OGH 3Ob120/10h

OGH3Ob120/10h13.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei DI K***** L*****, vertreten durch Gabler Gibel & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unzulässigkeit der Exekution (§ 36 EO), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2010, GZ 38 R 99/09d-69, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. März 2009, GZ 44 C 635/06v, 695/06t und 749/06h-56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte war Mieter einer Wohnung im Haus der Klägerin.

Die zuständige Baubehörde erteilte der Klägerin mit Bescheid vom 24. Februar 2005 den Auftrag, das Gebäude, in dem sich das Mietobjekt befand, binnen sechs Monaten nach Rechtskraft des Bescheids zu räumen und nach erfolgter Räumung abtragen zu lassen, und hob das aus der Bau- und Benützungsbewilligung erfließende Recht auf konsensgemäße Benützung auf.

Da die Klägerin den Beklagten nicht zur Räumung der Wohnung bewegen konnte, klagte sie ihn, gestützt auf § 1112 ABGB (Untergang der Bestandsache), auf Räumung. Der Klage wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 24. November 2005 stattgegeben; die Klägerin erhob rechtzeitig Berufung; das Urteil erwuchs erst nach Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 25. Juni 2007, AZ 9 Ob 96/06t, in Rechtskraft.

Da die Klägerin innerhalb der von der Baubehörde gesetzten Frist dem Abbruchauftrag nicht nachkam, setzte die Baubehörde mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 eine weitere Frist von sechzehn Wochen zur Erfüllung des Abbruchauftrags und drohte für den Fall der Nichterfüllung eine Zwangsstrafe von 500 EUR an (Fristablauf 13. April 2006).

Am 11. April 2006 fand ein Lokalaugenschein der Baubehörde statt. Da sich der Zustand des Gebäudes verschlechtert hatte, verhängte das Büro für Sofortmaßnahmen ein Betretungsverbot. Der Beklagte wurde aufgefordert seine Wohnung zu räumen. Die Baubehörde trug der Klägerin auf, die Umgebung des Hauses abzusichern, damit keine Gefährdung für Personen und Sachen entstehen könnte. Das Eingangstor zum Haus wurde versperrt; die Klägerin erhielt einen Schlüssel, einer blieb bei der Baubehörde, der Beklagte erhielt keinen. Er nahm die notwendigsten Dinge mit und verließ das Haus. Noch am 11. April 2006 sicherte ein von der Klägerin beauftragtes Unternehmen die Umgebung des Hauses mit Containern ab.

In der Folge erteilte die Klägerin einem Abbruchunternehmen den Auftrag, Vorbereitungsmaßnahmen zum Abbruch vorzunehmen. In der Wohnung des Beklagten wurden sämtliche Fenster und Türen entfernt, ebenso die Wohnungseingangstür.

Der Beklagte brachte daraufhin eine Besitzstörungsklage gegen die Klägerin und ein von der Klägerin beauftragtes Bauunternehmen ein.

Am 24. Mai 2006 erließ das Erstgericht eine einstweilige Vorkehrung, wonach (unter anderem) der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Räumungsverfahrens verboten wurde, Abbrucharbeiten vorzunehmen sowie das Bestandobjekt zu beseitigen, zu beeinträchtigen oder in sonstiger Form zu verändern.

Trotz Erlassung dieser einstweiligen Vorkehrung erfolgten im Zeitraum vom 27. bis 29. Juli 2006 weitere Abbrucharbeiten im Auftrag der Klägerin. Der Beklagte führte daraufhin Exekution gegen die Klägerin. Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 3. August 2006 die Exekution und verhängte wegen des Zuwiderhandelns gegen den Abbruchstopp vom 27. bis 29. Juli 2006 eine Geldstrafe von 10.000 EUR.

In der Zeit zwischen 4. und 8. August 2006 führte die Auftragnehmerin der Klägerin weitere Abbrucharbeiten durch. Sie trug das oberste Geschoß des Hauses in der Breite von zwei Fensterachsen ab. Sie entfernte auch Betonträger und andere instabile Teile der Dachkonstruktion. Daraufhin beantragte der Beklagte abermals die Exekution. Mit Beschluss vom 4. September 2006 verhängte das Erstgericht neuerlich eine Geldstrafe über die Klägerin (15.000 EUR).

