OGH 10ObS128/10m

OGH10ObS128/10m14.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K***** M*****, vertreten durch Achammer Mennel Welte Achammer Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, 1014 Wien, Minoritenplatz 5), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Juni 2010, GZ 25 Rs 132/09m-5, womit der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. November 2009, GZ 34 Cgs 245/09b-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit dem in letzter Instanz ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur vom 30. 9. 2009 wurde die Klägerin, eine Bundeslehrerin, gemäß § 14 Abs 1 und 3 BDG 1979 mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid in Rechtskraft erwächst, in den Ruhestand versetzt.

Mit der am 3. 11. 2009 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass bei ihr keine dauernde Dienstunfähigkeit iSd § 14 Abs 1 BDG 1979 vorliege. Bei diesem Feststellungsanspruch handle es sich um eine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 2 ASGG. Gegen den oben genannten Bescheid sei ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Bei der Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit handle es sich um ein „civil right“ iSd Art 6 Abs 1 EMRK, weil mit dieser „Zwangspensionierung“ erhebliche finanzielle Einbußen verbunden seien. Sie habe Anspruch auf eine Entscheidung durch ein „Tribunal“ iSd Art 6 Abs 1 EMRK. Diesen Anforderungen habe der Gesetzgeber im sozialgerichtlichen Verfahren durch die Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts im Wege der sukzessiven Kompetenz Rechnung getragen. Da die letztinstanzliche Verwaltungsbehörde den Anforderungen eines „Tribunals“ nicht entspreche, sei eine analoge Anwendung des § 67 Abs 1 ASGG schon zur Durchsetzung des aus dem Gemeinschaftsrecht ableitbaren Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und in Abwendung einer Inländerdiskriminierung geboten.

Das Erstgericht hat die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs sofort zurückgewiesen. Es handle sich nicht um eine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 ASGG. Bei der begehrten Feststellung der Dienstfähigkeit handle es sich nicht um einen Kernbereich der „ civil rights“, sondern nur um eine solche, die mittelbar finanzielle Auswirkungen für die Klägerin habe. Deshalb reiche es aus, wenn eine Verwaltungsbehörde unter der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs tätig werde.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss von der Klägerin erhobenen Rekurs nicht Folge. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs finde Art 6 EMRK auf dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlicher Bediensteter Anwendung, soweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand hätten. Nach dieser Rechtsprechung werde dem Erfordernis, einer durch Art 6 EMRK garantierten Entscheidung der Rechtssache durch ein unparteiisches und unabhängiges, auf Gesetz beruhendes Gericht mit der nachprüfenden Kontrolle letztinstanzlicher dienstrechtlicher oder disziplinarbehördlicher Bescheide durch den Verwaltungsgerichtshof (neben der Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen) Rechnung getragen. Mit der Anwendbarkeit des Art 6 EMRK sei für die Klägerin jedoch nichts gewonnen, weil darin nicht der Zugang zu einem ordentlichen Gericht gefordert werde, sondern die Rechtssache nur einer nachprüfenden Kontrolle durch ein Tribunal, somit durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich sein müsse. Deshalb habe nicht das ordentliche Gericht, sondern hätten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, die von der Klägerin in dieser Streitigkeit auch angerufen hätten werden können, die Einhaltung der weiteren Garantien des Art 6 EMRK zu überprüfen. Die Überprüfung einer im Verwaltungsweg ergangenen Entscheidung sei auch nicht Aufgabe eines ordentlichen Gerichts. Dies würde klar dem Art 94 B-VG widersprechen. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürften auch nicht zur Entscheidung in derselben Sache berufen werden. Eine sukzessive Kompetenz sei für den vorliegenden Rechtsstreit gesetzlich nicht angeordnet. Entgegen der Auffassung der Klägerin handle es sich nämlich nicht um eine der in § 65 Abs 1 Z 1 ASGG normierten Sozialrechtssachen, auch wenn gemäß § 65 Abs 2 ASGG unter die Sozialrechtssachen auch Klagen auf Feststellung fielen, die mangels einer Beschränkung für alle in § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen zulässig seien. Es handle sich auch nicht um einen „Rentenanspruch“, den die Klägerin mit ihrem Begehren verfolge. Vielmehr bekämpfe sie mit der Klage ganz offensichtlich die im Verwaltungsverfahren ausgesprochene Dienstunfähigkeit und die damit verbundene Versetzung in den Ruhestand. Auch wenn im Bereich des ASGG auf eine den § 2 Abs 2 ArbGG vergleichbare Ausschlussbestimmung für „öffentliche Beamte“ verzichtet worden sei, habe auch § 51 Abs 1 ASGG keine Erweiterung der Rechtswegzulässigkeit für Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gebracht, sondern iVm § 50 Abs 1 ASGG lediglich die vorher nicht gegebene sachliche Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte für die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten von Beamten mit ihrem Dienstgeber. Der Hinweis auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts sei nicht zielführend, weil Gegenstand des Rechtsstreits nicht eine konkrete begehrte Leistung vom nunmehr zuständigen Versicherungsträger BVA sei. Der Hinweis sei auch deshalb nicht tragfähig, weil für den inlandsbezogenen Sachverhalt weder ein gemeinschaftliches Primärrecht noch eine die streitverfangene Materie entscheidende Rechtsprechung des EuGH vorliege. Die Regelungskompetenz der Rechtsfolgen einer Dienstunfähigkeit obliege ausschließlich dem innerstaatlichen Bereich. Verfehlt sei auch das Argument der Inländerdiskriminierung im Bereich öffentlicher Dienst und Privatangestellten, weil infolge des verfassungsgemäßen Organisationsprinzips der Vollzug vom Gesetzgeber eindeutig nach objektiven Kriterien übertragen worden sei und infolge der Zuordnung der Dienstrechtsangelegenheiten als auch „civil rights“ und den damit verbundenen Verfahrensgarantien nicht von einer unvertretbaren Ungleichstellung gesprochen werden könne.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu den behandelten Rechtsfragen höchstgerichtliche Judikatur nicht vorliege und überdies der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ob die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshofs als nachprüfende Kontrollinstanz der geforderten Verfahrensgarantien iSd Art 6 Abs 1 EMRK gerecht werde, teilweise eine von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs abweichende Rechtsansicht vertrete, wenn er das Vorliegen einer überprüfenden Tatsacheninstanz als Tribunal fordere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer vergleichbaren Fallkonstellation des Verfahrensrechts, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs für die gegenständliche Klage, fehlt. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die von der beklagten Partei erstattete Revisionsrekursbeantwortung war zurückzuweisen, weil das Rechtsmittelverfahren einseitig ist, erfolgte doch die Zurückweisung der Klage vor Streitanhängigkeit (vgl § 521a ZPO).

