OGH 6Ob27/10d

OGH6Ob27/10d19.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der in das Firmenbuch zu FN *****eingetragenen G***** GmbH mit dem Sitz in D*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Geschäftsführers G***** W*****, vertreten durch Hopmeier & Wagner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 28. Dezember 2009, GZ 3 R 169/09s-71, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG iVm § 15 Abs 1 FBG).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass Maßnahmen wie ein vorheriges verwaltungsbehördliches Genehmigungsverfahren (im vorliegenden Fall nach den §§ 4 Abs 1 lit h, 23 Abs 1 und 29 TirGVG 1996) einen Verstoß gegen das Verbot der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt, entspricht der gesicherten (vom Rekursgericht zitierten) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 1. 12 2005, Rs C-213/04 , Burtscher, Slg 2005, I-10309 Tz 44, 57-59; 2. 6. 2005, Rs C-174/04 , Kommission/Italien, Slg 2005, I-4933 Tz 28; 13. 5. 2003, Rs C-98/01 , Kommission/GB, Slg 2003, I-4641 Tz 47; 13. 5. 2003, Rs C-463/00 , Kommission/Spanien, Slg 2003, I-4581 Tz 61; 4. 6. 2002, Rs C-483/99 , Kommission/Frankreich, Slg 2002, I-4781 Tz 37, 41; 4. 6. 2002, Rs C-367/98 , Kommission/Portugal, Slg 2002, I-4731 Tz 50; 14. 12. 1995, verb Rs C-163, 165, 250/94, Sanz de Lera ua, Slg 1995, I-4821 Tz 23; SA GA Maduro vom 6. 4. 2006 in den verb Rs C-282, 283/04, Kommission/Niederlande, Slg 2006, I-9141 Tz 32; SA GAin Stix-Hackl vom 3. 10. 2006 in der Rs C-370/05 , Festersen, Slg 2007, I-1129 Tz 20).

1.2. Gleiches gilt für Sanktionen für Verstöße gegen grundverkehrsrechtliche Bestimmungen beim Grunderwerb (EuGH Rs Ospelt Tz 44 f; Rs Konle Tz 47 f), insbesondere Nichtigkeitssanktionen bei unterlassener Anzeige eines genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfts (EuGH Rs Burtscher Tz 54 ff insb 62) oder Beschränkungen bei der Nutzung einer Liegenschaft (EuGH Rs Burtscher Tz 57-59).

1.3. Wie das Rekursgericht weiters zutreffend ausgeführt hat, können solche Beschränkungsverbote nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann zulässig sein, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel in nicht diskriminierender Weise verfolgt wird und wenn es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht, also geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was hiezu erforderlich ist (EuGH Rs Burtscher Tz 44; Rs Ospelt Tz 34; 15. 5. 2003, Rs C-300/01 , Salzmann, Slg 2003, I-4899 Tz 42; 5. 3. 2002, verb Rs C-515, 519-524, 526-540/99, Reisch, Slg 2002, I-2157 Tz 33; 22. 1. 2002, Rs C-390/99 , Canahl Satélite Digital, Slg 2002, I-607 Tz 33; Rs Konle Tz 40; SA GAin Stix-Hackl Rs Festersen Tz 21 ff; SA GA Maduro Rs Kommission/Niederlande Tz 33 ff).

1.4. Der Europäische Gerichtshof war bereits mehrfach mit verschiedenen Sanktionssystemen nach österreichischen Grundverkehrsgesetzen befasst. In diesem Zusammenhang hat der EuGH auch entschieden, dass ein Erklärungsverfahren im Zusammenwirken mit nachfolgenden Sanktionen für den Fall materiell rechtswidriger Erklärungen den freien Kapitalverkehr tendenziell weniger einschränkt als ein vorangehendes Genehmigungsverfahren, selbst wenn die Sanktionen so abschreckend sind, dass die zB verfolgten Ziele der Raum- und Siedlungsplanung tatsächlich von den Grunderwerbern beachtet werden (EuGH zB Rs Burtscher Tz 58). Auch allfällige finanzielle Sanktionen (Geldbußen) für den Fall der Erschleichung eines Liegenschaftserwerbs (EuGH zB Rs Salzmann Tz 51; Rs Konle Tz 47) oder der bescheidmäßige Auftrag zur Unterlassung der unzulässigen Verwendung der Liegenschaft als Zweitwohnsitz unter Androhung der Zwangsversteigerung (EuGH Rs Konle Tz 47) sowie die Möglichkeit - etwa durch den Landesgrundverkehrsreferenten - einer Klage auf Nichtigerklärung des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts allenfalls mit nachfolgender Räumungsexekution zwecks Wiederherstellung des ordnungsgemäßen Grundbuchsstands (EuGH Rs Ospelt Tz 44 ff; Rs Salzmann Tz 51; Rs Reisch Tz 36; Rs Konle Tz 47) sowie schließlich die Befugnis zum Beispiel der Grundverkehrsbehörde zum Antrag auf Zwangsversteigerung bei den ordentlichen Gerichten (EuGH Rs Salzmann Tz 51) sind nach der gesicherten Rechtsprechung des EuGH verglichen mit vorangehenden Genehmigungsverfahren für die Teilnehmer am freien Kapitalverkehr weniger beschwerlich.

