OGH 8Ob10/10v

OGH8Ob10/10v23.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Dr. Georg-Christian Gass und Dr. Alexander M. Sutter, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei H***** G*****, vertreten durch Dr. Hermann Kogler, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Feststellung (Streitwert 4.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 4.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2009, GZ 1 R 279/09k-17, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 30. Juli 2009, GZ 2 C 380/09s-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Klagebegehren,

1. Es werde zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass der Beklagte als Berechtigter des ihm mit Notariatsvertrag vom 12. 12. 1986 auf Lebenszeit im Haus *****, unentgeltlich eingeräumten Wohnungsrechts in sämtlichen Räumen im Parterre dieses Hauses, es sind dies eine Küche, drei Zimmer, Bad und WC und dem damit verbundenen Recht auf Mitbenützung des Vorraumes, des Kellers, des Dachbodens, des Nebengebäudes, des Gartens und Gemüsegartens, gegenüber der klagenden Partei als Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB ***** mit dem darauf befindlichen Wohnhaus ***** und seinen Rechtsnachfolgern im Eigentum dieser Liegenschaft nicht berechtigt ist, das dem Beklagten auf dessen Lebenszeit im vorerwähnten Haus unentgeltlich eingeräumte Wohnrecht in den zuvor näher bezeichneten Räumen im Parterre des genannten Hauses, durch Aufnahme seiner Schwiegermutter als dritte Person in die Wohnung zu erweitern;

2. die beklagte Partei ist gegenüber der klagenden Partei schuldig, ab sofort bei sonstiger Exekution die Erweiterung des ihm im Haus *****, eingeräumten Wohnrechts an den im Punkt 1. des Urteilsspruchs näher bezeichneten Räumen und Liegenschaftsteilen durch Aufnahme seiner Schwiegermutter zu unterlassen und Sorge zu tragen, dass seine Schwiegermutter die im Punkt 1. des Urteilsspruchs näher bezeichnete Wohnung binnen 14 Tagen räumt,

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.196,46 EUR (darin 366,08 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.045,20 EUR (darin 304,20 EUR USt und 2.220 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer der im Spruch genannten Liegenschaft samt dem darauf befindlichen Wohnhaus. Die Liegenschaft wurde ihm von seinem Großvater mit Notariatsakt vom 12. 12. 1986 in das Eigentum übertragen. In diesem Notariatsakt räumte der Kläger seinem Vater, dem Beklagten, auf dessen Lebenszeit in diesem Haus das unentgeltliche und grundbücherlich sichergestellte Wohnungsrecht an sämtlichen Räumen im Parterre des Hauses (in weiterer Folge: Parterrewohnung) sowie ein Mitbenützungsrecht an bestimmten Räumen ein. In Punkt 11. dieses Notariatsakts wurde vereinbart:

„Unbeschadet der bezüglichen Vereinbarungen im Punkt Zweitens und Siebentens wird zusätzlich vereinbart, dass sämtliche Hauslasten solange, als das Wohnungsrecht von ihnen ausgeübt wird, die Übergeber beziehungsweise [… der Beklagte ...] oder dessen sonstige Wohnungsbenützer jeweils zur Hälfte zu tragen haben.“

Die damalige Ehegattin des Beklagten und Mutter des Klägers wohnte mit dem Beklagten und dem Kläger im Zeitpunkt der Errichtung des Notariatsakts in der Wohnung. Mit einem Nachtrag zu diesem Notariatsakt, einem weiteren Notariatsakt vom 5. 4. 1991, wurde auch der Mutter des Klägers ein Wohnungsrecht auf Lebenszeit an der Parterrewohnung eingeräumt, das sie gemeinsam mit dem Beklagten ausüben sollte. Im Fall dessen Vorablebens sollte es ihr uneingeschränkt und allein zustehen.