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, nach der aktuellen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs handle es sich bei der gegenständlichen Angelegenheit um ein „civil right“ iSd Art 6 Abs 1 EMRK. Davon ausgehend habe die Klägerin Anspruch darauf, dass ein unparteiisches und unabhängiges Gericht (Tribunal) über die Rechtssache entscheide. Aufgrund der Änderungen der Rechtsprechung des EGMR in den letzten Jahren zu den Streitigkeiten von Beamten mit ihrem Dienstgeber genüge nicht die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs oder des Verfassungsgerichtshofs. Es könne nicht angehen, dass über ein „civil right“ die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungs- oder des Verfassungsgerichtshofs genüge und über ein anderes „civil right“ nicht. § 65 ASGG sei im Licht der aktuellen Rechtsprechung des EGMR und der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts verfassungs- bzw konventionskonform auszulegen. Aufgrund der den Gerichten zukommenden sukzessiven Kompetenz gemäß § 65 ASGG sei daher die Entscheidung der Gerichte über den Feststellungsantrag zulässig, zumal der Zugang zum Gericht nicht ausdrücklich verwehrt sei. Darüber hinaus liege auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung der Klägerin vor, wenn sie sich nicht vor einem Tribunal gegen die Erklärung der Dienstunfähigkeit wehren könne, mit der zwangsläufig die Pensionierung verbunden sei. Jeder andere Arbeitnehmer aus der Privatwirtschaft könne vor das Arbeitsgericht ziehen, wenn er wegen Dienstunfähigkeit entlassen, verschlechternd versetzt oder Ähnliches werde.

Dem ist zu erwidern:

§ 65 ASGG umschreibt den Begriff der Sozialrechtssachen. Die Aufzählung in Abs 1, die Grundlage für die sachliche Zuständigkeit der Gerichtshöfe als Arbeits- und Sozialgerichte in Sozialrechtssachen bildet, ist im Hinblick auf § 100 ASGG nicht taxativ. Die in anderen Rechtsvorschriften enthaltenen Verweisungen auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung sowie auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze gelten nämlich nach § 100 ASGG als Verweisungen auf die Bestimmungen des ASGG und damit auf die Arbeits- und Sozialgerichte. Ein wesentliches Merkmal im Verfahren in Sozialrechtssachen ist die sukzessive Kompetenz der Gerichte. Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG sind daher unter anderem nicht solche Angelegenheiten, in welchen ausschließlich (also unter Ausschluss der sukzessiven Kompetenz der Gerichte) Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben (10 ObS 76/10i; Kuderna, ASGG² 427). Liegt aber keine Sozialrechtssache vor, ist für die Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs vor den Arbeits- und Sozialgerichten der Rechtsweg unzulässig (10 ObS 76/10i; vgl Neumayr in ZellKomm § 65 ASGG Rz 1 mwN).