1.5. Das Rekursgericht hat schließlich zutreffend erkannt, dass daher die Grundsätze der Kapitalverkehrsfreiheit (Art 56 EG bzw Art 63 AEUV) einem den hier zu beurteilenden Anteilserwerbsgeschäften vorangehenden Genehmigungsverfahren wie zB nach § 4 Abs 1 lit h TirGVG 1996 entgegen stehen. Diese Genehmigungspflichten und ihre zivilrechtlichen Sanktionen insbesondere nach § 3 Abs 2 TirGVG 1996 werden daher als die einschneidenderen und damit nicht rechtfertigbaren Maßnahmen in den freien Kapitalverkehr von den dargelegten Grundsätzen ua des freien Kapitalverkehrs überlagert; sie sind von nationalen Gerichten unangewendet zu lassen.

2. Die Vorinstanzen haben daher die beiden Geschäftsanteilserwerbsgeschäfte der H*****B.V. vom Rekurswerber G***** W***** und von P***** C*****, selbst wenn sie im Widerspruch mit den Grundsätzen des § 4 Abs 1 lit h TirGVG 1996 stünden, zu Recht nicht als nichtig oder unwirksam betrachtet, weil die allenfalls Nichtigkeit oder Unwirksamkeit bewirkende landesgrundverkehrsrechtliche Norm im Widerspruch zum freien Kapitalverkehr steht und deshalb aus den dargelegten gemeinschaftsrechtlichen Gründen keine Beachtung finden darf.

3.1. Im Übrigen ergibt sich selbst nach nationalen österreichischen Rechtsgrundlagen keineswegs die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der beiden Erwerbsakte der H***** B.V.:

3.2. Nach ganz herrschender Auffassung (vgl Kalss, Gesellschaftsrechtliche Implikationen des Grundverkehrsrechts, wobl 1996, 1 ff, 45 ff; Fuith, Tiroler Grundverkehrsgesetz [2009] 20, 54 f) sind die Genehmigungspflichten der einzelnen Landesgesetze unter anderem über Genehmigungspflichten beim Gesellschaftsanteilserwerb einschränkend auszulegen: Einerseits stellt die Genehmigungspflicht einen schwerwiegenden Eingriff in die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar und führt, wenn man sie nicht einzelfallorientiert, sondern nur schematisiert anwendet, wie das die meisten Landesgrundverkehrsregelungen wie zB das TirGVG 1996 tun, zu unbilligen und den eigentlich verfolgten Zielen - angemessene Kontrolle über die angemessenen Nutzungsrechte an Liegenschaften - entfremdeten Ergebnissen. Andererseits sind die einzelnen landesrechtlichen Regelungen in Österreich über die Genehmigungspflicht an so unterschiedliche Kriterien angeknüpft, dass sie schon vom Regelungsziel her jeweils auf ihre Zweckgerechtigkeit hin überprüft werden müssen (Kalss aaO 47; vgl Fuith 55).

3.3. Daher kann eine behördliche Zustimmung für Beteiligungserwerbsgeschäfte nur in jenen Fällen greifen, in denen mit dem Beteiligungserwerb tatsächlich ein Nutzungsrecht oder zumindest die Durchsetzbarkeit eines derartigen Nutzungsrechts an Liegenschaften direkt verbunden ist (Kalss aaO 48 f). Dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Einerseits jene Genehmigungstatbestände, die an ein ausdrücklich vereinbartes schuldrechtliches Nutzungsrecht, das im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb verabredet wird, anknüpfen; andererseits jene Tatbestände, die eine Genehmigungspflicht dann vorsehen, wenn mit dem Beteiligungserwerb ein faktisches Nutzungsrecht an der Liegenschaft einhergeht (Kalss aaO 48). Mit dem Erwerb einer Gesellschaftsbeteiligung ist nämlich grundsätzlich noch kein Recht auf Nutzung einer Gesellschaftseinrichtung, zB konkret einer Liegenschaft, eines Gebäudes oder einer Wohnung verbunden. Vielmehr bedarf dies einer gesellschaftsvertraglichen oder einer besonderen schuldrechtlichen Regelung (Kalss aaO 48).

