OGH 1Ob185/10b

OGH1Ob185/10b23.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** V*****, vertreten durch Dr. Ihor-Andrij Maritczak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** T***** P*****, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.280,81 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. April 2010, GZ 36 R 44/10b-38, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2010, GZ 36 R 44/10b-45, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 18. November 2009, GZ 11 C 25/08i-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin und der Beklagte führten eine Lebensgemeinschaft. Im März 2001 zogen sie mit dem 1998 geborenen gemeinsamen Kind in eine Wohnung des Beklagten ein. Sofern der Beklagte in Wien war, hielt er sich in dieser Wohnung auf. Im Herbst 2001 traten in der Beziehung der Streitteile Probleme auf. Im Dezember 2001 beauftragte der Beklagte einen Rechtsanwalt mit der Erstellung eines Vertragsentwurfs über die Schenkung seiner nur der Zusage der Begründung von Wohnungseigentum verbundenen Liegenschaftsanteile an die Klägerin. Da es für den Beklagten wichtig war, immer in der Wohnung ein- und ausgehen zu können und deren Verwaltung innezuhaben, sollte Bedingung der Schenkung die Einräumung eines Fruchtgenussrechts an der Wohnung sein. Im Gegenzug dazu war der Beklagte bereit, sämtliche Auslagen für die Wohnung zu tragen. Am 29. Jänner 2002 schlossen die Streitteile einen notariellen Schenkungsvertrag, nach dessen Punkt 4 sich der Beklagte das lebenslängliche unentgeltliche Fruchtgenussrecht sowie das Recht der Verwaltung an den geschenkten Liegenschaftsanteilen vorbehielt und sich „auf Bestand seines Fruchtgenussrechts“ verpflichtete, weiterhin sämtliche Steuern, Abgaben und Lasten sowie Betriebskosten, Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten für die schenkungsgegenständlichen Liegenschaftsanteile zu tragen. Über die Benutzung der geschenkten Liegenschaftsanteile samt dem damit untrennbar verbundenen Wohnungseigentum wurde vereinbart, dass die Klägerin die Wohnung gemeinsam mit ihrem Sohn persönlich uneingeschränkt zu nutzen berechtigt sei, wobei dem Beklagten als Fruchtnießer gleichermaßen ein jederzeitiges Benutzungsrecht zustehen sollte; die Klägerin verzichtete unwiderruflich - aus welchem Titel auch immer - auf den Widerruf dieses Fruchtgenussrechts.

Weder im Vorfeld noch bei Vertragserrichtung war zwischen den Streitteilen thematisiert worden, was im Falle der Beendigung der Lebensgemeinschaft gelten sollte. Es war auch nicht darüber gesprochen worden, ob die Verpflichtung des Beklagten zur Tragung der Auslagen für die Wohnung nur so lange bestehen sollte, so lange er die Wohnung auch tatsächlich benützt.

Im Jahr 2005 wurde die Lebensgemeinschaft endgültig beendet. Der Beklagte bezahlte vorerst weiterhin die auf die Wohnung entfallenden Betriebskosten, obwohl er in der Wohnung nicht mehr übernachtete, sondern sich nur mehr fallweise dort aufhielt. Aufgrund von zwischen den Streitteilen anhängigen Gerichtsverfahren und Streitigkeiten - auch im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts des Beklagten zu seinem Kind - ereigneten sich verschiedene Vorfälle. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass dem Beklagten die Ausübung seines Fruchtgenussrechts von der Klägerin erheblich erschwert oder unmöglich gemacht wurde.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Ersatz für die von Juli 2007 bis März 2008 nicht beglichenen Betriebskosten und für Instandhaltungs- und Reparaturkosten in Höhe von 5.280,81 EUR sA. Sie stützt sich dabei auf Punkt 4 des Schenkungsvertrags.

Der Beklagte wendet zusammengefasst ein, seine im Schenkungsvertrag festgelegte Verpflichtung zur Kostentragung setze voraus, dass er sein Fruchtgenussrecht in Anspruch nehmen könne. Seit dem Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs durch die Klägerin verwehre ihm diese aber die Ausübung seines Fruchtgenussrechts, sodass ihm die Nutzung der Wohnung unmöglich sei. Er sei deshalb nicht mehr verpflichtet, die Wohnungskosten zu tragen. Punkt 4 des Schenkungsvertrags sei so zu verstehen, dass die Klägerin und der gemeinsame Sohn die Wohnung nur so lange benutzen dürften, so lange die Lebensgemeinschaft aufrecht sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Schon aus dem Wortlaut des Schenkungsvertrags ergebe sich, dass die Verpflichtung des Beklagten zur Tragung der Wohnungskosten nicht davon abhänge, dass er sein Fruchtgenussrecht ausübe. Dass die Klägerin ihm die Ausübung dieses Rechts unmöglich gemacht habe, sei nicht festgestellt.

Das Berufungsgericht bestätigte die klagestattgebende Entscheidung des Erstgerichts im Umfang von 4.029,55 EUR sA; im Übrigen hob es das Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Infolge Antrags des Klägers nach § 508 ZPO ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision gegen das Teilurteil mit der Begründung zu, es bestehe keine oberstgerichtliche Judikatur zu der Frage, ob und inwieweit neben einem dinglichen uneingeschränkten Fruchtgenussrecht an einer Wohnung ein uneingeschränktes obligatorisches Wohnrecht des Eigentümers der Wohnung bestehen könne; weiters fehle es an Rechtsprechung dazu, ob bzw in welchem rechtlichen Verhältnis diese beiden Rechte zueinander stünden, wenn deren uneingeschränkte Ausübung nicht gleichzeitig erfolgen könne. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, Punkt 4 des Schenkungsvertrags sei keineswegs so auszulegen, dass das Wohnrecht der Klägerin und die Kostentragungspflicht des Beklagten auf die Zeit des Bestehens der Lebensgemeinschaft eingeschränkt sein sollte. Wäre dies vom Beklagten so gewollt gewesen, hätte er als Geschäftsmann mit Sicherheit darauf gedrungen, dass der in seinem Auftrag den Vertragsentwurf erstellende Rechtsanwalt eine entsprechende Befristung in den Vertrag aufnimmt, zumal zum Zeitpunkt der Vertragserrichtung bereits das Ende der Lebensgemeinschaft absehbar gewesen sei. Die Schenkung sei primär aus dem Bestreben des Beklagten erfolgt, seinen Sohn finanziell abzusichern. Die Einräumung des Rechts auf uneingeschränkte Nutzung der Wohnung gegenüber der Klägerin und dem gemeinsamen Sohn bewirke die Beschränkung des Fruchtgenussrechts des Beklagten nur insoweit, als er aus der Wohnung nicht anderweitige Erträge (etwa durch Vermietung) erzielen könne. Die Ausübung seines Fruchtgenussrechts durch persönliche Nutzung der Wohnung sei dem Beklagten auch nach Beendigung der Lebensgemeinschaft offen gestanden; Gegenteiliges sei nicht feststellbar gewesen. Hinsichtlich der im Klagebetrag enthaltenen 1.153,26 EUR an Reparatur- und Instandhaltungskosten sei noch zu klären, ob diese unter die in Punkt 4 des Schenkungsvertrags aufgezählten vom Beklagten zu tragenden Kosten fallen hätten sollen.

Die gegen das Teilurteil gerichtete Revision des Klägers, mit der er die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Es entspricht einhelliger Rechtsprechung, dass der Fruchtnießer sein von Gesetzes wegen umfassendes dingliches Recht, die fremde Sache ohne jede Einschränkung, aber unter Schonung der Substanz zu gebrauchen, jedenfalls der Ausübung nach mit dinglicher oder obligatorischer Wirkung an einen anderen übertragen kann, und zwar sowohl hinsichtlich eines realen als auch eines ideellen Teils der Sache (RIS-Justiz RS0011626; RS0011715). „Anderer“ kann auch der Eigentümer der mit dem Fruchtgenussrecht belasteten Liegenschaft sein (5 Ob 106/09p; 5 Ob 193/02x = NZ 2003/559, 185 [Hoyer]; 7 Ob 513/85). Von dieser Rechtsprechung weicht die Beurteilung der Vorinstanzen nicht ab. Der Beklagte hat sein Fruchtgenussrecht lediglich mit obligatorischer Wirkung der Ausübung nach an die Klägerin (als Eigentümerin) übertragen. Eine Unvereinbarkeit dinglicher Rechte, deren Ausübung miteinander im Widerspruch stünde, ist nicht gegeben. Im Hinblick darauf ist die Rechtsprechung nicht einschlägig, nach der ein auf der ganzen Liegenschaft haftendes bzw alle Nutzungen der Liegenschaft erfassendes dingliches Fruchtgenussrecht wegen der Möglichkeit von Gebrauchsüberschneidungen die Eintragung eines weiteren (dinglichen) Fruchtgenussrechts oder dinglichen Wohnrechts verhindert (RIS-Justiz RS0016305). Da dem der Ausübung nach übertragenen Nutzungsrecht wie einem Wohnungsrecht kein gesetzlich definierter Umfang zukommt (9 Ob 97/03k = wobl 2004, 126 [krit Call]), kann jedenfalls nicht von vornherein gesagt werden, es stehe dem Fruchtgenussrecht entgegen.