Der Beklagte nahm im November 2004 die 1915 geborene Mutter seiner nunmehrigen Gattin in die vom Wohnungsrecht umfassten Räumlichkeiten auf. Sie hätte dort ursprünglich nur drei Monate bleiben sollen, erlitt jedoch im Dezember 2004 einen Oberschenkelhalsbruch und in weiterer Folge eine Lungenentzündung sowie zwei Herzinfarkte. Im Jahr 2005 erhielt sie einen Herzschrittmacher. Ihr wurde ab 1. 8. 2006 Pflegegeld der Stufe 4 zuerkannt. Nach einem Schlaganfall befand sie sich zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorübergehend im Krankenhaus. Der Kläger erfuhr im September oder Oktober 2008 davon, dass der Beklagte seine Schwiegermutter nicht nur im Zuge eines vorübergehenden Besuchs aufgenommen hatte. Der Beklagte holte keine Zustimmung des Klägers zu einer dauerhaften Aufnahme seiner Schwiegermutter ein.

Die Schwiegermutter des Beklagten wurde von der nunmehrigen Gattin des Beklagten in der Parterrewohnung gepflegt, bevor sie ins Krankenhaus kam. Die nunmehrige Gattin des Beklagten ist seit dem Jahr 2000 Eigentümerin einer Liegenschaft in derselben Gemeinde. Sie begann im Jahr 2002 mit der Errichtung eines Wohnhauses auf dieser Liegenschaft. Dieses Wohnhaus ist noch nicht vollständig fertiggestellt. Es fehlen Arbeiten beim Eingang, Türen im Inneren des Hauses sowie Malerarbeiten im Parterre. Das Haus ist mit Ausnahme dieser Arbeiten bezugsfertig; es verfügt über ein angeschlossenes WC, einen SAT-Anschluss und eine Hauseingangstür. Eine endgültige Fertigstellung dieses Hauses war für Herbst 2009 geplant [Anm.: Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz: 22. 6. 2009]. Der Beklagte will seine Schwiegermutter nach ihrer Entlassung aus dem Spital zunächst wiederum in der Parterrewohnung aufnehmen. Er verfügt über keine eigene Liegenschaft. Nach der Fertigstellung des Hauses plant der Beklagte, gemeinsam mit seiner Gattin und seiner Schwiegermutter in dieses Haus zu übersiedeln.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, das ihm eingeräumte Wohnungsrecht durch Aufnahme seiner Schwiegermutter als dritte Person in die Wohnung zu erweitern. Er begehrt ferner, dass der Beklagte die Ausübung des Wohnungsrechts durch Aufnahme seiner Schwiegermutter zu unterlassen und dafür Sorge zu tragen habe, dass sie die Wohnung räume. Der Kläger habe einer Erweiterung des Wohnungsrechts durch Aufnahme der Schwiegermutter des Beklagten nie zugestimmt, diese sei unzulässig.

