winter 1989“) und den Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung (US 28, wonach der Angeklagte „vor Ablauf der Verjährungsfrist die unter Punkt I des Urteilsspruchs geschilderten Tathandlungen beging“), hinreichend den - unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit maßgeblichen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) - Willen der Tatrichter zum Ausdruck bringen, Feststellungen des Inhalts zu treffen, dass zumindest ein Teil der dem Schuldspruch II zugrunde liegenden Tathandlungen bereits im Jahr 1988 begangen wurde, womit der auf derselben schädlichen Neigung beruhende, unter § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB in der Fassung BGBl 1974/60 subsumierte sexuelle Übergriff (Schuldspruch I; US 8: in der zweiten Jahreshälfte 1989), innerhalb der Verjährungsfrist der erstgenannten Taten erfolgte und hinsichtlich dieser die Verjährung nicht vor - hier noch nicht erfolgtem - Ablauf der Verjährungsfrist für die dem Schuldspruch I zugrunde liegende Tat eintreten konnte (§ 58 Abs 2 StGB).

Bei der hier aktuellen Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 207 Abs 1 und Abs 2 erster Strafsatz StGB idF BGBl 1974/60) wäre Verjährung nach der damals geltenden Rechtslage frühestens Mitte 1999 eingetreten (§ 57 Abs 3 zweiter Fall StGB in der insoweit unverändert gebliebenen Fassung BGBl 1974/60). Bereits mit 1. Oktober 1998 trat jedoch die Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der Fassung vor BGBl I 2009/40 (Art I Z 1 des StRÄG 1998 BGBl I 1998/153) in Kraft (Art V Abs 1 StRÄG 1998), wonach die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach den §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wurde (mit anderen Worten, die Frist bis zum Eintritt der Volljährigkeit des zur Tatzeit minderjährigen Opfers nicht zu laufen begann [Anlaufhemmung; E. Fuchs in WK² § 58 Rz 3]). Diese war auch auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden, sofern die Strafbarkeit - wie hier - zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war (Art V Abs 3 StRÄG 1998). Volljährigkeit hat die am 10. Jänner 1986 geborene Mirjam K***** aber erst am 10. Jänner 2004 erreicht, womit die Verjährungsfrist für die beiden Schuldsprüchen zugrunde liegenden Taten erst am 10. Jänner 2014 abgelaufen wäre.

Dass der Tatzeitraum zum Schuldspruch II nach den Urteilsannahmen erst „zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Winter 1989“ endete, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige der davon umfassten Taten nach der dem Schuldspruch I zugrunde liegenden begangen wurden, womit insoweit die Voraussetzungen des § 58 Abs 2 StGB nicht vorlägen, ändert daran nichts, weil Verjährung und damit der Wegfall einzelner - wie hier - im Sinn einer gleichartigen Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten weder den Schuldspruch noch die Subsumtion der Taten in Frage stellt (RIS-Justiz RS0116736, RIS-Justiz RS0115706; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) knüpft mit ihrem - unter der (zutreffenden) Prämisse, dass die Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB in der Fassung BGBl 1974/60 (I) „Folge eines einmaligen Geschehens war“, wogegen das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) mehrfach verwirklicht wurde, erhobenen - Einwand, wonach es „nicht einmal in der Lehre geklärt“ sei, „ob hier die Realkonkurrenz zwischen dem Grunddelikt und dem qualifizierten Fall anzunehmen ist“, eine „Feststellungsgrundlage ... daher ohnedies“ fehle, nicht an den - mehrere zeitlich nacheinander begangene, jeweils auf einem gesonderten Willensentschluss des Täters beruhende selbständige Handlungskomplexe konstatierenden - Urteilsfeststellungen an, womit sie den gerade darin gelegenen Bezugspunkt bei der Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes verfehlt.

Weshalb ausgehend von diesem Urteilssachverhalt keine echte Realkonkurrenz anzunehmen sein sollte (vgl dazu RIS-Justiz RS0120195; zur Anlastung der Erfolgsqualifikation nur bei einer Tat vgl RIS-Justiz RS0120828, Philipp in WK2 § 207 Rz 14), erklärt die Beschwerde nicht, weshalb sie auch insoweit nicht am Verfahrensrecht orientiert ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte