Spruch:
I. Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.) Ist Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG dahin auszulegen, dass auch das im Recht der gesetzlichen Pensionsversicherung vorgesehene System der jährlichen Pensionsanpassung (Valorisierung) unter das Diskriminierungsverbot des Abs 1 dieser Vorschrift fällt?
2.) Für den Fall der Bejahung von Frage 1.):
Ist Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung über die jährliche Pensionsanpassung entgegensteht, nach der für eine bestimmte Gruppe von Kleinstpensionsbeziehern eine potentiell geringere Erhöhung als für andere Pensionsbezieher vorgesehen ist, sofern von dieser Regelung 25 % der männlichen, aber 57 % der weiblichen Pensionsbezieher nachteilig betroffen werden und ein objektiver Rechtfertigungsgrund fehlt?
3.) Für den Fall der Bejahung von Frage 2.):
Kann eine Benachteiligung weiblicher Pensionsbezieher bei der jährlichen Erhöhung ihrer Pension mit dem früheren Pensionsanfallsalter und/oder der längeren Bezugsdauer weiblicher Pensionsbezieher und/oder damit gerechtfertigt werden, dass der Richtsatz für ein sozialrechtlich vorgesehenes Mindesteinkommen (Ausgleichszulagenrichtsatz) überproportional erhöht wurde, wenn die Bestimmungen über die Gewährung des sozialrechtlich vorgesehenen Mindesteinkommens (Ausgleichszulage) eine Anrechnung der sonstigen eigenen Einkünfte des Pensionsbeziehers sowie der Einkünfte seines im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten vorsehen, während bei den anderen Pensionsbeziehern die Pensionserhöhung ohne die Anrechnung sonstigen eigenen Einkommens des Pensionsbeziehers oder des Einkommens seines Ehegatten erfolgt?
III. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung
Die am 8. 6. 1947 geborene Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspension nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG). Die Höhe dieser Pension betrug im Jahr 2007 368,16 EUR brutto monatlich.
Mit Bescheid vom 8. 5. 2008 stellte die Beklagte fest, dass die Pension der Klägerin unter Berücksichtigung des für das Jahr 2008 mit 1,017 festgesetzten Anpassungsfaktors ab 1. 1. 2008 374,42 EUR brutto monatlich betrage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Zahlung einer Pension in Höhe von 389,16 EUR brutto monatlich ab 1. 1. 2008. Die vom Gesetzgeber zum 1. 1. 2008 vorgenommene Pensionsanpassung verstoße gegen den Gleichheitssatz und gegen die Eigentumsgarantie und wegen mittelbarer Diskriminierung der Frauen auch gegen Art 4 der Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. 12. 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung statt, dass eine unzulässige mittelbare Diskriminierung der Frauen vorliege. Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung Folge. Es verpflichtete die Beklagte, der Klägerin ab 1. 1. 2008 die Pension nur in der bereits bescheidmäßig zuerkannten Höhe von 374,42 EUR brutto monatlich zu zahlen und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils erster Instanz.
Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Verfassungsgerichtshof wies mit Erkenntnis vom 24. 9. 2009, G 187/08 ua, den Antrag des Obersten Gerichtshofs, die die Pensionsanpassung für das Jahr 2008 betreffenden Bestimmungen des ASVG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und gegen die Eigentumsgarantie als verfassungswidrig aufzuheben, zurück, wobei er die in diesem Antrag und auch die in den anderen inhaltsgleichen Gesetzesprüfungsanträgen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken auch inhaltlich nicht teilte. Nach Zustellung dieses Erkenntnisses war das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr die zwischen den Parteien noch strittige Frage, ob die vom Gesetzgeber vorgenommene Pensionsanpassung 2008 wegen mittelbarer Diskriminierung der Frauen gegen Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG verstößt.