Der Beklagte wandte dagegen ein, dass er sittlich und moralisch zur Pflege seiner Schwiegermutter verpflichtet sei. Die Pflege sei ihm nur in den vom Wohnungsrecht umfassten Räumlichkeiten möglich, sie könne nicht untersagt werden. Im Notariatsakt vom 12. 12. 1986 sei vorgesehen, dass der Beklagte „oder dessen sonstige Wohnungsbenützer“ die Hälfte der Hauslasten zu tragen habe; auch daraus folge, dass der Beklagte berechtigt sei, Mitbewohner in die vom Wohnungsrecht umfassten Wohnräume aufzunehmen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte rechtlich aus, dass beim Wohnungsgebrauchsrecht eine Wohnung oder ein Hausteil bloß zum Bedürfnis des Berechtigten überlassen werde. Eine mehr als bloß vorübergehende Aufnahme Dritter sei nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Der Personenkreis, den der Berechtigte in die Wohnung aufnehmen dürfe, sei entsprechend dem allgemeinen Grundsatz über die schonende Ausübung der Dienstbarkeiten sehr eng zu halten. Eine rechtliche Verpflichtung des Beklagten, seine Schwiegermutter zu pflegen, bestehe nicht. Dazu sei etwa seine Ehegattin als Tochter verpflichtet, die über ein bereits bewohnbares Wohnhaus in derselben Gemeinde verfüge. Schon mangels direkter Verwandtschaft sei der Beklagte nicht berechtigt, seine Schwiegermutter dauerhaft in die vom Wohnungsrecht umfassten Räume aufzunehmen. Ein solches Recht ergebe sich auch nicht aus den in den beiden Notariatsakten beurkundeten Vereinbarungen der Parteien. Weil der Beklagte weiterhin den Standpunkt vertrete, seine Schwiegermutter in der Parterrewohnung zu pflegen, liege auch Wiederholungsgefahr vor, weshalb das Unterlassungsbegehren berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil nicht Folge. Die Verpflichtung zur schonenden Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts gemäß § 484 ABGB sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Mit den Worten „zu seinem Bedürfnisse“ in § 521 Satz 1 ABGB werde nicht ausgedrückt, dass es den Berechtigten frei stehen solle, ohne Beschränkung zu bestimmen, wie weit seine Bedürfnisse an der Benützung der Wohnung jeweils reichen. Zwar erachte die Rechtsprechung die Aufnahme von Familienangehörigen im Fall von Krankheit, Altersschwäche und dergleichen als zulässig. Dieses Aufnahmerecht sei aber auf mit dem Wohnungsberechtigten verwandte Personen zu beschränken, damit es nicht zu einer zu weiten Ausdehnung des betroffenen Personenkreises komme. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Beklagten und seiner Schwiegermutter bestehe jedoch nicht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Wohnungsberechtigter befugt sei, nicht nur verwandte Familienangehörige, sondern auch verschwägerte Personen bei sich aufzunehmen, wenn diese pflegebedürftig seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung die Zurück-, hilfsweise die Abweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Zwischen den Streitteilen ist nicht strittig, dass ein Wohnungsgebrauchsrecht iSd § 504 ABGB, nicht aber ein Fruchtgenussrecht iSd § 509 ABGB vereinbart wurde. Das Wohnungsgebrauchsrecht umfasst nur das Recht, die Wohnung zum persönlichen Gebrauch zu benützen (RIS-Justiz RS0011821). Sein Umfang ergibt sich gemäß den §§ 504, 521 ABGB aus den jeweiligen Bedürfnissen des Berechtigten. Mit den in § 504 ABGB enthaltenen Worten „zu seinem Bedürfnisse“ wird nicht ausgedrückt, dass es dem Servitutsberechtigten freistehen solle, ohne Beschränkung zu bestimmen, wie weit seine Bedürfnisse an der Benützung der Wohnung jeweils reichen. Er hat also nicht das Recht, die Wohnung in jeder nur denkbaren, ihm dienlichen Richtung auszunützen (1 Ob 848/51 = SZ 24/337). Die in § 504 ABGB enthaltenen Worte „bloß zu seinem Bedürfnisse“ bedeuten vielmehr eine Begrenzung der Rechte aus der Dienstbarkeit in dem Sinn, dass die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten nach einem allgemeineren, nicht rein subjektiven Maßstab festzustellen sind (3 Ob 681/80; § 505 ABGB spricht vom „angemessenen Nutzen“). Wie jede Dienstbarkeit ist gemäß § 484 ABGB auch das Wohnungsrecht möglichst schonend auszuüben (4 Ob 186/00g; RIS-Justiz RS0011757).

2. Die Frage, ob der Gebrauchsberechtigte auch dritte Personen in die Wohnung aufnehmen darf, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0011776; Kiendl-Wendner in Schwimann, ABGB³ § 521 Rz 10). Nach der Rechtsprechung kann eine Erweiterung des Wohnungsrechts der berechtigten Personen durch Aufnahme hinzugekommener Familienangehöriger (zum Lebensgefährten vgl 2 Ob 519/84; 7 Ob 545/91 = SZ 64/106) oder einer Pflege- oder Dienstperson bei natürlichen und gewöhnlichen Ereignissen im Hauswesen, wie Krankheit, Altersschwäche, Vermehrung der Familie und dergleichen gestattet werden (RIS-Justiz RS0011848). Der davon betroffene Personenkreis ist jedoch sehr eng zu halten (RIS-Justiz RS0011776 [T1]).

