OGH 11Os213/09x

OGH11Os213/09x2.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Günter R***** gegen das Unzuständigkeitsurteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. November 2009, GZ 151 Hv 59/09t-181, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil erklärte sich das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht in der Strafsache gegen Martin H*****, Jasmin Ha***** und Günter R***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen gemäß § 261 Abs 1 StPO für unzuständig.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte Günter R***** bekämpft dieses Urteil mit einer auf § 281 Abs 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Das Schöffengericht ging davon aus, dass das Vorliegen einer - auf die den Angeklagten zu III./ der Anklageschrift vom 17. Juni 2009 als Verbrechen des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB zur Last gelegte Tat zurückzuführende - für immer oder für lange Zeit währenden Berufsunfähigkeit des Tatopfers Daniel E***** im Sinn des § 143 vierter Fall (§ 85 Z 3 dritter Fall) StGB indiziert sei, woraus sich für die erwachsenen Angeklagten Martin H***** und Günter R***** gemäß § 31 Abs 2 Z 1 StPO und für die Angeklagte junge Erwachsene Jasmin Ha***** gemäß § 27 Abs 1 Z 2 JGG die Zuständigkeit des Geschworenengerichts ergebe. Es stützte sich dabei auf ein von der Privatbeteiligtenvertreterin in der Hauptverhandlung vorgelegtes arbeitsmedizinisches Gutachten (ON 166/S 23; ON 173/S 3 f) iVm dem ergänzenden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Alice E***** vom 2. Oktober 2009 (ON 177) sowie deren Ausführungen in der Hauptverhandlung (ON 180/S 5 ff, vgl US 7 ff).

Wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt, zeigt die Beschwerde aus Z 6 (iVm Z 5 vierter Fall) des § 281 Abs 1 StPO die offenbar unzureichende Begründung der Annahme dieser erweiterten Verdachtslage auf.

Erachtet das Schöffengericht, dass die der Anklage zu Grunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschworenengerichts gehörige strafbare Handlung begründen, so spricht es nach § 261 Abs 1 StPO seine Unzuständigkeit aus.

Bloße Zweifel an der Zuständigkeit des Schöffengerichts reichen nicht hin. Die Verdachtslage muss sich zu einem sogenannten Anschuldigungsbeweis in Richtung einer in die Kompetenz des Geschworenengerichts fallenden strafbaren Handlung verdichtet haben. Davon kann erst gesprochen werden, wenn Verfahrensergebnisse bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs die Annahme der Erfüllung aller Merkmale eines bestimmten Tatbestands als naheliegend erkennen lassen (RIS-Justiz RS0098830).

Die Prüfung der in einem Unzuständigkeitsurteil dargestellten Verdachtslage entspricht - abgesehen von der dort verlangten Dringlichkeit - jener im Grundrechtsbeschwerdeverfahren. Die Sachverhaltsgrundlage des Tatverdachts kann daher nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 (zu Gunsten des Angeklagten auch der Z 5a), nicht aber beweiswürdigend in Frage gestellt werden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 498 f).

Fallbezogen erweist sich die Annahme eines in Richtung § 143 vierter Fall StGB reichenden Tatverdachts betreffend eine beim Tatopfer für immer oder für lange Zeit eingetretene Berufsunfähigkeit (§ 85 Z 3 dritter Fall StGB) als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall).

Gemäß § 7 Abs 2 StGB trifft den Täter eine schwerere Strafe, die an eine besondere Folge der Tat geknüpft ist, nur, wenn er diese Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat. Die Haftung des Täters setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass seine Handlung für den konkreten Erfolg kausal, mit anderen Worten eine nicht wegzudenkende Bedingung (conditio sine qua non) war. Darüber hinaus ist die (objektive) Zurechenbarkeit einer kausalen Tatfolge nach der Adäquanztheorie zu prüfen: Eine Tatfolge ist adäquat verursacht, wenn sie nicht nur in Folge einer Verkettung außergewöhnlicher Umstände eintrat. Schließlich erfolgt eine Begrenzung der objektiven Zurechnung durch das Erfordernis des Risikozusammenhangs zwischen Tathandlung und Tatfolge. Unter diesem Gesichtspunkt scheiden unter anderem Tatfolgen aus, die auf ein grob unvernünftiges nachträgliches (Fehl-)Verhalten des Opfers zurückzuführen sind (vgl zum Ganzen Fabrizy, StGB9 § 7 Rz 2, 5, Fuchs AT I7, Rz 13/4, 9, 13, 23 f, 36, 41, 47, Burgstaller in WK² § 7 Rz 23).