Der Oberste Gerichtshof sieht sich aus folgenden Erwägungen veranlasst, den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu den oben formulierten Fragen zu ersuchen:
1.) Zur nationalen Rechtslage:
Gemäß § 108h Abs 1 ASVG sind mit Wirksamkeit ab 1. Jänner eines jeden Jahres alle Pensionen aus der Pensionsversicherung, für die der Stichtag vor dem 1. Jänner dieses Jahres liegt, mit dem Anpassungsfaktor zu vervielfachen. Die Festsetzung des Anpassungsfaktors erfolgt gemäß § 108f ASVG durch Abstellen auf den Verbraucherpreisindex. Sinn und Zweck der gesetzlichen Pensionsanpassung ist somit die Wertsicherung und Bewahrung der Kaufkraft der Pensionen. Der Anpassungsfaktor für das Jahr 2008 wurde mit 1,017 festgelegt. Die Pensionsanpassung für das Jahr 2008 hätte daher eine gleichmäßige Erhöhung aller ASVG-Pensionen um 1,7 % bewirkt. Von dieser Anpassung ist gemäß § 108h Abs 2 und 3 ASVG die Ausgleichszulage ausgenommen.
Die Ausgleichszulage garantiert bedürftigen Pensionisten, deren Pension wegen kurzer Versicherungsdauer und/oder niedriger Bemessungsgrundlage so gering ist, dass sie nicht mehr das Existenzminimum deckt, ein Mindesteinkommen. Dieses Existenzminimum wird sozialrechtlich durch den sogenannten Ausgleichszulagenrichtsatz festgelegt. Er betrug für das Jahr 2007 für alleinstehende Versicherte 726 EUR monatlich und für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten 1.091,14 EUR monatlich. Gemäß § 292 Abs 2 ASVG ist bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen. Unterschreiten daher Bruttopension und weiteres Nettoeinkommen einer Person bzw ihres im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten diesen Richtsatz, dann besitzt diese Person einen Rechtsanspruch auf eine Ausgleichszulage in der Höhe der Differenz zwischen ihrem Gesamteinkommen und dem Richtsatz. Ausgleichszulage erhält allerdings nur, wer einen Pensionsanspruch (Eigenpension oder Hinterbliebenenpension) besitzt und sich im Inland aufhält.
Im Zuge der Pensionsanpassung für das Jahr 2008 wurden folgende Maßnahmen getroffen:
1.) Der Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende PensionsbezieherInnen wurde von 726 EUR auf 747 EUR (= 2,9 %) und für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten von 1.091,14 EUR auf 1.120 EUR (= 2,6 %) erhöht.
2.) Weiters sieht die Pensionsanpassung 2008 eine Erhöhung
a) für Pensionen bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz (dh bis nunmehr 746,99 EUR monatlich) um 1,7 % (= Anpassungsfaktor),
b) für Pensionen über 746,99 EUR bis 1.050 EUR monatlich um 21 EUR monatlich (= 2,81 % bis 2 %),
c) für Pensionen über 1.050 EUR bis 1.700 EUR monatlich um 2 %,
d) für Pensionen über 1.700 EUR bis 2.161,50 EUR monatlich zwischen 2 % und 1,7 % (linear abfallend) und
e) für Pensionen über 2.161,50 EUR monatlich um den Fixbetrag von 36,75 EUR monatlich vor.
2.) Zu den Vorlagefragen:
a) Zur ersten Frage:
Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Klägerin als Pensionsbezieherin in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie des Rates vom 19. 12. 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (RL 79/7/EWG) fällt (vgl Art 2) und die hier verfahrensgegenständlichen Regelungen grundsätzlich auch in den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG fallen (vgl Art 3). Streit besteht zwischen den Parteien allerdings darüber, ob auch das im Recht der gesetzlichen Pensionsversicherung vorgesehene System der jährlichen Pensionsanpassung (Valorisierung) vom Diskriminierungsverbot des Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG erfasst wird.
Nach Art 4 Abs 1 der Richtlinie beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung den Fortfall jeglicher unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:
- den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
- die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
- die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.
Die Klägerin vertritt die Ansicht, das Verbot einer unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung nach Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG sei auch auf das System der jährlichen Pensionsanpassung (Valorisierung) anzuwenden. Es bestehe kein Grund für eine enge Auslegung des Diskriminierungsverbots, da das Ziel der Richtlinie in Art 1 umfassend formuliert sei. Es wäre völlig unverständlich, wenn angesichts dieser Zielsetzung von dem Diskriminierungsverbot der Richtlinie zwar die grundsätzliche Berechnung der Höhe einer Pensionsleistung, nicht jedoch die nachfolgende Erhöhung, die sich ebenfalls auf die jeweils gebührende Höhe der Leistung auswirke, erfasst wäre. Bei den in Art 4 Abs 1 der Richtlinie angeführten Bereichen handle es sich um eine bloß demonstrative Aufzählung. Neben den ausdrücklich aufgezählten Bereichen seien daher auch alle anderen Bereiche, die sich aus dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie ergeben, erfasst. Auch eine Valorisierung einer Pension solle gegen das Risiko des Alters schützen.
