OGH 6Ob136/10h

OGH6Ob136/10h1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** G*****, vertreten durch Dr. Candidus Cortolezis Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Mag. W***** F*****, vertreten durch Dr. Zsizsik & Dr. Prattes Rechtsanwälte OG in Kapfenberg, wegen 293.364,17 EUR, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 19. April 2010, GZ 5 R 194/09b-142, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 26. August 2009, GZ 5 Cg 217/03f-131, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.587,86 EUR (darin 430,95 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der außereheliche Sohn des am 1. 4. 2003 verstorbenen Dr. G***** F*****, dessen Vaterschaft zum Kläger mit Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 3. 12. 1986 festgestellt wurde. Beim Beklagten handelt es sich um den außerehelichen Sohn des Dr. G***** F*****, der von diesem adoptiert und testamentarisch zum Alleinerben seines gesamten Vermögens eingesetzt wurde, wobei der Erblasser den Kläger auf den halben Pflichtteil setzte.

Mit Übergabsvertrag vom 8. 3. 1990 übergab Dr. G***** F***** seinen Liegenschaftsbesitz an den Beklagten; weiters übergab er diesem in Form von Wertpapieren einen Bargeldbetrag von 1.500.000 ATS. Als Gegenleistung räumte der Beklagte dem Übergeber das unentgeltliche Fruchtgenussrecht für die gesamte Liegenschaft sowie des Bargeldbetrags ein. Zwischen den Jahren 1999 und 2003 verkaufte der Beklagte sämtliche Grundstücke der übergebenen Liegenschaft. Im Todeszeitpunkt waren daher keine Vermögenswerte vorhanden; der geringfügige Nachlass nach Dr. G***** F***** wurde dem Beklagten an Zahlungsstatt überlassen.

Der Kläger begehrt die Zahlung seines Pflichtteils in Höhe von 336.364,17 EUR. Dr. G***** F***** habe die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Kind grundlos abgelehnt, obwohl er urteilsmäßig als Vater festgestellt worden sei. Der Erblasser sei daher nicht berechtigt gewesen, den Kläger auf den halben Pflichtteil zu verweisen, weshalb dem Kläger eine Schenkungspflicht als Quote von 25 % zustehe.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Verweisung auf den halben Pflichtteil sei rechtswirksam. Dr. G***** F***** habe sich niemals als biologischer Vater des Klägers gefühlt; wissenschaftlich sei seine Vaterschaft lediglich als „wahrscheinlich“ festgestellt worden. Er sei daher davon ausgegangen, dass ihm die Mutter des Klägers ein nicht gewolltes Kind „habe unterschieben wollen“.

Das Erstgericht sprach einen Betrag von 268.274 EUR zu. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Dr. G***** F***** verneinte zweimal die ausdrückliche Frage des Klägers, als dieser fünf bzw elf oder zwölf Jahre alt war, ob er sein Vater sei. Dr. G***** F***** lehnte die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Kläger ab, obwohl dieser bis 1989 in unmittelbarer Nachbarschaft lebte. Dr. G***** F***** wollte keinen Kontakt mit dem Kläger, weil er sich einerseits von der Kindesmutter aufgrund der Schwangerschaft überrumpelt fühlte und ihn der Kläger an die Vorfälle mit der Kindesmutter erinnerte sowie deshalb, weil bei ihm im Hinblick auf einen Überfall im Jahr 1997 negative Assoziationen mit dem Kläger bestanden. Dass der Kläger auch nur in irgendeiner Weise an dem Überfall beteiligt gewesen sein könnte, stellte das Erstgericht allerdings nicht fest.

