OGH 11Os59/10a

OGH11Os59/10a22.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Spreitzer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Carl H***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 10. September 2009, GZ 40 Hv 105/09d-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Carl H***** des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (I./) und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 11. November 2008 in Salzburg

I./ Hedda K***** durch Betasten an der Brust oberhalb der Kleidung, sohin eine Person durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt;

II./ außer den Fällen des § 201 Abs 1 StGB eine Person mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung, nämlich des Betastens des Geschlechtsteils genötigt, indem er Hedda K***** gewaltsam an den Oberschenkeln erfasste und massiv zwischen ihren Beinen und Schenkeln zudrückte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO stützt. Sie schlägt fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider erfolgte die Abweisung (ON 15 S 26) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ohne Verletzung von Verteidigungsrechten. Die Beiziehung des Sachverständigen wurde zum Beweis dafür beantragt (ON 16 S 24 f), dass einerseits die von einem Zeugen am 12. November und dem Hausarzt am 19. November 2008 am Opfer wahrgenommenen Blutergüsse nicht vom Vorfall am 11. November 2008 stammen könnten, sowie andererseits dafür, dass Verletzungen des Angeklagten an seiner Hand bei seiner Vernehmung am 16. Dezember 2008 erkennbar gewesen sein müssten. Der Antrag lässt die - hier geboten gewesene - Begründung vermissen (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO), aus welchem Grund ein Sachverständiger rund zehn Monate nach der Tat in der Lage sein sollte, verlässliche Aussagen zum Entstehungszeitpunkt der nicht näher dokumentierten Verletzungen des Opfers sowie zur Erkennbarkeit der dem Angeklagten bei der Tat allenfalls zugefügten Kratzspuren am Handrücken bei dessen vier Wochen später durchgeführten Vernehmung zu treffen.

Mangels Tauglichkeit des Beweismittels läuft dieser Antrag im Ergebnis auf eine Erkundungsbeweisführung (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 18, 36) hinaus, die das Erstgericht zu Recht ablehnte (RIS-Justiz RS0099453, RS0118123; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe für die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen sind prozessual verspätet, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen und daher jedes vom Antragsvorbringen abweichende oder dieses ergänzende Vorbringen unzulässig ist (RIS-Justiz RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

In der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) behauptet der Beschwerdeführer, das Gericht habe wesentliche Widersprüche und Ungereimtheiten in den Aussagen der ihn belastenden Zeugen unberücksichtigt gelassen. Bei seinen, einzelne Passagen daraus isoliert zitierenden Ausführungen verkennt er den Umfang der auf eine gedrängte Darstellung der entscheidenden Umstände beschränkten - unter anderem durch § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO abgesicherten - Begründungspflicht (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO). Das Gericht muss nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtern und darauf untersuchen, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen Einwand im Voraus (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428) auseinander setzen. Auch lässt der Angeklagte außer Acht, dass unter dem Aspekt gesetzeskonformer Darstellung stets an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394) und sich das Aufgreifen formaler Mängel auf entscheidende Tatsachen beziehen muss, das sind solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS-Justiz RS0106268).

Das Erstgericht hat sich - der Beschwerde zuwider - nicht bloß auf die Aussagen der Zeugen Hedda K*****, Tuncay Z***** und Franz Sch***** bezogen, sondern auch die Angaben der Polizeibeamtin Karin L***** und des Max Schw***** (US 11), die ärztliche Bestätigung des Hausarztes Dr. Johannes St***** (US 10) sowie schließlich auch die Verantwortung des Angeklagten berücksichtigt und erörtert (US 6 ff, 11).

Nicht entscheidungswesentlich sind die zur Untermauerung der behaupteten Unvollständigkeit in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, wer bei dem am 11. November 2008 geführten Telefonat zwischen dem Opfer und ihrem Arbeitgeber der Anrufer war, wann jenes dem Tuncay Z***** von dem Vorfall persönlich berichtete und aus welchem Grund die Anfertigung von Digitalfotos der Verletzungen unterblieben ist. Irrelevant und damit nicht erörterungsbedürftig sind der Zeitpunkt des Besuchs der Hedda K***** bei ihrem Hausarzt, der Beginn eines Krankenstands und die Frage, ob ihr der Angeklagte vor dem 11. November 2008 bereits bekannt war. Dem weiteren Vorbringen zuwider hat die Zeugin bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung (ON 7 S 11) nicht angegeben, die Verletzungen lediglich ihrem Verlobten und dem Arzt gezeigt zu haben. Den ins Treffen geführten Umstand, dass sich der Zeuge Tuncay Z***** erst bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung an das Telefongespräch mit dem Tatopfer erinnern konnte, hat das Erstgericht ohnedies berücksichtigt (US 8 f), sodass die Mängelrüge insgesamt keine formalen Begründungsdefizite aufzuzeigen vermag.

Der gleich der Mängelrüge mit Aussagedetails argumentierenden Tatsachenrüge gelingt es nicht - wenn sie auch dem Erfordernis des exakten Hinweises auf konkrete Aktenstellen gerecht wird (vgl RIS-Justiz RS0124172) -, aus den Ergebnissen des Erkenntnisverfahrens gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen abzuleiten, indem sie erneut das Aussageverhalten der Zeugen zu (den bereits oben erörterten) gerade nicht entscheidungswesentlichen Umständen thematisiert. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird durch § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 24 StPO) - gemäß § 285d Abs 1 StPO bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass die rechtliche Subsumtion der dem Angeklagten angelasteten Tathandlungen als Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB und als Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB zu Recht erfolgte, weil nach den maßgeblichen Feststellungen (längere Unterbrechung der Taxifahrt und damit der teils vor dieser [Schuldspruch I./] und teils danach [Schuldspruch II./] gesetzten Tathandlungen; US 4) nicht von einer tatbestandlichen Handlungseinheit auszugehen ist (vgl 11 Os 160/08a).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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