OGH 7Ob61/10m

OGH7Ob61/10m1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede S*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner und andere Rechtsanwälte in Köflach, gegen die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 35.796 EUR samt Anhang und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2009, GZ 5 R 160/09b-42, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Juli 2009, GZ 45 Cg 22/08s-31, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 124,07 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist auschließlich die Höhe des Schmerzengeldbegehrens der Klägerin. Während das Erstgericht 30.000 EUR zusprach, erachtete das Berufungsgericht (das über einen Entscheidungsgegenstand von 11.800 EUR abzusprechen hatte) für die nachstehenden, von der Beklagten zu vertretenden Folgen der Fehlbehandlung nur 20.000 EUR für angemessen:

Die Klägerin zog sich bei einem Sturz als Fußgängerin am 3. 8. 2007 eine Verrenkung der rechten Schulter mit einer Rotatorenmanschettenruptur und eine Zerrung des linken Sprunggelenks zu. Bei der folgenden Behandlung in einem Spital, dessen Rechtsträgerin die Beklagte ist, blieb die Schulterverletzung der Klägerin unerkannt und vorerst unbehandelt, obwohl eine Untersuchung des Schultergelenks eindeutig indiziert war und die Schulterverletzung dabei problemlos festzustellen gewesen wäre. Sie wurde erst nach einer MR-Untersuchung durch einen niedergelassenen Arzt am 30. 8. 2007 diagnostiziert und ab 31. 8. 2007 in einem anderen Spital operativ behandelt. Allein aufgrund der verspäteten Behandlung hatte die Klägerin bis 14. 4. 2008 insgesamt 4 Tage starke, 18 Tage mittlere und 50 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Ab 15. 4. 2008 sind täglich 30 Minuten an leichten Schmerzen zu erwarten, die sich im Rahmen von 3 bis 5 Jahren noch etwas verringern werden, weil die Klägerin lernen wird, mit diesen Schmerzen umzugehen und unbewusst jene Bewegungen, die Schmerzen verursachen, vermeiden wird. Sie musste zwei fehlerkausale Operationen über sich ergehen lassen und leidet an einer geringen, dauerhaft verminderten Beweglichkeit der rechten Schulter. Schmerzen werden bei Wetterumschwüngen, beim Liegen auf der rechten Schulter, bei längeren gleichmäßigen Bewegungen und Belastungen, bei Betätigung der Schaltung im Auto und beim Duschen auftreten. Seit April 2008 kann die Klägerin ihren Haushalt wieder selbst führen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision, die ein Abweichen von der Entscheidungspraxis des Obersten Gerichtshofs zur Berücksichtigung zukünftiger Schmerzen im Rahmen der Globalbemessung von Schmerzengeld releviert, ist aus folgenden, kurz darzulegenden Gründen (§ 510 Abs 3 ZPO) ungeachtet des nicht bindenden (nachträglichen) Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

1. Das Schmerzengeld soll eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit dies für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen. Daher müssen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden (RIS-Justiz RS0031307 [T4]). Bei der Bemessung des Schmerzengelds ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RIS-Justiz RS0031075). Die Höhe des Schmerzengelds ist eine Frage des Einzelfalls und begründet keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0031075; RS0042887).

2. Dem Gebot der Anlegung eines objektiven Maßstabs kam das Berufungsgericht nach, indem es den Sachverhalt, der jüngeren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zugrunde lag, in denen ein Schmerzengeld von etwa 30.000 EUR für angemessen erachtet wurde, den hier feststehenden, weit weniger schwer wiegenden nachteiligen Folgen des Behandlungsfehlers gegenüber stellte. Es kam dabei zum keinesfalls unvertretbaren Ergebnis, der vom Erstgericht vorgenommene Zuspruch sei überhöht und deshalb auf 20.000 EUR zu reduzieren. Daran vermag weder die vom Berufungsgericht zum Anlass der Änderung des Zulässigkeitsausspruchs genommene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 105/09v noch jene, von der Revision als übergangen erachtete Entscheidung 2 Ob 369/97x etwas zu ändern.

3. Der Entscheidung 2 Ob 105/09v lag zugrunde, dass der beim Verkehrsunfall vierzehnjährige Kläger als Beifahrer auf einem Motorfahrrad schwer verletzt wurde, was eine Amputation des linken Beins im mittleren Oberschenkeldrittel im Übergang vom ersten zum zweiten Drittel notwendig machte. Im Vordergrund stand die Beantwortung der Rechtsfrage, welchen Einfluss das Lebensalter des Verletzten auf die Schmerzengeldbemessung hat. Bei Betonung des jugendlichen Alters des (sportlich aktiven) Klägers wurde ein Schmerzengeld von 80.000 EUR für angemessen erachtet. Angesichts der den jugendlichen Kläger beinahe „ein Leben lang“ treffenden, einschneidenden Beeinträchtigungen und Nachteile ist diesem Judikat die Einschlägigkeit für die hier vorzunehmende Beurteilung abzusprechen.

4. Soweit sich die Klägerin auf die Entscheidung 2 Ob 369/97x beruft, übersieht sie die dort angenommenen weit höheren Schmerzperioden und die zweifellos schwerer wiegenden Dauerfolgen (kurzdauernde „Schmerzattacken“, erhebliche seelische Beeinträchtigung wegen verminderter Lebensqualität; Beweglichkeitseinschränkungen im Knie- und Sprunggelenk). Der dort tolerierte Zuspruch von rund 29.000 EUR steht daher nicht in einem objektiven Missverhältnis zur Bemessung durch das Berufungsgericht.

Der Berechnung des Schmerzengeldanspruchs durch die Klägerin ist entgegen zu halten, dass das Schmerzengeld nach § 273 ZPO als Globalsumme unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der physischen und psychischen Schmerzen auszumitteln ist (RIS-Justiz RS0031415; RS0031040 [T1]). Die von ihr vorgenommene Umrechnung der künftigen Schmerzen in 240 Tage mit leichten Schmerzen entfernt sich überdies vom festgestellten Sachverhalt, nachdem es im Rahmen von 3 bis 5 Jahren noch zu einer Verringerung der Schmerzen kommen wird.

5. Eine aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fallende und zur Vermeidung gravierender Ungleichbehandlungen zu korrigierende Fehlbemessung durch das Berufungsgericht, liegt somit nicht vor.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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