2. Überträgt der Fruchtgenussberechtigte der Ausübung nach seine Rechte (ganz oder teilweise) an den Eigentümer der mit dem Fruchtgenussrecht belasteten Liegenschaft, stellt sich idR aber die Auslegungsfrage nach einem (teilweisen) Verzicht des Fruchtgenussberechtigten auf seine Dienstbarkeit (§ 1444 ABGB; 5 Ob 193/02x; RIS-Justiz RS0012152). Die Aufteilung der Nutzungsrechte kann aber von den Parteien ausdrücklich auch so festgelegt werden, dass die dem Wohnrecht zuzuführenden Teile der Wohnung (etwa ein oder mehrere Räume) vom Fruchtgenussrecht ausgenommen werden. Im vorliegenden Fall haben die Streitteile im Schenkungsvertrag, in dem zugleich das Fruchtgenussrecht eingeräumt wurde, demgegenüber eine Regelung dahin getroffen, dass die Klägerin die Wohnung gemeinsam mit ihrem Sohn uneingeschränkt nutzen darf, wobei dem Beklagten „gleichermaßen ein jederzeitiges Benutzungsrecht“ zustehen soll. Da Punkt 4 des Schenkungsvertrags keine allgemein gebrauchte Vertragsbestimmung ist und sie deshalb nicht für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsam ist, könnte ihrer Auslegung nur dann Relevanz iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommen, wenn die Auslegung durch das Berufungsgericht bestehenden Auslegungsregeln widerspräche, unlogisch oder mit den Sprachregeln unvereinbar wäre (RIS-Justiz RS0042871 [T 5]). Die Beurteilung, Punkt 4 des Schenkungsvertrags sei dahin auszulegen, dass die den Streitteilen zukommenden Nutzungsrechte grundsätzlich auch nach Beendigung der Lebensgemeinschaft nebeneinander bestehen können und das Nutzungsrecht der Klägerin und des Kindes sowie die den Beklagten treffende Kostentragungspflicht nicht auf die Zeit des Bestehens der Lebensgemeinschaft beschränkt sein, sondern - zum Zweck der Wohnversorgung des Kindes - darüber hinaus reichen soll, stellt jedenfalls kein in wesentlicher Verkennung der Rechtslage erzieltes unvertretbares Auslegungsergebnis dar (RIS-Justiz RS0042936). Die Annahme, die gemeinsame Nutzung der Wohnung sei nur während aufrechter Lebensgemeinschaft „denkmöglich“, findet im festgestellten Sachverhalt keine Grundlage. Wie sich aus den zum Zeitraum vor Beendigung der Lebensgemeinschaft getroffenen Feststellungen ableiten lässt, ist die (einige Räume umfassende) Wohnung für eine Benutzung durch drei Personen grundsätzlich geeignet. Dass der Beklagte sein Fruchtgenussrecht im Hinblick auf die nach Beendigung der Lebensgemeinschaft anhängigen gerichtlichen Auseinandersetzungen derzeit nicht in dem von ihm gewünschten Umfang bzw Ausmaß wahrnimmt, kann bei der Auslegung der fraglichen Vertragsbestimmung nicht maßgeblich sein.

3. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachenfeststellungen hat die Klägerin dem Beklagten die Ausübung seines Fruchtgenussrechts an der Wohnung nicht verwehrt. Soweit der Revisionswerber dennoch die Tatsachenfeststellungen kritisiert, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Entscheidung über eine Beweisrüge, mit der sich das Berufungsgericht auseinandergesetzt hat, im Rahmen der Revision nicht mehr bekämpfbar ist (RIS-Justiz RS0043371 [T21]). Nur wenn feststünde, aus dem Verhalten der Klägerin sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abzuleiten, der Beklagte werde in Zukunft an der Ausübung seines Fruchtgenussrechts gänzlich gehindert sein, wäre dauernde Unmöglichkeit der Ausübung des Fruchtgenussrechts anzunehmen.

Da weder den vom Berufungsgericht noch den vom Revisionswerber aufgezeigten Rechtsfragen die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zukommt, war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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