In weiterer Folge kam es zwischen der Auftragnehmerin der Klägerin und dieser selbst zu Meinungsverschiedenheiten. Die Klägerin entzog dem Abbruchunternehmen den Auftrag. Dieses arbeitete jedoch am 4. und 5. September 2006 weiter, trug die Decke zwischen dem dritten und dem zweiten Obergeschoß im Bereich der ursprünglichen Wohnung des Beklagten ab und trug außerdem Mauerwerk zwischen dem ganz rechts gelegenen Fenstern des zweiten Obergeschoßes ab. Das nahm der Beklagte neuerlich zum Anlass eines Strafantrags. Mit Beschluss vom 12. September 2006 verhängte das Erstgericht über die Klägerin eine weitere Geldstrafe von 20.000 EUR.

Nach dem September 2006 wurden die Abbrucharbeiten für längere Zeit eingestellt.

Am 22. Mai 2007 erließ die Baubehörde einen Bescheid über die Vorauszahlung der Kosten einer Ersatzvornahme und trug der Klägerin auf, 150.000 EUR für die Ersatzvornahme vorauszuzahlen.

Bis November 2008 war das Haus zur Gänze abgetragen; ein weiteres Zuwiderhandeln gegen die einstweilige Vorkehrung vom 24. Mai 2006 ist daher nicht mehr möglich.

Die Klägerin begehrte, die aufgrund der einstweiligen Vorkehrung vom 24. Mai 2006 geführte Exekution für unzulässig zu erklären und die genannten Strafbeschlüsse aufzuheben. Sie habe die im Exekutionsantrag angeführten Handlungen gegen den Exekutionstitel nicht begangen, diese seien ihr nicht zurechenbar und sie treffe daran auch kein Verschulden. Ihr könne die Befolgung des gerichtlichen Unterlassungstitels infolge der Verpflichtung aus dem Abbruchbescheid samt Fristverlängerung und Androhung der Ersatzvornahme nicht zugemutet werden. Ihr hätten schwerwiegende Nachteile gedroht, wenn sie dem verwaltungsbehördlichen Abbruchauftrag nicht entsprochen hätte (Zwangsstrafe, Kosten der Ersatzvornahme). Das Wohnhaus sei akut einsturzgefährdet gewesen, ein weiteres Zuwarten mit den Abbrucharbeiten hätte jederzeit zu einem unkontrollierten Einsturz des Hauses führen können, was insbesondere für Passanten und die Anrainer unvorhersehbare Schäden an Leib, Leben und Vermögen mit sich bringen hätte können.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Impugnationsklagebegehren, verwies auf die Titelverstöße der Klägerin und wendete ein, sie hätte allenfalls die Ersatzvornahme in Vollziehung des verwaltungsbehördlichen Abbruchauftrags in Kauf nehmen müssen.

Das Erstgericht gab den Impugnationsklagen statt, erklärte die Exekution für unzulässig und hob die Strafbeschlüsse auf. Im Räumungsverfahren habe sich herausgestellt, dass der Bestandvertrag des Beklagten schon im Zeitpunkt der Erlassung des Abbruchauftrags durch die Baubehörde geendet habe. Zwar bilde der von der Klägerin geltend gemachte Sachverhalt keinen Impugnationsgrund im engeren Sinn, doch fehle das Verschulden, weil die von der Verwaltungsbehörde gesetzte Frist für den Abbruch des Gebäudes bereits abgelaufen gewesen sei und eine Zwangsstrafe gedroht habe.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Beklagten das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Trotz des allfälligen Vorliegens einer titellosen Benützung seit Rechtskraft des Abtragungsauftrags der Baubehörde, dessen Durchsetzung nach den verwaltungsrechtlichen Vorschriften zu erfolgen habe, fehle die Rechtfertigung für die von der Klägerin vorgenommene eigenmächtige Räumung der vom Beklagten ursprünglich gemieteten Wohnung. Die Räumungsverpflichtung des Beklagten wäre vielmehr nach Abschluss des Räumungsprozesses im Wege der gerichtlichen Räumungsexekution durchzusetzen gewesen. Das Vorliegen des rechtskräftigen Abbruchauftrags bilde keinen Impugnationsgrund im engeren oder weiteren Sinn gegen die Exekutionsführung aufgrund der einstweiligen Vorkehrung vom 24. Mai 2006. Die Exekutionsführung und die Verhängung der Geldstrafen seien vielmehr rechtmäßig und im Sinn der Generalprävention begründet gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt, ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Verpflichtete kann die Unzulässigerklärung der Anlassexekution und die Aufhebung eines Strafbeschlusses mit Impugnationsklage unter anderem dann erreichen, wenn er im Prozess dartut, ein Unterlassungsgebot ohne jedes Verschulden verletzt zu haben (3 Ob 135/97t uva; RIS-Justiz RS0107694).

