OGH 14Os129/09s

OGH14Os129/09s2.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerald Z***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. Mai 2009, GZ 051 Hv 26/09d-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerald Z***** zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (1 und 3) und des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er am 24. Juni 2007 in Wien

(1 und 3) Michal F***** am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, indem er dem am Boden Liegenden entweder einen Fußtritt gegen die rechte Flankenregion versetzte oder ihn stark mit dem Knie im Rückenbereich fixierte, wodurch dieser eine Prellung der rechten Niere mit Beimengung roter Blutkörperchen im Harn erlitt (1), und indem er ihn bei der Festnahme gewaltsam zu Boden warf, wodurch er Hämatome am Hals erlitt (3);

(2) (zu ergänzen:) als Polizeibeamter (US 5) mit dem Vorsatz, Michal F***** in seinem Recht auf persönliche Freiheit und die Republik Österreich in ihrem konkreten Recht auf Vollziehung der Strafrechtspflege im Rahmen der Gesetze zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er Michal F***** (ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen als „Retorsionsmaßnahme“; US 12) festnahm, ihm Handschellen anlegte, ihn in den Arrestbereich der Polizeiinspektion 22 bringen ließ und wahrheitswidrig (US 12) Anzeige wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gegen ihn erstattete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Soweit sie andeutungsweise Nichtigkeit aus Z 5 erster Fall mit der Begründung behauptet, es sei „bei entscheidungsrelevanten Ausführungen in den Gründen“ „nicht immer einwandfrei erkennbar“, „ob es sich hiebei um Feststellungen oder rechtliche Beurteilung handelt“, mangelt es ihr an deutlicher und bestimmter Bezeichnung der ihrer Ansicht nach undeutlichen Konstatierungen (vgl §§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO).

Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend waren die Tatrichter nicht verhalten, sich im Detail mit den - mit ausführlicher Begründung (US 14 ff) - insgesamt (und explizit auch in Betreff angeblich gegen Michal F***** bestehenden begründeten Verdachts des versuchten Diebstahls eines Rucksacks [US 15]) als unglaubwürdig erachteten Angaben des Beschwerdeführers zum Geschehensablauf auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098778). Ob Michal F***** mit dem Rucksack auf die Polizeibeamten zuging, nachdem er diesen - wovon die Tatrichter ausgingen - aufgehoben hatte, um Nachschau nach seinem verlorenen Taschenmesser zu halten und vom Angeklagten angesprochen worden war (US 7), ist für die Feststellung entscheidender Tatsachen unerheblich, womit seine - in der Beschwerde zudem isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen zitierten - Angaben (vgl ON 8 S 98) insoweit auch nicht erörterungsbedürftig im Sinn der Z 5 zweiter Fall waren.

Dem Einwand, das Erstgericht habe „den Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt durch wahrheitswidrige Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zum Teil mit aktenwidriger Argumentation (zur Glaubwürdigkeit des Entlastungszeugen B*****) begründet“, fehlt es erneut an deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände.Die Behauptung unzureichender Begründung zufolge ausschließlicher „Berufung auf das Notrufprotokoll“ ignoriert prozessordnungswidrig die insoweit zentralen Erwägungen der Tatrichter. Diese stützten die entscheidungswesentlichen Feststellungen zum (dem Beschwerdeführer bekannten) Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Festnahme und zur bewusst wahrheitswidrigen Anzeigenerstattung nämlich auf eine Reihe von Verfahrensergebnissen (darunter auch die in der Hauptverhandlung vorgeführte akustische Aufzeichnung des Anrufs des Michal F***** beim polizeilichen Notruf während der Festnahme), insbesonders auf die für glaubwürdig erachteten Depositionen des Michal F***** (US 13 ff), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist.

Dass der Genannte nach den Feststellungen weder versuchte, sich bei der Festnahme loszureißen, noch den Angeklagten vor oder währenddessen mit Tritten und Stößen attackierte (US 10), steht - dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge zuwider - nicht im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu der Urteilsannahme, wonach er „jede Gegenwehr aufgegeben hatte“, nachdem er - insoweit von der Beschwerde ignoriert - zunächst geschrien, gerufen und sich aufgrund der starken Fixierung mit dem Knie auf seinem Rücken „zur Schmerzvermeidung auf die Seite zu drehen versucht“ hatte (US 9).

Soweit die Beschwerde in Betreff des Schuldspruchs 1 „hilfsweise“ Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5 zweiter Fall) unter Berufung auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. Wolfgang D***** behauptet, genügt es zu erwidern, dass sich die als übergangen reklamierten Äußerungen des Experten dem Protokoll über die Hauptverhandlung nicht entnehmen lassen. Ein auf entsprechende Berichtigung des Protokolls abzielender Antrag des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 10. September 2009 rechtskräftig abgewiesen (ON 35; vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 312, § 285f Rz 2).

