OGH 9Nc7/10v

OGH9Nc7/10v6.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der beim Arbeits- und Sozialgericht Wien zur AZ 33 Cga 73/05d anhängigen Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gabriele K*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), über den von der klagenden Partei gestellten Antrag auf Ablehnung aller Richter des Oberlandesgerichts Wien sowie auf Delegierung der Rechtssache „an eines der anderen Oberlandesgerichte“ den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Wien Dr. Wolfgang P***** und Dr. Gerhard J*****, der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien Dr. Andreas L***** sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Wien Dr. Monika J***** und Dr. Wilma D***** sind befangen.

2. Im Übrigen wird der Ablehnungs- und Delegierungsantrag abgewiesen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin, die zuletzt als Vertragsbedienstete beim Bezirksgericht F***** beschäftigt war, wurde am 17. 2. 2005 vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien als zuständiger Dienstbehörde entlassen. Mit ihrer Klage begehrt sie die Feststellung des aufrechten Bestands ihres Dienstverhältnisses.

Das Erstgericht gab dem Begehren nur hinsichtlich eines Zeitraums bis einschließlich 30. 6. 2005 statt, das Mehrbegehren wies es ab.

Mit ihrer dagegen erhobenen Berufung verband die Klägerin einen Antrag auf Ablehnung sämtlicher Richter des Oberlandesgerichts Wien und auf Delegierung der Arbeitsrechtssache an ein anderes Oberlandesgericht als Berufungsgericht. Zur Begründung dieser Ablehnung führte sie aus, dass der Präsident bzw der mit der Entlassung unmittelbar befasste Vizepräsident des zuständigen Berufungsgerichts nicht nur die für die Klägerin zuständige Personalstelle repräsentierten, sondern auch Dienstbehörde I. Instanz für alle Richter des Oberlandesgerichts Wien seien. Damit „erscheine die erforderliche Sicherheit der Unbefangenheit dieser Richter nicht als im vollen erforderlichen Sinn voraussetzbar“, sodass diese iSd § 19 Z 2 JN befangen seien. Insbesondere sei zu befürchten, dass Richter das Anliegen des Präsidenten, die Klägerin vom Dienst fernzuhalten, nicht ausreichend objektiv beurteilen könnten. Nicht nur das Fehlen von Abmahnungen der Klägerin stehe zur Beurteilung an, sondern auch die Frage der Rechtzeitigkeit der Entlassung. Überdies habe die Beklagte einen bedingten Vergleich widerrufen, worin auch das besondere Interesse der Dienstgeberin an einer Beendigung des Dienstverhältnisses der Klägerin zum Ausdruck komme.

Das Oberlandesgericht Wien zeigte nunmehr seine Behinderung zur Entscheidung über den gegen sämtliche Richter des Oberlandesgerichts gerichteten Ablehnungsantrag an.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 23 JN entscheidet über die Ablehnung, falls ein Gerichtshof beschlussunfähig werden sollte, der zunächst übergeordnete Gerichtshof. Das Oberlandesgericht Wien wurde durch die Ablehnung sämtlicher Richter dieses Gerichtshofs beschlussunfähig. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Ablehnung pauschal erfolgte. Zur Entscheidung ist daher der Oberste Gerichtshof berufen (vgl 1 Ob 299/97w; 1 Nc 17/08b, 1 Nc 18/08z).

zu 1.) Der Vizepräsident des Oberlandesgerichts Dr. P***** und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. J***** waren als Vertreter des Dienstgebers mit der Dienstrechtssache der Klägerin konkret befasst und erachteten sich auch subjektiv als befangen. Der Vizepräsident des Oberlandesgerichts Dr. J***** sah seine Befangenheit ebenfalls in seiner Funktion als Organ der Justizverwaltung und in seinem Naheverhältnis zu den auf Dienstgeberseite einschreitenden Personen, Letzteres führte auch die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. D***** in ihrer Stellungnahme ins Treffen.

