OGH 11Os40/10g

OGH11Os40/10g20.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Spreitzer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Tijan M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die den Angeklagten Harald W***** betreffende Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 20. November 2009, GZ 39 Hv 157/09a-139, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Abwerzger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich Harald W***** in der zum Schuldspruch A.2. erfolgten Annahme der Privilegierung des § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG sowie demzufolge in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten W***** fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen - hinsichtlich der Mitangeklagten Tijan M***** und Martina T***** unbekämpft rechtskräftigen - Urteil wurde Harald W***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und Abs 3 zweiter Fall SMG (A./2./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Großraum Innsbruck

A./2./ ab Februar 2008 bis 27. Jänner 2009 anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen, und zwar durch den gewinnorientierten Verkauf von insgesamt mindestens 3,5 kg Cannabisprodukten (vorwiegend Marihuana) mit zumindest 175 Gramm THC Reinsubstanz an Martina T***** sowie an abgesondert verfolgte und weitere, namentlich nicht bekannte Personen im Zuge unzähliger Teilgeschäfte, wobei er gewerbsmäßig handelte und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt wurde, jedoch selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

B./2./ ab Spätsommer 2007 bis 27. Jänner 2009 vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, und zwar durch wiederholten Erwerb jeweils geringer Mengen von Cannabisprodukten beim abgesondert verfolgten Klaus S***** und weiteren, namentlich nicht bekannten Personen zum persönlichen Gebrauch.

Gegen die Annahme der Privilegierung des § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG richtet sich die auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend zeigt die Mängelrüge auf, dass dem Urteil Begründungsmängel anhaften, die die Privilegierungsvoraussetzungen des § 28a Abs 3 SMG (§ 27 Abs 5 SMG) betreffen und eine Verfahrenserneuerung unumgänglich machen.

Die zitierte Privilegierung kommt dem Täter unter den in § 27 Abs 5 SMG genannten Voraussetzungen zu, wenn er an Suchtmittel gewöhnt ist und die Straftat vorwiegend deshalb begeht, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. „Vorwiegend“ bedeutet, dass mehr als die Hälfte des Gewinnes in neuerliche Suchtmittelbeschaffung fließen sollte (unscharf Litzka/Matzka/Zeder, SMG² § 28a Rz 22 f; § 27 Rz 98; zu Recht nur auf die Absicht zur Tatzeit und nicht auf die spätere aktuelle Verwendung abstellend Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud, SMG § 27 Rz 65; letztere kann allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung zur Frage der in Rede stehenden Absicht Bedeutung erlangen).

Zu Recht zeigt die Staatsanwaltschaft unter dem Gesichtspunkt unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) auf, dass im Zusammenhang mit den Urteilsannahmen zum Vorliegen der Privilegierungsvoraussetzungen des § 28a Abs 3 SMG (US 9) den Angeklagten belastende Verfahrensresultate vom Erstgericht völlig ignoriert wurden.

Die Tatrichter haben zur Begründung die langjährige Suchtgiftabhängigkeit des Angeklagten, seine persönlichen Lebensumstände sowie seine nicht widerlegbare Verantwortung zum erheblichen eigenen Konsum von etwa 1 bis 3 Gramm Cannabis pro Tag herangezogen (US 11 f).

Sie ließen jedoch dabei - worauf die Beschwerdeführerin treffend hinweist - die in der Hauptverhandlung vorgetragene Verantwortung des Angeklagten aus dem Ermittlungsverfahren, wonach er lediglich ab und zu bzw fallweise ein paar Joints die Woche rauche, wobei er jeweils nur ein Zehntel Gramm Marihuana bzw Haschisch pro Joint verbrauche, und zur Verwendung der Gewinne aus den Suchtgiftverkäufen erklärte, er habe damit seine beiden Töchter unterstützen wollen, er habe das Geld für die Familie und die Kinder benötigt (ON 28 S 21 ff [25] und S 37 ff [43, 45]; ON 32 [S 3]), völlig unberücksichtigt.

Es liegt somit ein Begründungsdefizit vor, wobei zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Tatrichter bei entsprechender Berücksichtigung dieser Beweisergebnisse zu einer anderen Einschätzung der Verwendung der Suchtgiftverkaufserlöse gelangt wären.

Wegen des aufgezeigten Begründungsfehlers erweist sich - wie bereits die Generalprokuratur ausführte - die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung als unvermeidlich, ohne dass auf die Subsumtionsrüge (Z 10) einzugehen war.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, hinsichtlich Harald W***** in der zum Schuldspruch A.2. erfolgten Annahme der Privilegierung des § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG sowie demzufolge in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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