Zur Höhe des Klagebegehrens führte das Erstgericht aus, die Gesamtbemessungsgrundlage betrage 1.353.096 EUR. Daraus ergebe sich ein Pflichtteil von 25 % mit 338.274 EUR, was unter Berücksichtigung einer geleisteten Teilzahlung von 70.000 EUR dem zugesprochenen Betrag ergebe. Basis der Berechnung sei der Verkehrswert der Liegenschaft zum Todeszeitpunkt, wobei der Zustand der Sache im Zeitpunkt des Empfangs ebenso wie alle damals bereits veranschlagt gewesenen, wenn auch erst im Zeitpunkt des Erbanfalls aktuell gewordenen Umstände zugrunde zu legen gewesen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der im Schriftsatz vom 25. 11. 2008 erhobene Einwand, bei der übergebenen Liegenschaft habe es sich um einen Erbhof gehandelt, sei zu Recht vom Erstgericht gemäß § 179 ZPO als verspätet zurückgewiesen worden. § 773a Abs 3 ABGB sehe vor, dass das Recht auf Pflichtteilsminderung nicht zustehe, wenn der Erblasser die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Pflichtteilsberechtigten grundlos abgelehnt habe. Diese Bestimmung sei mangels gegenteiliger ausdrücklicher Übergangsbestimmungen anzuwenden, wenn der Erblasser nach dem 1. 7. 2001 verstorben sei.

Wer trotz bestehender gesetzlicher Verpflichtung und entgegen dem Wunsch des eigenen Kindes keinen Umgang mit seinem Kind haben wolle, brauche eine besondere Rechtfertigung, um das Minderungsrecht zu behalten. Eine begründete Weigerung sei beim Elternteil jedenfalls die Ausnahme. Der vorliegende Sachverhalt rechtfertige eine derartige Weigerung nicht, zumal auch nach den begehrten Zusatzfeststellungen lediglich die Halbbrüder des Klägers (und nicht dieser selbst) verdächtig gewesen seien, den Überfall im Jahr 1997 auf Dr. G***** F***** begangen zu haben. Das Gefühl, von der Mutter in Bezug auf die Schwangerschaft „hineingelegt worden“ zu sein, stelle keinen ausreichenden Grund dar. Der Erblasser habe mehrfach, auch schon vor dem Überfall im Jahr 1997, den Kontakt mit dem im Jahr 1983 geborenen Kläger abgelehnt, obwohl dieser mehrmals Kontakt mit ihm aufgenommen habe. Die Anregung der Einleitung eines Sachwalterverfahrens durch die Mutter des Klägers bilde ebenso wenig einen Grund für die Ablehnung des Kontakts mit dem Kläger.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur grundlosen Ablehnung der Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Pflichtteilsberechtigten fehle.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.1. Nach der durch das KindRÄG 2001 eingeführten Bestimmung des § 773a Abs 3 ABGB steht das Recht auf Pflichtteilsminderung nicht zu, wenn der Erblasser die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Pflichtteilsberechtigten grundlos abgelehnt hat. Das zitierte Gesetz trat grundsätzlich am 1. 7. 2001 in Kraft; hinsichtlich der Änderung des § 773a ABGB fehlen ausdrückliche Übergangsbestimmungen. Nach den Gesetzesmaterialien (EB RV 296 BlgNR 21. GP) sei zu akzeptieren, wenn sich zwei Menschen dazu entschlössen, keine Kontakte zueinander haben zu wollen. Wenn aber ein Beteiligter den Kontakt wünsche, der andere - trotz bestehender gesetzlicher Verpflichtungen dazu (unter Hinweis auf §§ 137a, 147 Abs 1 ABGB) - aber diese Kontakte ohne Grund überhaupt ablehne, solle dieses Verhalten nicht auch noch dadurch „belohnt“ werden, dass er den anderen überdies durch Schmälerung der erbrechtlichen Ansprüche bestrafen könne. Der Vorschlag solle allzu vorschnellen Ablehnungen des persönlichen Verkehrs durch den nicht betreuenden Elternteil, aber auch durch das Kind vorbeugen helfen.