Die Beklagte macht demgegenüber geltend, der Begriff „Berechnung der Leistungen" in Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG sei gemeinschaftsrechtlich ausreichend determiniert und umfasse keinesfalls auch die bloße Anpassung, also Valorisierung, einer ursprünglich zuerkannten Leistung. So unterscheide auch Art 51 Abs 1 und 2 der VO Nr 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, zwischen einer bloßen Anpassung und einer Neuberechnung einer Leistung. Im vorliegenden Fall liege keine Neuberechnung der Leistung nach Art 46 der VO 1408/71 , sondern eine bloße Anpassung der Leistung im Sinn des Art 51 Abs 1 der VO Nr 1408/71 vor.
Es stellt sich daher im vorliegenden Fall die Frage, ob Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG dahin auszulegen ist, dass auch das im Recht der gesetzlichen Pensionsversicherung vorgesehene System der jährlichen Pensionsanpassung (Valorisierung) unter das Diskriminierungsverbot des Abs 1 dieser Vorschrift fällt.
b) Zur zweiten Frage:
Zwischen den Parteien besteht Streit auch über die weitere Frage, ob die Pensionsanpassung 2008 zu einer mittelbaren Diskriminierung der Frauen führt und daher gegen das Diskriminierungsverbot des Art 4 Abs 1 der Richtlinie 79/7/EWG verstößt.
Nach herrschender Ansicht knüpft die mittelbare Diskriminierung nicht unmittelbar an das Geschlecht an, sondern führt zu dem Ergebnis, dass durch die Regelung wesentlich mehr Mitglieder eines Geschlechts tatsächlich negativ benachteiligt werden. Für eine solche Benachteiligung lässt sich kein objektiv rechtfertigender Grund, der nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, finden. Selbst wenn solche Gründe bestehen, müssen diese verhältnismäßig, dh zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet und erforderlich sein. Es ist daher in einem ersten Schritt festzustellen, ob die betreffende Regelung eine Ungleichbehandlung enthält und ob diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft. Werden diese beiden Fragen bejaht, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob es Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gibt, die die festgestellte Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen könnten.
Eine Ungleichbehandlung der von der Pensionsanpassung 2008 betroffenen Pensionsbezieher liegt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs insofern vor, als Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz (747 EUR) nur um 1,7 % erhöht, während Pensionen zwischen 747 EUR und 2.160 EUR stärker erhöht wurden. Nach den im Verfahren vorgelegten statistischen Daten (Stand Dezember 2007) haben im Anwendungsbereich des ASVG insgesamt 1.325.762 Personen (davon 614.293 Männer und 711.469 Frauen) Pensionen aus eigener Erwerbstätigkeit (Eigenpensionen) bezogen. Innerhalb der Gruppe der Pensionsbezieher haben insgesamt 562.463 Personen eine Pension bis 750 EUR monatlich (= Kleinstpension) bezogen, wobei 408.910 Frauen und 153.553 Männer eine Pension bis zu dieser Höhe erhalten haben. Daraus folgt, dass innerhalb der Personengruppe der weiblichen Pensionsbezieher der Anteil der Personen, die eine Pension von bis zu 750 EUR monatlich beziehen, 57 % beträgt. Demgegenüber beläuft sich der Anteil der Personen mit einer Kleinstpension (bis 750 EUR monatlich) innerhalb der Personengruppe der männlichen Pensionsbezieher auf 25 %. Damit ist die Prozentzahl der Frauen, die durch die Pensionsanpassung 2008 negativ betroffen sind, im Ergebnis ungefähr 2,3 mal höher als jene der Männer. Da der Europäische Gerichtshof in Bezug auf das für die Annahme einer ungleichen Betroffenheit notwendige Ausmaß der statistischen Abweichung, soweit überblickbar, bisher noch keine Mindestgrenze vorgegeben hat, erscheint es geboten, dem Europäischen Gerichtshof im vorliegenden Fall auch eine Frage nach dem Vorliegen einer wesentlich stärkeren nachteiligen Betroffenheit des weiblichen Geschlechts im Sinne einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach dem Gemeinschaftsrecht zu stellen.