3.4. Selbst Regelungen, die grundverkehrsbehördliche Genehmigungen nicht bloß auf die mit dem Erwerbsakt vermittelte Nutzungsbefugnis an den Liegenschaften beschränken, wie das TirGVG 1996, sind daher teleologisch zu reduzieren (Kalss aaO 48 f).

3.5. Im vorliegenden Fall ist nun eine besondere schuldrechtliche Nutzungsvereinbarung zu Gunsten der H***** B.V. weder behauptet noch nach den Firmenbuchakten jemals vereinbart worden. Nach der hier getroffenen gesellschaftsrechtlichen Regelung sind Verfügungen über die im Eigentum der Gesellschaft stehenden Liegenschaften nur mit 9/10 des Gesellschaftskapitals möglich. Auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder Abberufungen oder Neubestellungen des Geschäftsführers sind nur mit dieser qualifizierten 9/10-Mehrheit des Geschäftskapitals möglich. Im Eigentum der H***** B.V. stehen aber nur 85 % des Gesellschaftskapitals und nicht 90 %. Daher ist gegen den Willen des Revisionsrekurswerbers eine direkte Verfügung der H***** B.V. über die im Eigentum der Gesellschaft stehenden Liegenschaften nicht möglich.

3.6. Daher begründen die beiden Erwerbsakte der H***** B.V. weder eine gesellschaftsrechtlich begründete faktische noch eine besonders vereinbarte schuldrechtliche Durchgriffsmöglichkeit des ausländischen Gesellschafters auf die im Eigentum der Gesellschaft stehenden Liegenschaften und ihre daran bestehenden Nutzungsbefugnisse. Bei der nach dem Gesagten erforderlichen teleologischen Reduktion der Regelung des § 4 Abs 1 lit h TirGVG 1996 bloß auf unmittelbar die Nutzungsbefugnis an der Liegenschaft betreffende Erwerbsakte kann sich daher eine allfällige grundverkehrsbehördliche Genehmigungspflicht keinesfalls auf diese beiden Notariatsakte beziehen (Kalss aaO 49 f). Auch die Nichtigkeitssanktion des § 879 ABGB ist deshalb teleologisch auf den - wie dargestellt ebenfalls teleologisch reduzierten - Normzweck des TirGVG 1996, nämlich unmittelbar die Nutzungsbefugnis an der Liegenschaft betreffende gesellschaftsrechtliche Erwerbsakte zu erfassen, zu reduzieren (Kalss aaO 50 mwN).

4.1. Die im Revisionsrekurs weiters vertretene Auffassung, das Rekursgericht habe die Bindungswirkung außer Acht gelassen, weil es die Entscheidung im Grundverkehrsverfahren nicht abgewartet habe, übersieht, dass Bindungsfragen nur bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung auftreten können (aber im Zivilverfahren keine Pflicht zur Unterbrechung des Verfahrens bis zum Ausgang eines präjudiziellen Verwaltungsverfahrens besteht); § 19 FBG sieht vielmehr lediglich eine fakultative Unterbrechung vor (G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FGB § 19 Rz 2 mwN).

4.2. Kriterien für die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Interessenabwägung sind neben dem in § 19 FBG ausdrücklich angeführten Interesse an einer raschen Entscheidung stets auch die aus einer Unterbrechung resultierende Verzögerung, der aus einer eigenständigen Klärung durch das Firmenbuchgericht resultierende Mehraufwand (vgl § 25 Abs 2 AußStrG) sowie der potentielle Erkenntnisgewinn durch Abwarten des anderen Verfahrens (G. Kodek aaO Rz 6). Auch die mangelnde Erfolgsaussicht kann ein wesentlicher Aspekt sein (G. Kodek aaO mwN). In Hinblick auf die vom Rekursgericht zutreffend dargelegte und im Vorigen referierte ständige Rechtsprechung des EuGH ist vom Abwarten des Grundverkehrsverfahrens im Sinne der angeführten Kriterien kein die Verzögerung rechtfertigender zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten (vgl G. Kodek aaO Rz 6). Dazu kommt, dass der Revisionsrekurswerber bereits einmal die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen grundverkehrsbehördliche Vorschriften behauptet hat. Die auf dieses Vorbringen gestützte Wiederaufnahmsklage wurde zwischenzeitig zurückgewiesen, weil dieser Einwand bereits im ursprünglichen Verfahren hätte geltend gemacht werden können (6 Ob 230/09f). Bei dieser Sachlage bestand aber für die Vorinstanzen keine Veranlassung für eine Unterbrechung des Firmenbuchverfahrens.

5. Damit bringt der Revisionsrekurs aber keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass dieser spruchgemäß zurückzuweisen war.

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