Die Angaben des Michal F***** anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter am 24. Juni 2007 wurden - dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider - gar wohl erörtert (US 21). Dass er vor dem Einschreiten des Angeklagten von einem „Unbekannten“ gestoßen worden und dadurch über eine Böschung gefallen war, sahen die Tatrichter als erwiesen an, schlossen diesen Sturz aber unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten als Verletzungsursache aus (US 21). Dass der Zeuge N***** nach seiner Aussage dieser „Unbekannte“ war, ist ohne Relevanz und war daher nicht erörterungsbedürftig im Sinn der Z 5 zweiter Fall.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) argumentiert mit ihren Ausführungen zu den theoretischen Voraussetzungen einer rechtmäßigen Festnahme, der Zulässigkeit des Anlegens von Handfesseln „und der dazu erforderlichen körperlichen Gewalt“, mit Spekulationen zur Vertretbarkeit der Annahme des Beschwerdeführers, Michal F***** sei glaubwürdig der Täterschaft in Betreff des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2, „ev §§ 83, 84 Abs 2 Z 2 StGB“ beschuldigt worden sowie der Behauptung eines „Feststellungsmangels“ in Betreff des Vorliegens „eines Verdachts der schweren Verletzung des Werner N*****“ nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, wonach objektiv kein Grund für die vom Beschwerdeführer gesetzten Amtshandlungen bestanden hat und dieser Umstand von dessen - sogar qualifiziertem - Vorsatz umfasst gewesen ist (US 12, 14, 16) und verfehlt damit den gerade in den tatsächlichen Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt (vgl für alle: RIS-Justiz RS0099810).

Soweit der Beschwerdeführer „im Rahmen der Rechtsrüge (inhaltlich Z 10)“ rechtsirrige Beurteilung des vom Schuldspruch 2 umfassten Täterverhaltens behauptet (tatsächlich der Sache nach Z 9 lit a), weil er nach den Feststellungen die Republik Österreich in ihrem konkreten Recht auf Vollziehung der Strafrechtspflege im Rahmen der Gesetze schädigen wollte, es sich dabei aber bloß um einen allgemeinen und ganz abstrakten Anspruch, aber kein von § 302 StGB erfasstes konkretes Recht handle, legt er nicht dar, aus welchem Grund selbst ein dem Erstgericht insoweit unterlaufener Rechtsfehler mit Blick auf die weiteren Urteilsannahmen, wonach sein Vorsatz auch eine Schädigung des Michal F***** in seinem konkreten Recht auf persönliche Freiheit umfasste, für die Subsumtion entscheidend sein sollte.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass der Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf Durchführung eines Verfahrens entsprechend den prozessualen Vorschriften zu schädigen, nach ständiger Rechtsprechung (bei hier festgestelltem Vorliegen auch der übrigen Tatbestandsmerkmale) genügt, um ein Täterverhalten rechtlich als Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt zu beurteilen (SSt 57/85; 15 Os 129/04; 13 Os 149/04; RIS-Justiz RS0096141 [vgl vor allem T11]).

Die die Schuldsprüche 1 und 3 betreffende Rechtsrüge (Z 9 lit b) geht mit ihrer der Sache nach aufgestellten Behauptung rechtfertigender Inanspruchnahme von Amts- und Dienstbefugnissen erneut nicht von den getroffenen Feststellungen bewusst rechtswidriger und damit amtsmissbräuchlicher Festnahme aus und legt nicht dar, aus welchem Grund der in Rede stehende Rechtfertigungsgrund dennoch in Anschlag zu bringen gewesen wäre (vgl Lewisch in WK² Nachbemerkungen zu § 3 Rz 251), womit die Rüge eine prozessordnungsgemäße Ausführung verfehlt.

Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) die rechtsirrige Unterstellung des zu den Schuldsprüchen 1 und 3 festgestellten Sachverhalts unter § 83 Abs 1 StGB statt § 83 Abs 2 StGB releviert, ist ihr durch den unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Beschluss der Vorsitzenden des Schöffensenats, mit dem die Urteilsausfertigung insoweit dem mündlich verkündeten Urteil angeglichen wurde (ON 39), der Boden entzogen.

Ihr Vorbringen, wonach das Vergehen der Körperverletzung im Verhältnis scheinbarer Konkurrenz zum Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt stünde, weil „der deliktische Gesamtunwert des Geschehens durch die Unterstellung nach § 302 Abs 1 StGB zur Gänze erfasst“ sei, erschöpft sich in bloßer Rechtsbehauptung und verfehlt damit erneut die prozessordnungskonforme Darstellung, die methodengerechte Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz erfordert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass eine allgemein strafbare Handlung von § 302 StGB nur dann konsumiert wird, wenn sie zumindest phasenweise Ausübung der (missbrauchten) Befugnis zur Vornahme des Amtsgeschäfts, also essentielles Element des Amtsmissbrauchs ist, was auf die - hier aktuelle - Misshandlung eines Festzunehmenden nicht zutrifft, weil einem Beamten eine Befugnis hiefür auch in abstracto niemals zukommt und eine solche daher auch nicht missbraucht werden kann (vgl E. Fuchs/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch2, § 302 Rz 14, 62).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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