OGH 2Ob118/09f

OGH2Ob118/09f4.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** Versicherung AG, *****, 2. Claudia Z*****, beide vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 249.252,39 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. März 2009, GZ 13 R 253/08h-22, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Oktober 2008, GZ 56 Cg 140/07f-16, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.832,40 EUR (darin enthalten 472,07 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der bei der klagenden Sozialversicherungsanstalt Versicherte prallte im Jänner 2001 mit seinem Pkw beim Überholen des von der Zweitbeklagten gelenkten Pkws frontal gegen einen Lieferwagen und wurde schwer verletzt. Die Klägerin erkannte ihrem Versicherten mit Bescheid vom Oktober 2001 Leistungen zu und prüfte in der Folge das Bestehen von Regressforderungen. Sie ging zunächst von einem Alleinverschulden ihres Versicherten aus und ließ es bei der - bereits im Juli 2001 erfolgten - Einsicht in die Polizeianzeige bewenden, obwohl dem (späteren) Strafakt Hinweise auf ein allfälliges Mitverschulden der Zweitbeklagten zu entnehmen gewesen wären. Der Versicherte brachte Anfang 2004 Klage gegen die Rechtsvorgängerin der Erstbeklagten und die Zweitbeklagte ein und erwirkte im Jänner 2006 die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus dem Verkehrsunfall im Ausmaß von 50 %. Die Klägerin richtete erstmals im Jahr 2007 ein Aufforderungsschreiben an die Erstbeklagte.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten den Ersatz der Hälfte der von ihr an ihren Versicherten erbrachten Leistungen. Für den Sozialversicherungsträger laufe eine eigene Verjährungsfrist, die von der Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger unabhängig sei.

Die Beklagten wendeten im Wesentlichen die Verjährung des Anspruchs ein.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage wegen Verjährung ab. Den Geschädigten bzw Legalzessionar treffe eine Erkundigungspflicht. Wenn die notwendigen Voraussetzungen für eine Anspruchsverfolgung ohne besondere Mühe in Erfahrung gebracht werden können, gelte die Kenntnisnahme schon in dem Zeitpunkt als erlangt, in welchen sie dem Geschädigten (Legalzessionar) bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Einsicht in den Strafakt wäre zumutbar gewesen. Aus diesem hätten sich Anhaltspunkte für ein Verschulden der Zweitbeklagten ergeben.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zwar die Frage, welche Nachforschungen einem Geschädigten zur Ermittlung von Schaden und Schädiger zumutbar seien, von den Umständen des Einzelfalls abhänge, es hier aber doch ganz allgemein darauf ankomme, inwieweit ein Sozialversicherungsträger Akteneinsicht in einem Strafverfahren zu nehmen habe.

Die Klägerin macht in ihrer Revision als erheblich die Rechtsfrage geltend, ob ein Sozialversicherungsträger nach ergebnislos beendeter Regressprüfung noch weitere Nachforschungen anzustellen habe, auch wenn kein Anhaltspunkt für das Bestehen eines Fremdverschuldens gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist unzulässig.

1. Für den Sozialversicherungsträger, der gemäß § 332 ASVG eine Schadenersatzforderung des Verletzten (Sozialversicherten) schon im Zeitpunkt des Entstehens der Schadenersatzforderung erwirbt, beginnt die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst dann zu laufen, wenn er selbst die Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat oder erlangen hätte können (RIS-Justiz RS0116986).

2. Wenn der Geschädigte (Legalzessionar) die für die Erfolg versprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungspflicht darf nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327).

3. Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht des Geschädigten (Legalzessionars) über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0113916).

4. Im vorliegenden Fall erachtete das Berufungsgericht eine (neuerliche) Einsichtnahme in den Strafakt in einem fortgeschritteneren Verfahrensstadium als der bloßen Polizeianzeige für die Klägerin zumutbar, und zwar unbeschadet des Umstands, dass das Strafverfahren gegen den bei ihr Versicherten und den Lenker des dann bei ihr entgegen gekommenen Fahrzeugs geführt wurde und (noch) nicht gegen die Zweitbeklagte. Diese Beurteilung, wonach eine angemessene Erkundigung durch den Sozialversicherungsträger hier die (nochmalige) Einsicht in den Strafakt erfordert hätte, ist im Einzelfall vertretbar und hält sich im Rahmen der Rechtsprechung zur Erkundigungspflicht (vgl insbesondere RIS-Justiz RS0034335 [T7]), liegt es doch im Bereich der Lebenserfahrung - auch für die Rechtsabteilung der Klägerin -, dass sich im Laufe von Gerichtsverfahren die Frage des (Mit-)Verschuldens am Zustandekommen eines Verkehrsunfalls mit mehreren Beteiligten abweichend von den ursprünglichen Annahmen darstellen kann.

Mangels Vorliegens von Rechtsfragen erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, weshalb die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich anzusehen sind.

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