2.2. Schon die ursprüngliche Fassung des § 773a ABGB, die darauf abstellte, dass „zu keiner Zeit“ ein entsprechender Kontakt bestand, bezog sich nicht auf den Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung. Vielmehr ist nach der ursprünglichen ebenso wie nach der derzeitigen Fassung des § 773a ABGB die gesamte Beziehung zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten bis zum Tod des Erblassers zu berücksichtigen. Gerade vor dem Hintergrund der Erwägungen des Gesetzgebers der Novelle 2001, die einer vorschnellen Ablehnung des persönlichen Verkehrs durch den nicht betreuenden Elternteil entgegenwirken wollte, zeigt sich, dass ein Abstellen auf den unter Umständen deutlich vor dem Todeszeitpunkt liegenden Zeitpunkt der Verfassung der letztwilligen Verfügung nicht sachgerecht wäre und dem Willen des Gesetzgebers nicht entspreche. Bei gegenteiliger Auslegung könnte die Neuregelung des § 773a Abs 3 ABGB nur für jene Fälle Auswirkungen entfalten, in denen die letztwillige Verfügung nach dem 1. 7. 2001 errichtet wurde, würde also alle vorher errichteten Testamente nicht mehr erfassen und daher auch das Verhalten der Beteiligten nicht mehr motivieren können. Für eine derart eingeschränkte Intention des Verfassers geben die zitierten Gesetzesmaterialien aber nicht den geringsten Anhaltspunkt. Frei von Rechtsirrtum sind daher die Vorinstanzen von der Anwendbarkeit des § 773a Abs 3 ABGB auf den vorliegenden Fall ausgegangen.

3.1. Schon aus dem Gesetzeswortlaut und der eingangs wiedergegebenen Intention des Gesetzgebers ergibt sich, dass eine „grundlose Ablehnung“ immer dann vorliegt, wenn keine von der Rechtsordnung gebilligten Gründe für die Ablehnung des persönlichen Verkehrs vorlagen. Das mögliche, zudem feststellungsfremde Verhalten dritter Personen (hier: der Halbbrüder des Klägers) kann jedenfalls die Verweigerung des persönlichen Kontakts mit dem Pflichtteilsberechtigten in aller Regel nicht rechtfertigen. Gleiches gilt für die Anregung der Einleitung eines Sachwalterverfahrens gegen den Erblasser durch die Mutter des Klägers.

3.2. Wie schon das Berufungsgericht nachvollziehbar darlegte, hat der Kindesvater über einen Zeitraum von 14 Jahren trotz mehrmaliger Kontaktaufnahme seitens des Klägers den Kontakt zu diesem verweigert, obwohl seine Vaterschaft bereits 1986 festgestellt worden war. Das Gefühl, von der Mutter des Klägers „hereingelegt“ worden zu sein, reicht für die Ablehnung des persönlichen Verkehrs mit dem Kind gleichfalls nicht aus, würde das Recht des Kindes auf persönlichen Kontakt zu seinem Vater doch dann vom Verhalten der Kindesmutter und der subjektiven Einschätzung seines Vaters abhängen. Gleiches gilt für den in der Revision erhobenen Einwand, es sei „nur zu maximal zwei versuchten“ (?) Geschlechtsakten gekommen, welche „bei auf 100%iger Initiative der Mutter des Klägers ausgingen“. Nicht überzeugend ist auch die Argumentation, die Vaterschaft sei nur als „wahrscheinlich“ festgestellt worden, sieht doch das Gesetz ausdrücklich die (entsprechend hohe) Wahrscheinlichkeit als ausreichend für die Vaterschaftsfeststellung an. Käme es auf vollständige - wie auch immer zu verstehende - subjektive Gewissheit an, würde § 773a Abs 3 ABGB weitestgehend leer laufen.

4. Die Ausführungen zur materiellen Anwendbarkeit des Anerbenrechts übersehen, dass das diesbezügliche Vorbringen des Beklagten vom Erstgericht als verspätet zurückgewiesen wurde.

5. Die Feststellung des Verkehrswerts der diversen Liegenschaften ist eine - in dritter Instanz nicht mehr überprüfbare - Tatfrage (RIS-Justiz RS0109006). Auf die diesbezüglichen Revisionsausführungen ist daher nicht weiter einzugehen.

6. Damit erweist sich das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts aber als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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