Eine beim Opfer vorliegende dauernde oder zumindest für lange Zeit anhaltende Berufsunfähigkeit (§ 85 Z 3 dritter Fall StGB) ist dem Täter nach § 143 vierter Fall StGB demnach nur dann zuzurechnen, wenn die Tathandlung für deren Eintritt kausal war und nicht bloß auf außergewöhnliche Umstände, eine besonders schlechte Konstitution oder nachträgliches, grob unvernünftiges Verhalten des Opfers zurückzuführen ist.

Ausgehend von der arbeitsmedizinischen Expertise Dris. Elisabeth M***** (ON 173), wonach bei Daniel E***** bereits seit 2007 aufgrund seiner Opiatabhängigkeit (Drogenersatztherapie) und seiner „LowDose Benzodiazepinabhängigkeit", Arbeits- und Kursunfähigkeit gegeben sei, gelangte die Gerichtssachverständige Dr. Alice E***** zu dem Ergebnis, dass die derzeit bestehende Arbeits-/Berufungsunfähigkeit primär auf die seit dem 14./15. Lebensjahr bestehende Opiatabhängigkeit zurückzuführen sei. Die aus den anklagegegenständlichen Taten vom 6. Mai 2008 folgende posttraumatische Belastungsstörung sei als belastender Faktor zu werten. Auf der anderen Seite würden die vorbestehende Persönlichkeitsstörung mit Abhängigkeit von verschiedenen Substanzen, frühere belastende Erfahrungen wie die Verweisung aus dem Elternhaus und nachfolgende Obdachlosigkeit, soziale Isolation sowie eine zum Untersuchungszeitpunkt am 4. November 2008 (Gutachten vom 13. November 2008, ON 78) fehlende Therapieeinsicht die Traumaverarbeitung erschweren (ON 177/S 11).

Die Sachverständige legte weiters dar, dass es bei posttraumatischen Belastungsstörungen in 50 % der Fälle zu einer Rückbildung der Beschwerden innerhalb eines Jahres komme. Treten die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung länger als zwei Jahre auf (chronischer Verlauf), so sei eine wesentliche Besserung nicht mehr zu erwarten (ON 177/S 7).

In der Hauptverhandlung vom 3. November 2009 fügte die Sachverständige - vom Vorsitzenden befragt - hinzu, ein chronischer Verlauf einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung „wäre" auch bei einem nicht opiatabhängigen Tatopfer „zu erwarten" (ON 180/S 11).

Auf diese vom Erstgericht angeführten Verfahrensergebnisse lässt sich jedoch die Annahme, eine allenfalls bei Daniel E***** vorliegende, dauernde oder lang anhaltende Berufungsunfähigkeit wäre unmittelbar zumindest auch auf die in Folge des auf ihn am 6. Mai 2009 verübten Raubüberfalls erlittene posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen, mängelfrei nicht gründen. In diese Richtung weisende Aussagen hat die Sachverständige Dr. Alice E*****, auf deren Expertise sich das Erstgericht stützt, nämlich - bisher - gar nicht gemacht.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Günter R***** war demnach - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - das angefochtene Urteil bereits bei nichtöffentlicher Beratung in Ansehung dieses Angeklagten aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Schöffengericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO).

Da der in der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufgezeigte Begründungsmangel die Angeklagten Martin H***** und Jasmin Ha*****, die kein Rechtsmittel ergriffen haben, in gleicher Weise betrifft, war das Urteil in Ansehung dieser Angeklagten von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO) aufzuheben und ebenfalls eine neue Verhandlung anzuordnen (§ 285e StPO).

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