Ob dies im Sinn des Standpunkts der Klägerin in diesem Fall zutrifft, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden.

Aufgrund der Durchführung der Abbrucharbeiten liegt objektiv ein titelwidriges Verhalten vor, das allenfalls bei zulässiger Selbsthilfe nach § 19 ABGB gerechtfertigt oder entschuldigt sein könnte. Auf Selbsthilfe im engeren Sinn hat sich die Klägerin in erster Instanz zwar nicht berufen, gleichwohl aber vorgebracht, dass ihr die Befolgung des Unterlassungstitels infolge der Verpflichtung aus dem Abbruchbescheid samt Fristverlängerung und Androhung der Ersatzvornahme nicht zugemutet hätte werden können. Sie beruft sich im Sinne rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstands überdies darauf, dass Einsturzgefahr sowie die Gefahr für Gesundheit und Eigentum allfälliger Passanten sowie von Anrainern bestanden hätte. Nach dem Vorbringen der Klägerin bestanden die ihr drohenden schwerwiegenden Nachteile also nicht bloß im Vorliegen eines verwaltungsbehördlichen Abbruchauftrags, welcher allein nicht entschuldigend gewesen wäre (3 Ob 255/08h mwN), sondern in weiteren näher konkretisierten Umständen. Hiezu haben die Vorinstanzen aber keine eine abschließende Beurteilung ermöglichenden Feststellungen getroffen. Es steht insbesondere nicht fest, ob und allenfalls welche von der Klägerin beauftragten Abbrucharbeiten notwendig waren, um konkrete Gefahren für Passanten oder Anrainer hintanzuhalten. Ebenso wenig steht fest, ob die von der Klägerin ins Treffen geführte, von der Verwaltungsbehörde angedrohte Beugestrafe von 500 EUR in Anbetracht des entgegenstehenden gerichtlichen Unterlassungstitels vollzogen worden wäre und ob zum Zeitpunkt ihrer die Grundlage für Exekution und Strafbeschlüsse bildenden Handlungen eine Ersatzvornahme mit unmittelbaren Kostenfolgen für die Klägerin gedroht hätte. Dagegen spricht der erst am 22. Mai 2007, also mehr als ein halbes Jahr nach den hier zu beurteilenden Zeiträumen der Titelverstöße (Juli bis September 2006), ergangene Vorauszahlungsbescheid.

Dem Vorbringen der Klägerin, das Verhalten des Abbruchunternehmens nach Auftragsentziehung sei ihr nicht zuzurechnen, ist entgegenzuhalten, dass die Klägerin durch die vorangegangene Beauftragung des Abbruchunternehmens einen ihr zuzurechnenden Dauer-(Störungs-)zustand geschaffen hat, der sie auch bei Entziehung des Auftrags dazu verpflichtet, die Befolgung ihrer Anweisung, die Arbeiten einzustellen, sicherzustellen. Wer durch Gesetzesverstoß einen Störungszustand geschaffen hat, stört solange weiter, als dieser Zustand nicht beseitigt ist. Die Pflicht zum Handeln folgt aus dem vorangegangenen (Fehl-)Verhalten (RIS-Justiz RS0079560).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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