OGH 4Ob10/10i

OGH4Ob10/10i20.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) B***** GmbH, und 2.) B***** I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1.) P***** GmbH, 2.) A***** P*****, und 3.) H***** P*****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Unterlassung, 1.000 EUR sA und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 69.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Dezember 2009, GZ 6 R 191/09i-22, womit der Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 23. Oktober 2009, GZ 29 Cg 121/09d-17, in der Hauptsache zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekurses bilden weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerinnen betreiben ein Unternehmen zur Backmittelerzeugung, in dem Produkte für Brot, Gebäck, feine Backwaren und Konditoreiwaren hergestellt und vertrieben werden. Die Erstbeklagte betreibt eine Mühlenanlage zur Produktion von Mehl und beschäftigt sich außerdem mit der Herstellung von Backmitteln; der Zweitbeklagte und der Drittbeklagte sind jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer der Erstbeklagten.

Die Gewerbebehörde erteilte der Erstbeklagten die Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage, wobei bestimmte die Immission von Lärm betreffende Auflagen vorgeschrieben wurden. Als einstweilige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahme verfügte die Gewerbebehörde in weiterer Folge die unverzügliche Einstellung des Betriebs der vorher mit Bescheid genehmigten Betriebsanlagenteile, soferne die Lärmimmissionsauflagen nicht erfüllt werden. Daraufhin erneuerte die Erstbeklagte die Schalldämpfungsanlagen und beantragte den Widerruf der verfügten einstweiligen Zwangs- und Sicherungsmaßnahmen. Sie führte dazu aus, durch die Erneuerung des Schalldämpfers die eine Auflage erfüllt zu haben, die Erfüllung der anderen Auflage werde folgen, sobald die Witterungssituation es zulasse. Schließlich widerrief die Gewerbebehörde die verfügte einstweilige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahme, nachdem entsprechende schalltechnische Prüfberichte bei ihr eingelangt waren.

Mit einem weiteren Bescheid vom 7. 7. 2009 trug die Gewerbebehörde der Erstbeklagten auf, den Betrieb der seinerzeit genehmigten Betriebsanlagenteile im Mühlenbetrieb, für die die schalltechnischen Auflagen nicht erfüllt werden, in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr unverzüglich einzustellen, weil sich aus den Berichten des von der Erstbeklagten betrauten Ziviltechnikers ein hoher Schallpegelwert ergebe. Es gehe nicht an, dass Schallreflexionen und Messungenauigkeiten zum Nachteil der Nachbarn ausschlagen.

Nach Erledigung weiterer zur Sicherung inhaltsgleicher Unterlassungsbegehren von den Klägerinnen gestellter Sicherungsbegehren wies das Erstgericht das allein offen gebliebene Sicherungsbegehren der Klägerinnen, wonach den Beklagten der Betrieb ihrer Mühlenanlage im Nachtzeitraum von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr verboten werden solle, solange der Nachtbetrieb von der Gewerbebehörde untersagt sei, ab. Ausgehend von der Feststellung, dass die Beklagten dem im Bescheid der Gewerbebehörde vom 7. 7. 2009 ausgesprochenen Nachtbetriebsverbot, jeweils in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr (soweit es den Mühlenbetrieb betrifft) nicht zuwidergehandelt haben, verneinte es den von den Klägern aus einem solchen Verstoß abgeleiteten lauterkeitsrechtlichen Rechtsbruch der Beklagten.

Das Rekursgericht wies den dagegen von den Klägerinnen erhobenen Rekurs (in der Hauptsache) zurück. Die Klägerinnen seien durch den angefochtenen Beschluss nicht beschwert, weil das Nachtbetriebsverbot, für dessen Dauer die einstweilige Verfügung beantragt worden sei, mit Bescheid der Gewerbebehörde vom 11. 8. 2009 widerrufen worden sei. Aufgrund des Widerrufs des Nachtbetriebsverbots sei es begrifflich ausgeschlossen, dass die Beklagten dem im Bescheid vom 7. 7. 2009 verfügten Unterlassungsgebot zuwiderhandeln könnten. Eine Exekutionsführung der Klägerinnen aufgrund einer dem Sicherungsantrag stattgebenden Entscheidung komme nicht in Frage. Damit könne der Rekurs seinen eigentlichen Zweck, eine vollstreckbare einstweilige Verfügung zu erwirken, nicht mehr erreichen. Der meritorischen Behandlung des Rekurses in der Hauptsache käme nur noch abstrakt-theoretische Bedeutung zu. Es fehle das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderliche Rechtsschutzinteresse, das noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel vorliegen müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerinnen, mit dem sie die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung anstreben, ist zulässig und im Sinn ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die Klägerinnen machen zu Recht geltend, die Aufhebung des konkreten gewerbebehördlichen Nachtbetriebsverbots mache einen weiteren Verstoß im Sinn des hier gestellten Unterlassungsbegehrens nicht unmöglich. Das Unterlassungsbegehren hat nicht den konkreten Bescheid der Gewerbebehörde vom 7. 7. 2009 (Nachtbetriebsverbot) zum Gegenstand, sondern will allgemein das Zuwiderhandeln gegen gewerbebehördliche Nachtbetriebsverbote unterbinden. Derartige Verhaltensweisen sind in der Zukunft ohne weiteres denkbar. Die Zurückweisung des Rekurses mangels Beschwer, weil in der Zukunft ein Zuwiderhandeln nicht mehr möglich wäre, widerspricht daher den Grundsätzen der Rechtsprechung. Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt (nur dann), wenn die Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung hätte, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495; vgl auch RS0041770). Davon kann im vorliegenden Fall aber ungeachtet des Widerrufs eines konkreten, die Betriebsanlage der Beklagten betreffenden Nachtbetriebsverbots keine Rede sein.

Das Rekursgericht wird daher - auch die Hauptsache betreffend - unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund die sachliche Berechtigung des gegen die erstgerichtliche Abweisung des Sicherungsbegehrens gerichteten Rekurses der Klägerinnen zu prüfen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Beklagten war verspätet. Die Frist für die Revisionsrekursbeantwortung beträgt im Sicherungsverfahren ebenso wie die Rekurs- und -beantwortungsfrist 14 Tage (§ 402 Abs 3 EO). Da die Verständigung von der Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung dem Vertreter der Beklagten bereits am 25. Februar 2010 zugestellt worden war, war die Frist bei Einbringung der Revisionsrekursbeantwortung am 25. März 2010 längst abgelaufen.

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