c) Zur dritten Frage:
Für den Fall der Bejahung der zweiten Frage ist weiters zu prüfen, ob für die Benachteiligung von Frauen im Rahmen der Pensionsanpassung 2008 ein objektiver, dh nicht mit dem unterschiedlichen Geschlecht zusammenhängender, Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Es ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwar grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, das für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständig ist, festzustellen, ob und inwieweit eine gesetzliche Regelung, die zwar unabhängig vom Geschlecht angewendet wird, im Ergebnis jedoch einen erheblich höheren Prozentsatz der Frauen als der Männer trifft, aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl EuGH, 13. 7. 1989, Rs 171/88 , Rinner-Kühn, Slg 1989, I-2743, Rn 15). Der Europäische Gerichtshof kann jedoch Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung über das Vorliegen eines objektiven Rechtfertigungsgrundes ermöglichen (EuGH, 7. 3. 1996, Rs C-278/93 , Freers-Speckmann, Slg 1996, I-1165, Rn 24 ua).
Die Beklagte macht dazu geltend, der Umstand, dass von der Pensionserhöhung um (lediglich) 1,7 % für Pensionen unter 747 EUR monatlich im Zuge der Pensionsanpassung 2008 ein erheblich höherer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Pensionsbezieher betroffen sei, sei durch Faktoren sachlich gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten. So erkläre sich der im Vergleich zu Männern niedrigere Pensionsbezug der Frauen dadurch, dass die durchschnittliche Anzahl der für die Pensionsberechnung zu berücksichtigenden Versicherungsmonate - bedingt durch das frühere Pensionsanfallsalter der Frauen - bei Frauen wesentlich geringer sei und damit eine - nach dem Versicherungsprinzip errechnete Leistung - geringer ausfallen müsse und die Pensionsleistung von Frauen aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung auch länger bezogen werde. Auch ein männlicher Versicherter in der Position der Klägerin würde eine gleich hohe oder sogar niedrigere Pension beziehen. Weiters wird auf die mit der Pensionsanpassung 2008 ebenfalls vorgenommene Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes um 21 EUR monatlich für alleinstehende PensionsbezieherInnen und um rund 29 EUR monatlich für Ehepaare verwiesen.
Die Klägerin hält dem entgegen, eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung liege nicht vor, weil die Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate bereits bei der Bemessung der Pension berücksichtigt worden sei und nicht im Zuge der Pensionsanpassung noch einmal nachteilig berücksichtigt werden dürfe. Im Übrigen handle es sich dabei und auch bei der längeren Bezugsdauer der Pension bei Frauen um keine vom Geschlecht unabhängigen Rechtfertigungsgründe. Schließlich erhalte sie - wie viele andere Frauen mit einem geringen Pensionseinkommen - keine Ausgleichszulage, weil für ihren Anspruch auf Ausgleichszulage das Pensionseinkommen ihres Ehegatten von 1.340,33 EUR netto monatlich angerechnet werde. Während sie somit aufgrund des Pensionseinkommens ihres Ehegatten keine Ausgleichszulage und nur 1,7 % Pensionserhöhung erhalte, erhielten - überwiegend männliche - Pensionsbezieher mit einer Pension über 747 EUR bis 2.161,49 EUR monatlich eine Pensionserhöhung über 1,7 %, ohne dass in irgendeiner Weise das sonstige Nettoeinkommen oder das Ehepartnereinkommen berücksichtigt werde.
