OGH 6Ob71/10z

OGH6Ob71/10z24.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei C***** H*****, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdenden Partei N***** n***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. Februar 2010, GZ 2 R 17/10z-9, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 EO, § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Auch eine allgemein bekannte Person, für deren Leben sich die breite Bevölkerung interessiert und die immer wieder Gegenstand von Medienberichten ist, hat Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit ihren höchstpersönlichen Lebensbereich respektiert (4 Ob 150/08z mwN). Als Kernbereich der durch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) geschützten Privatsphäre genießt der höchstpersönliche Lebensbereich besonderen Schutz vor medialer Preisgabe (6 Ob 103/07a; 4 Ob 150/08z).

Rechtliche Beurteilung

Die von der Revisionsrekurswerberin behauptete Uneinheitlichkeit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung in der Frage, ob bei geltend gemachten Eingriffen in den höchstpersönlichen Lebensbereich (zu dem unter anderem das Sexualverhalten eines Menschen zählt) eine Interessenabwägung vorzunehmen ist, liegt nicht vor.

In der Entscheidung 6 Ob 103/07a wurde ausgeführt, dass der höchstpersönliche Lebensbereich den Kernbereich der geschützten Privatsphäre darstellt und daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich ist. Dass aber eine Abwägung der berührten Persönlichkeitsinteressen und der Gegeninteressen, insbesondere der Informationsinteressen der Öffentlichkeit und der öffentlichen Aufgabe der Medien, in jedem Fall ausgeschlossen ist, hat der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung nicht ausgesprochen. Die Entscheidung 4 Ob 150/08z präzisiert im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR dahin, dass bei Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere Politikern, zu beachten ist, ob die Veröffentlichung einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse leistet oder nur die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Privatleben einer bekannten Person befriedigen will. Im letztgenannten Fall legt der Gerichtshof das Recht der freien Meinungsäußerung weniger weit aus.

Auch die Entscheidung 6 Ob 266/06w steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung 6 Ob 103/07a. Es ist ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Interessenabwägung insofern vorzunehmen ist, als die Interessen des Verletzten in seiner durch Art 8 EMRK geschützten Sphäre den Interessen des Äußernden gegenüber zu stellen sind, wobei im Kernbereich der geschützten Privatsphäre - auch bei Politikern - die Interessenabwägung nur dann zugunsten des Äußernden ausfallen kann, wenn ein allgemeines Informationsinteresse besteht oder der Verletzte seine privaten Lebensumstände öffentlich gemacht hat (6 Ob 211/05f mwN; vgl RIS-Justiz RS0077903; RS0122148; RS0008986). Von dieser Rechtsprechung ist das Rekursgericht nicht abgewichen.

Ob schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die Interessenabwägung ausschlägt, hängt im Allgemeinen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und berührt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 266/06p mwN). Wenn das Rekursgericht der Auffassung war, im Anlassfall sei das Interesse an der Geheimhaltung des Geschlechtslebens des verstorbenen Politikers höher zu bewerten als das Interesse der Beklagten an der Veröffentlichung eines Berichts über einen Artikel in einer Zeitung, in dem ein Jahr nach dem Tod des Politikers (zum Zeitfaktor vgl EGMR 24. 6. 2004, Beschwerde Nr 59320/00 - v. Hannover gegen Deutschland Rz 60) dessen angebliche Homo- oder Bisexualität thematisiert wird, weil der Politiker zu seiner sexuellen Orientierung nie öffentlich Stellung genommen und Homosexualität nicht zum Gegenstand der politischen Debatte gemacht hat, so ist dies eine Beurteilung im Einzelfall, die einer Korrektur nicht bedarf.

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