3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Aufnahme der - unstrittig pflegebedürftigen - Schwiegermutter des Beklagten schon deshalb nicht vom Wohnungsrecht umfasst sei, weil der Beklagte nicht mit ihr verwandt sei, kann in dieser Allgemeinheit nicht geteilt werden. Der Umfang des Wohnungsrechts hat sich vielmehr, wie bereits ausgeführt, an den Bedürfnissen des Berechtigten zu orientieren. So müssen etwa aus gerechtfertigten Gründen vom Wohnungsberechtigten in die Wohnung aufgenommene Pflege- oder Dienstpersonen schon begrifflich nicht unbedingt mit ihm verwandt sein (vgl SZ 24/337). Auch wurde bereits ausgesprochen, dass eine gebrechliche und hilfsbedürftige 75-jährige Wohnungsberechtigte nicht nur ihre Schwester als Pflegeperson, sondern auch deren Ehegatten bei sich aufnehmen darf (1 Ob 286/56 = JBl 1957, 187). Als nicht unzulässige Erweiterung des Wohnungsrechts wurde auch die Aufnahme der Stiefmutter eines unmündigen Wohnungsberechtigten zu dessen Obsorge angesehen (Klang in Klang² II 599).

4. An den nunmehr eingetretenen Fall, dass der Beklagte wiederum heiratet und die Mutter seiner nunmehrigen Frau zu sich in Pflege nimmt, haben die Parteien des Übergabsvertrags offensichtlich nicht gedacht. Nach dem Vorbringen des Klägers räumte dieser dem Beklagten das Wohnungsrecht als Gegenleistung dafür ein, dass ihm das Haus vom Großvater übertragen wurde. Aus dem Zweck des Übergabsvertrags ergibt sich, dass der Beklagte (wie auch die Mutter des Klägers) durch die Einräumung des Wohnungsrechts auf Dauer vor Obdachlosigkeit geschützt werden sollte. Nicht geht aus dem Übergabsvertrag hingegen hervor, dass andere Personen - insbesondere solche, an die bei der Errichtung des Vertrags nicht gedacht wurde - von der Benützung der Wohnung ausgeschlossen werden sollten. Insbesondere sollte dem Beklagten die Befriedigung seines Wohnbedürfnisses auf eine Art ermöglicht werden, wie sie den üblichen Verhältnissen entspricht (vgl zu einer ähnlichen Konstellation 2 Ob 519/84 = EFSlg 45.948 und 45.949 = MietSlg 36.038 [Aufnahme eines Lebensgefährten]).

5. Die Aufnahme der hochbetagten und pflegebedürftigen Mutter der eigenen Gattin dient im konkreten Fall durchaus der Befriedigung von Wohnbedürfnissen einer Art, wie sie den üblichen Verhältnissen entspricht. Auf eine familienrechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Aufnahme der Schwiegermutter kommt es dabei nicht an. Die Aufnahme der Mutter der eigenen Gattin zur Pflege stellt jedenfalls einen Vorgang des natürlichen Lebens dar; mit ihm ist nach den Verfahrensergebnissen im konkreten Fall weder eine räumliche Ausdehnung des Wohnungsrechts noch sonst eine ungebührliche Beschränkung des belasteten Klägers iSd § 484 ABGB verbunden (Hofmann in Rummel³ § 521 Rz 4). Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass der Beklagte nach den Feststellungen ohnedies beabsichtigt, gemeinsam mit seiner Gattin und seiner Schwiegermutter in das unmittelbar vor der Fertigstellung stehende Haus seiner Gattin in derselben Gemeinde zu übersiedeln.

6. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klageabweisung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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