Die Klägerin steht als Fachoberlehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund (Bundeslehrerin). Auf dieses Dienstverhältnis ist das Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG) 1979 anzuwenden (§ 1 Abs 1 BDG 1979). Sie begehrt als Bundeslehrerin gegenüber ihrem Dienstgeber die Feststellung, dass sie nicht dauernd dienstunfähig iSd § 14 Abs 1 BDG 1979 ist. Auf diese Angelegenheit des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund ist gemäß § 1 Abs 1 Dienstrechtsverfahrensgesetz (DVG) 1984 das AVG mit den im DVG 1984 geregelten Abänderungen anzuwenden. Über die vorliegende Dienstrechtsangelegenheit haben daher die gemäß § 2 DVG 1984 zuständigen Dienstbehörden im Verwaltungsweg mittels Bescheids zu entscheiden (RIS-Justiz RS0086019). Der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten (§ 1 JN) ist für diese Streitigkeit verschlossen:

Da Streitigkeiten über die dauernde Dienstunfähigkeit iSd § 14 Abs 1 BDG 1979 in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und eine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze fehlt, handelt es sich bei dieser Streitigkeit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG. Es liegt auch keine Arbeitsrechtssache iSd § 50 Abs 1 ASGG vor (vgl RIS-Justiz RS0086019; Kuderna, ASGG² § 50 Anm 2).

Die Ansicht der Klägerin, dass ihr in analoger Anwendung des § 65 ASGG eine Klagemöglichkeit vor dem Arbeits- und Sozialgericht offen stehen müsse, weil es sich nach der aktuellen Rechtsprechung des EGMR um eine Streitigkeit über einen privatrechtlichen Anspruch iSd Art 6 EMRK handle, worüber ein Gericht („Tribunal“) zu entscheiden habe, ist unzutreffend.

Ob eine Sache in den Kompetenzbereich der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden fällt, richtet sich in erster Linie nach der positiv-rechtlichen Zuweisung durch den Gesetzgeber. Ihm sind jedoch gemäß Art 6 Abs 1 EMRK insofern verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, als über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen („civil rights“) ein unabhängiges und unparteiisches Gericht („Tribunal“) zu entscheiden hat. Nach Lehre und neuerer österreichischer Rechtsprechung muss jedenfalls im Kernbereich der „civil rights“ ein Gericht (Behörde mit Tribunal-Qualität) entscheiden; die bloß nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof reicht hier nicht aus (10 ObS 76/10i; vgl Mayr in Rechberger, ZPO³ Vor § 1 JN Rz 4 mwN). Eine gesetzliche Verweisung solcher Ansprüche durch einfaches Gesetz vor Behörden, denen keine Tribunal-Qualität iSd Art 6 Abs 1 EMRK zukommt, ist aber dennoch wirksam, solange diese Kompetenzvorschrift nicht durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung, dann stellt sich Art 6 EMRK als Generalklausel dar, die zivilrechtliche Ansprüche dem Gericht zuweist (10 ObS 76/10i; vgl Ballon in Fasching² § 1 JN Rz 61 mwN). Über Streitigkeiten der vorliegenden Art ist - wie bereits dargelegt wurde - nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im Verwaltungsweg zu entscheiden. Eine sukzessive Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte wurde vom Gesetzgeber nicht begründet. Auch für eine analoge Anwendung des § 65 ASGG ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Diese positiv-rechtliche Zuweisung durch den Gesetzgeber an die Verwaltungsbehörden ist wirksam, solange die entsprechende Kompetenzvorschrift nicht durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden ist. Die Arbeits- und Sozialgerichte sind hingegen nicht berechtigt, Bescheide von Verwaltungsbehörden dahingehend zu überprüfen, ob die für das Verwaltungsverfahren vorgesehene Verfahrensordnung EMRK-konform ausgestaltet ist (10 ObS 76/10i).

Die Vorinstanzen hatten die Klage zutreffend wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.

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