OGH 7Ob233/10f

OGH7Ob233/10f15.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder J***** P*****, und I***** P***** P*****, Mutter T***** M***** P*****, vertreten durch Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältin in Wien, Vater W***** P*****, vertreten durch Dr. Andrzej Remin, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. Juni 2010, GZ 48 R 139/10m, 48 R 140/10h-254, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. November 2009, GZ 7 P 252/04t-233, infolge Rekurses des Vaters teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Gemäß § 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG kann sich die Zurückweisung eines Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Die beiden ehelichen Kinder sind, ebenso wie der Vater, deutsch-polnische Doppelstaatsbürger. Die Mutter ist deutsche Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern wurde geschieden. Die Mutter lebt mit den Kindern seit November 2004 in Wien, der Vater wohnt in Hamburg.

Das Erstgericht hat der Mutter die Obsorge für beide Kinder allein übertragen und den Antrag des Vaters, die Kinder zu polnischem Kultur- und Sprachunterricht zu verpflichten, abgewiesen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidungen.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG liegt nicht vor:

Unstrittig ist deutsches Recht anzuwenden. Ein Revisionsrekurs kann auch bei Maßgeblichkeit eines fremden Rechts zulässig sein, wenn durch eine Abweichung inländischer Gerichte von gefestigter fremder Rechtsprechung und Lehre die Rechtssicherheit gefährdet wird (RIS-Justiz RS0042940). Dem Obersten Gerichtshof kommt allerdings nicht die Aufgabe zu, die Einheitlichkeit oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0042948 [T1, T10 und T12 bis T14]; RS0042940 [T2 und T3]). Der Revisionsrekurs wäre daher im Interesse der Rechtssicherheit nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht missachtet worden wäre oder Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtig gestellt werden müssten (RIS-Justiz RS0042948 [T3, T4 und T7] und RS0042940 [T1]). Letzteres wird zwar vom Revisionsrekurswerber behauptet: Die Entscheidung, der Mutter die Obsorge (in Deutschland „elterliche Sorge“ - §§ 1626 ff BGB) allein zu übertragen, weiche von Entscheidungen des Oberlandesgerichts Schleswig und des Oberlandesgerichts München ab. Dort sei in vergleichbaren Fällen ausgeführt worden, dass die Obsorgepflicht nur in Ausnahmefällen nicht beiden Elternteilen zuzuerkennen sei. Ein solcher über das Maß des Üblichen hinausgehender Ausnahmefall liege hier jedoch nicht vor.

Dem ist jedoch zu erwidern:

Nach § 1671 Abs 2 BGB ist einem (etwa - wie hier - nach Scheidung) nicht nur vorübergehend vom anderen getrennt lebenden Elternteil über seinen Antrag die Alleinsorge zu übertragen, wenn die Zustimmung des anderen Elternteils dafür vorliegt oder dies dem Kindeswohl am besten entspricht (Seibert in Palandt 68 § 1671 BGB Rn 10 mwN). Grundsätzlich ist nach deutscher Rechtsprechung und Lehre die Anordnung der Alleinsorge weder ultima ratio noch hat die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge prinzipiell Vorrang gegenüber der Einzelsorge (BVerfG-Ka FamRZ 2004, 354; BGH NJW 2000, 203). Es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dahin, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern weiterhin die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei (BGH NJW 2008, 994). Allerdings misst der deutsche Gesetzgeber einer bestehenden gemeinsamen Sorge einen hohen sozialpolitischen Wert bei (Seibert aaO Rn 16). Dies haben etwa auch das Oberlandesgericht Schleswig und das Oberlandesgericht München in den Entscheidungen 13 UF 271/98 bzw 26 UF 1502/98 + 26 UF 1659/98, auf die sich der Revisionsrekurswerber beruft, betont. Im Übrigen sind diese Entscheidungen aber mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar; vielmehr steht die Auslegung der anzuwendenden deutschen Rechtsnormen (§§ 1626 ff BGB) mit der ständigen Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs im Einklang (vgl etwa die E des BGH vom 29. 9. 1999 XII ZB 3/99 und vom 12. 12. 2007 XII ZB 158/05).

Entscheidend für die Frage der Übertragung der Obsorge ist, wie nach österreichischem Recht, allein das Kindeswohl. Ob dieses gewahrt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS-Justiz RS0007101 und RS0115719). Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit läge daher ein tauglicher Grund für die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung, der Mutter die Obsorge alleine zu übertragen, nur dann vor, wenn das Rekursgericht die (deutsche) Rechtslage derart verkannt hätte, dass eine Korrektur seiner Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof im Interesse des Kindeswohls erforderlich wäre. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat sich die Mutter, nachdem sie vom Vater beschimpft und verletzt worden war, bereits vor rund sieben Jahren von diesem getrennt. Die Kinder werden seither von der Mutter alleine erzogen und versorgt. Zwischen Mutter und Kindern besteht eine liebevolle, fürsorgliche Beziehung, während die Kinder dem Vater entfremdet sind (seit dem Auszug im Jahr 2003 fanden lediglich fünf Kontakte des Vaters mit den Kindern statt). Die Mutter wurde im April 2007 von den Sicherheitsbehörden vom Verdacht in Kenntnis gesetzt, dass sich der Vater an eine kriminelle Organisation in Polen gewandt habe, um die Kinder aus Österreich zu entführen. Zwischen den Eltern gibt es keinerlei Gesprächsbasis mehr; irgendeine Art der Übereinstimmung in der Frage der Betreuung und der Erziehung der Kinder besteht nicht. Ein Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit der Eltern muss verneint werden. Dies wurde zunächst wohl vom Vater auch selbst erkannt, der ursprünglich seinerseits die Übertragung der Alleinsorge an ihn beantragt hat. Hinsichtlich der Übertragung der Obsorge ist demnach kein tauglicher Grund für die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Rekursgerichts gegeben.

Den Antrag, die Kinder zu polnischem Kultur- und Sprachunterricht zu verpflichten, haben die Vorinstanzen mit der Begründung abgewiesen, weder dem deutschen noch dem österreichischen Recht sei eine Bestimmung zu entnehmen, wonach einem nicht obsorgeberechtigten Elternteil die Befugnis zukomme, die Kinder zu einer bestimmten Ausbildung zu verpflichten. Dem hält der Vater lediglich entgegen, es könne ihm im Hinblick darauf, dass die Kinder neben der deutschen auch die polnische Staatsangehörigkeit besäßen, nicht verweigert werden, dass seine Kinder weiter die polnische Sprache erlernten und eine entsprechende kulturelle Ausbildung fortgeführt werde. Ein Vorbringen, das den Einwand der Mutter, den Kindern sei eine zusätzliche Lernanforderung derzeit nicht zumutbar, entkräften könnte, hat der Vater nicht erstattet. Da die dem Obsorgeberechtigten obliegende Entscheidung, welche Ausbildung der Förderung der Entwicklung und Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, kurz dem Kindeswohl, am besten entspricht, nur einzelfallbezogen beantwortet werden kann, ist auch diese Frage grundsätzlich nicht revisibel. Eine Fehlbeurteilung, die im Interesse des Kindeswohls einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, liegt auch in diesem Zusammenhang nicht vor.

Mangels einer erheblichen Rechtsfrage ist der Revisionsrekurs daher als unzulässig zurückzuweisen.

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