Diese Gründe reichen im Zusammenhang damit, dass dann, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt, im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen ist (RIS-Justiz RS0046053), konkret aus, um eine Befangenheit iSd § 19 Z 2 JN für gegeben zu erachten.

Der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Dr. L***** fühlte sich zwar subjektiv nicht befangen, verwies jedoch auf Bedenken, die sich daraus ergeben, dass er beim Bezirksgericht F***** als Richter tätig gewesen sei und daher einen Gutteil der vernommenen, bei diesem Gericht beschäftigten Zeugen persönlich kenne. Dieser Umstand ist im vorliegenden Fall objektiv geeignet, den Anschein entstehen zu lassen, der Richter könne sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten lassen; ein solcher Anschein soll jedenfalls vermieden werden (RIS-Justiz RS0045052).

zu 2.) Im Übrigen ist der Ablehnungsantrag zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach gesicherter Lehre und Rechtsprechung ist die Ablehnung eines ganzen Gerichts nur durch die Ablehnung eines jeden einzelnen seiner Richter unter Angabe detaillierter (konkreter) Ablehnungsgründe gegen jeden dieser Richter möglich (1 Ob 299/97w uva; zuletzt etwa 1 Nc 17/08b, 1 Nc 18/08z). Wie der Oberste Gerichtshof allerdings schon mehrfach ausgesprochen hat, liegt - wie hier - eine undifferenzierte Pauschalablehnung eines Gerichtshofs als Institution dann nicht vor, wenn dem Antrag zu entnehmen ist, dass bei jedem einzelnen, wenn auch nicht namentlich genannten Richter dieselben Ablehnungsgründe vorliegen, die auf jeden in gleicher Weise zutreffen (3 Ob 175/97z mwN).

Die übrigen Richter des Oberlandesgerichts Wien erklärten sich für subjektiv nicht befangen. Soweit aber ein Senatspräsident, eine Richterin und ein Richter des Oberlandesgerichts die Befürchtung äußerten, es könne wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Gericht objektiv der Eindruck einer Befangenheit entstehen, ist auf die weiteren Ausführungen zu verweisen.

Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss, auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte, oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung; Gerechtigkeit soll nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden (5 Nc 11/04v mwN). Die Vermutung spricht aber für die Unparteilichkeit eines Richters, solange nicht Sachverhalte dargetan sind, die das Gegenteil annehmen lassen. Insbesondere bei größeren Gerichten reicht daher der Umstand, dass ein nicht dem Senat angehörender Kollege in ein anhängiges Verfahren involviert sein könnte, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder des Gerichts auch dann anzunehmen, wenn sie darlegen, nicht befangen zu sein (9 Nc 12/09b, 5 Nc 11/04v). So wurde auch im Fall der Involvierung eines Personalsenatsmitglieds ausgesprochen, dass diese Stellung - ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände - allein nicht ausreicht, um andere Richterkollegen in den Verdacht der Befangenheit geraten zu lassen (5 Nc 11/04v). Diese Erwägungen müssen auch hier gelten: Zum einen sind Präsident und Vizepräsident keine unmittelbar Verfahrensbeteiligten und wurden bei der vorliegenden Entlassung auch nur im Namen und im Interesse des Dienstgebers Republik Österreich tätig, woraus sich nicht zwingend ein persönliches Interesse ableiten lässt. Zum anderen kann - mit dem besonderen Schutz der Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit ausgestatteten - Richtern nicht unterstellt werden, sich nur deshalb von anderen als sachlichen Motiven leiten zu lassen, weil die Entlassung einer anderen Dienstnehmerin von der auch ihnen vorgesetzten Dienstbehörde ausgesprochen wurde, zumal besondere Umstände nicht hinzugetreten sind.

Da das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht somit über ausreichend nicht befangene Richter zur Entscheidung in der Sache verfügt, liegen auch die Vorausssetzungen für eine Delegierung nach § 30 JN nicht vor.

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