OGH 7Ob113/10h

OGH7Ob113/10h1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien ‑ Wiener Wohnen für den 16. Bezirk, 1160 Wien, Opfermanngasse 1, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* R*, vertreten durch Dr. Andrea Weisert, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2010, GZ 40 R 16/10i‑28, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 30. Oktober 2009, GZ 6 C 194/09d‑23, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:E94947

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorliege, ob der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auch durch ein einmaliges, für den Mieter nicht vorhersehbares und daher nicht konkret zu verhinderndes Verhalten eines Mitbewohners aufgrund der besonderen Schwere des Vorfalls und der daraus resultierenden Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens mit dem Mieter und dessen Mitbewohner erfüllt werde. Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht zu den Rechtsfragen bereits ausreichend Judikatur.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches, also ein das friedliche Zusammenleben störendes Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, grundsätzlich keine Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0042984). Auch einmalige Vorfälle können einen Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG bilden, wenn sie schwerwiegend sind (RIS‑Justiz RS0070303). Schwerwiegend ist ein Vorfall, wenn er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (RIS‑Justiz RS0070303 [T2, T3, T5, T9]). Die Frage, ob ein einmaliger Vorfall als schwerwiegend zu beurteilen ist, ist grundsätzlich ebenfalls eine solche des Einzelfalls. Nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung soll dem Mieter die Verantwortung für das Verhalten der mit ihm in Hausgemeinschaft lebenden Personen nur dann nicht auferlegt werden, wenn er davon keine Kenntnis hatte und deshalb dagegen auch nicht einschreiten konnte. War der Mieter in der Lage einzuschreiten, kann er sich nicht auf sein Unvermögen oder etwa darauf berufen, dass er alle ihm zu Gebote stehenden und ihm nach der Sachlage zumutbaren Abwehrmittel ausgeschöpft habe (RIS‑Justiz RS0070371).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Einzelfall das Verhalten des 16‑jährigen Sohnes des Beklagten (er packte wegen einer angeblichen, aber gar nicht gefallenen Bemerkung die Hausbesorgerin, die zum wiederholten Mal die Nichteinhaltung der Waschordnung durch die Frau des Beklagten rügte, Wut entbrannt „am Kragen“, spuckte ihr dreimal ins Gesicht und versetzte ihr eine leichte Ohrfeige) so schwerwiegend ist, dass es einen Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG darstelle, hält sich im Rahmen der Judikatur. Das Anspucken einer Person ist als krass herabwürdigendes und beleidigendes Verhalten mit der Bedeutung einer Tätlichkeit zu beurteilen (7 Ob 270/02k). Es hält sich auch im Rahmen der Judikatur, wenn das Berufungsgericht zum Ergebnis kommt, dass im vorliegenden Einzelfall der Beklagte für das Verhalten seines Sohnes verantwortlich ist, auch wenn er selbst bei dem Vorfall nicht zugegen war. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Beklagte, als er von einem „Problem“ erfuhr, sich sofort abwehrend mit barschen Worten gegen die Hausbesorgerin stellte und seinen Sohn verteidigte, bevor er sich noch über den Sachverhalt informierte, und dass sich weder er noch sein Sohn in der Folge bei der Hausbesorgerin für das ungebührliche Verhalten entschuldigten. Auch wenn die Atmosphäre auf beiden Seiten emotional stark aufgeladen war, lassen doch die Äußerungen des Beklagten zur Hausbesorgerin nach dem Vorfall darauf schließen, dass er dem Verhalten seines Sohnes nicht entschieden entgegentrat, sondern dieses vielmehr vorweg pauschal akzeptierte, von ihm also auch in der Zukunft keine Abhilfe gegen gleichartige Vorfälle zu erwarten ist. Auch die Wortwahl des jüngeren Sohnes des Beklagten der Hausbesorgerin gegenüber („Hure“), die Auslöser der ganzen Auseinandersetzung war, lässt darauf schließen, dass der Beklagte in seiner Familie nicht ausreichend darauf achtet, dass das Zusammenleben von Bewohnern eines Miethauses nicht durch beleidigende Äußerungen seiner Söhne tiefgreifend gestört wird. Mag es auch vorher nicht zu öffentlichen Auseinandersetzungen gekommen sein, so war der festgestellte einmalige Vorfall doch so gravierend, dass die Ansicht, das friedliche Zusammenleben sei erheblich und auf Dauer gestört, zumindest vertretbar ist.

Soweit die Revision dem Berufungsgericht vorwirft, vom festgestellten Sachverhalt abzugehen, verkennt sie, dass die Frage, wie das Verhalten des Beklagten zu beurteilen ist, eine Rechtsfrage ist. Auch wenn der Beklagte am Tag nach dem Vorfall seine Sicht der Dinge bei den Mitarbeitern von „Wiener Wohnen“ darlegte, so steht doch fest, dass sich weder der Beklagte noch sein Sohn bei der Hausbesorgerin entschuldigten oder zu erkennen gaben, dass sie das inkriminierte Verhalten nicht auch weiterhin für in Ordnung halten werden.

Eine Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung könnte nur dann auf ihr Schicksal einen Einfluss haben, wenn der Schluss zulässig wäre, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RIS‑Justiz RS0070340). Dies steht jedoch nicht fest.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Revisionsbeantwortung wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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