OGH 6Ob85/10h

OGH6Ob85/10h24.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. T***** H*****, 2. Mag. K***** F***** L*****, 3. Dr. W***** W*****, 4. Dr. P***** P*****, 5. Ing. I***** K*****, 6. Dipl.-Ing. E***** G*****, 7. Mag. R***** K*****, 8. Dipl.-Ing. M***** S*****, 9. Dipl.-Ing. A***** W*****, 10. Dipl.-Ing. H***** R*****, 11. Dr. C***** J*****, 12. Dr. G*****, P*****, 13. Dr. W***** E*****, 14. Dipl.-Ing. Dr. E***** H*****, 15. Dipl.-Ing. W***** M*****, 16. Dipl.-Ing. G***** D*****, alle vertreten durch Dr. Bruno Binder und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. I***** A*****, 2. Dr. M***** A*****, beide *****, vertreten durch Mag. Christian Tropsch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. September 2009, GZ 36 R 122/09x-25, mit dem das Teilurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Februar 2009, GZ 33 C 196/08g-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Klägern die mit 1.115,57 EUR (darin 185,93 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen (über Antrag der Beklagten abgeänderten) Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es „könnte allenfalls fraglich erscheinen, ob die Wertung des Berufungsgerichts hinsichtlich der objektiven Erkennbarkeit des Bewuchses der Feuermauer während der Ersitzungszeit für die Kläger und deren Rechtsvorgänger im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur steht“.

1. Das Berufungsgericht zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Abgesehen davon, dass die Frage der objektiven Erkennbarkeit eine Tatfrage darstellt, ist die Begründung des Berufungsgerichts eine inhaltliche Leerformel, wird doch nicht einmal ansatzweise offengelegt, inwiefern das Berufungsgericht nunmehr glaubt, es könnte von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen sein.

2. Die Beklagten gehen - insoweit durchaus im Einklang mit den Ausführungen der Vorinstanzen und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (7 Ob 637/94 mwN; 9 Ob 2020/96s; 6 Ob 255/00v SZ 74/57 = RdU 2001, 155 [Wagner]) - zutreffend davon aus, dass eine der Voraussetzungen der Erlangung eines Rechtsbesitzes (auf welchen sich die Beklagten hinsichtlich des Bewuchses der Feuermauer der Kläger durch auf der Liegenschaft der Beklagten wachsende Pflanzen berufen) die Besitzausübung ist. Dabei kommt es zwar lediglich auf die objektive Erkennbarkeit der Rechtsausübung durch denjenigen an, in dessen Recht eingegriffen wird, nicht auch auf die subjektive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache (9 Ob 406/97i; 6 Ob 255/00v SZ 74/57; 1 Ob 33/09v). Ob der Eigentümer der belasteten Sache erkennen kann, ob Benützungshandlungen in Ausübung eines Rechts erfolgen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (1 Ob 33/09v).

3.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, dass das zwangsläufige und überdies auch beabsichtigte Emporranken einer Kletterpflanze an einer im Eigentum des Nachbarn stehenden Grenzmauer einen Eigentumseingriff darstellt, der den Nachbarn gemäß §§ 354, 362 ABGB befugt, den anderen von der Benützung der Mauer auszuschließen und unberechtigte Eingriffe in sein Eigentumsrecht mit Klage nach § 523 ABGB geltend zu machen. Ihm steht weiters das Recht zu, die Entfernung der Kletterpflanze, von der der Bewuchs ausgeht und die anders gar nicht wachsen kann, weil dies ihrem zwangsläufigen Wachstum entspricht, zu verlangen. Eine derartige Benützung der Nachbarmauer ist als unmittelbare Zuleitung iSd § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB zu beurteilen, die ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig ist (7 Ob 613/91 SZ 64/158; 6 Ob 255/00v).

3.2. Die Beklagten meinen nun unter Hinweis auf Oberhammer (in Schwimann, ABGB³ [2005] § 364 Rz 30), in Bezug auf das Eindringen von Wurzeln und Ästen sei § 422 ABGB lex specialis zu § 364 ABGB; dieser Auffassung folgend hätten die Kläger in Ausübung ihres Selbsthilferechts für eine Entfernung des Pflanzenbewuchses sorgen müssen.

Dabei übersehen die Beklagten allerdings, dass sich der Oberste Gerichtshof bereits in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 4 Ob 196/07p (immolex 2008/55 [Pfiel]) mit dieser Frage auseinandergesetzt und unter Abwägung der Auffassung Oberhammers und zahlreicher anderer Autoren ausgesprochen hat, ein Immissionsabwehranspruch nach § 364 Abs 2 und 3 ABGB infolge einer konkreten Eigentumsgefährdung werde durch das Recht auf Selbsthilfe gemäß § 422 ABGB jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die Beeinträchtigung unter Bedachtnahme auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot die ortsübliche Benutzung des Grundeigentums wesentlich beeinträchtigt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt, der nicht durch eine leichte und einfache Ausübung des Selbsthilferechts beseitigt werden kann. Diese Entscheidung fand in der Literatur weitgehend Zustimmung (vgl etwa E. Wagner, Umschwung in der Judikatur: Beseitigungsanspruch bei Überhang, RdU 2008/44; P. Bydlinski, Folgenlose Gesetzesnovelle? Vier Jahre Recht auf Licht und nach wie vor viel Schatten, JBl 2008, 334; Cl. Hirsch, Negative Immissionen durch Pflanzen in der Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 2009/31).

Dass die in der Entscheidung 4 Ob 196/07p genannten Voraussetzungen für einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch im vorliegenden Fall nicht gegeben wären, vertreten die Beklagten im Revisionsverfahren jedoch gar nicht. Im Übrigen betreffen derartige Fragen der Ortsüblichkeit und der Zumutbarkeit regelmäßig den Einzelfall; eine Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO kommt ihnen dann nicht zu.

4. Die Revision der Beklagten war somit zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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