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist es aufgrund der Strukturprinzipien beitragsfinanzierter Versicherungssysteme grundsätzlich objektiv gerechtfertigt, wenn die Leistungen in diesen Systemen an die Höhe und Dauer der Beitragszahlungen gebunden werden. Da auch dem österreichischen System der gesetzlichen Pensionsversicherung ein beitragsfinanziertes Konzept der Altersversorgung zugrundeliegt, erscheint es sachlich gerechtfertigt, dass weibliche Versicherte aufgrund der geringeren Höhe ihrer Beiträge und der mit dem früheren Pensionsanfallsalter verbundenen verkürzten Dauer der Beitragszahlungen tendenziell über ein niedrigeres Pensionseinkommen verfügen als männliche Versicherte. Im Unterschied zur Pensionsleistung an sich handelt es sich jedoch bei der hier verfahrensgegenständlichen jährlichen Pensionsanpassung nicht um einen Leistungsbestandteil, dessen Ausmaß an die Höhe und Dauer der bisherigen Beitragszahlungen anknüpft. Vielmehr beruht die jährliche Pensionsanpassung auf dem Gedanken, die Kaufkraft der Pensionen durch deren Angleichung an die Verbraucherpreise aufrecht zu erhalten. Die mit dem früheren Pensionsanfallsalter einhergehende verkürzte Dauer der Beitragszahlung weiblicher Leistungsempfänger vermag daher nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs die im Rahmen der Pensionsanpassung 2008 vorgesehene geringere Erhöhung von Kleinstpensionen und die daraus resultierende wesentliche Benachteiligung weiblicher Pensionsbezieher nicht zu rechtfertigen.
Ebenso wenig stellt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs die im Durchschnitt längere Bezugsdauer der Pensionsleistung durch Frauen einen sachlichen Rechtfertigungsgrund dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl EuGH, 14. 12. 1995, Rs C-317/93 , Nolte, Slg 1995, I-04625 Rn 28 ua) erfordert die Rechtfertigung der Benachteiligung eines Geschlechts nämlich, dass diese auf einem objektiven und sachlichen Grund beruht, der nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat. Da die im Durchschnitt längere Bezugsdauer weiblicher Pensionisten jedoch unmittelbar an den Geschlechtsunterschied anknüpft und nach diesem differenziert, kann es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht als sachlich angesehen werden, wenn die Benachteiligung weiblicher Pensionsbezieher durch die Pensionsanpassung 2008 damit gerechtfertigt wird, dass Frauen die Pensionsleistung aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung auch länger in Anspruch nehmen können als Männer.
Schließlich ist noch zu prüfen, ob die im Rahmen der Pensionsanpassung 2008 vorgesehene geringere Anhebung der Kleinstpensionen und die daraus resultierende verstärkte negative Betroffenheit weiblicher Pensionsbezieher bei der Valorisierung der Pension mit der überproportionalen Anhebung des Ausgleichszulagenrichtsatzes gerechtfertigt werden kann. Dazu ist zunächst auszuführen, dass nach den dem Obersten Gerichtshof im gegenständlichen Verfahren vorliegenden statistischen Daten (Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2007) im Berichtsmonat Dezember 2006 insgesamt 136.771 Personen, davon 64.166 Männer und 72.605 Frauen, eine Ausgleichszulage zu ihrer Eigenpension bezogen haben, sodass der Anteil weiblicher Ausgleichszulagenempfänger bei ca 53 % lag. Berücksichtigt man dabei, dass innerhalb der Personengruppe der weiblichen Pensionsbezieher der Anteil der Kleinstpensionsbezieherinnen mit 57 % den Anteil an männlichen Kleinstpensionisten innerhalb der Gruppe der männlichen Pensionsbezieher mit 25 % deutlich übersteigt, so ergibt sich auch hier im Ergebnis, dass innerhalb der Gruppe der Kleinstpensionsbezieher zahlenmäßig deutlich mehr Frauen als Männer keine Ausgleichszulage erhalten und damit nicht in den Genuss der Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes im Zuge der Pensionsanpassung 2008 gelangen.
Weiters ist zu bedenken, dass bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage neben dem aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen ist. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl EuGH, 19. 11. 1992, Rs C-226/91 Molenbroek, Slg 1992, I-05943) ergibt sich, dass der Gerichtshof die Anrechnung des Einkommens des Ehegatten bei der Berechnung einer Leistung der sozialen Sicherheit dann als sachlich gerechtfertigt erachtet, wenn es sich bei der betreffenden Leistung um eine reine Existenzsicherungsleistung handelt, dh, die Leistung auf eine Existenzsicherung und die Garantie einer Mindestsicherung ausgerichtet ist. Auch wenn daher die Anrechnung der Einkünfte des Ehegatten bei der Feststellung des Anspruchs eines Pensionsberechtigten auf Ausgleichszulage gerechtfertigt erscheint, ist damit noch nicht entschieden, ob eine derartige Anrechnung auch für den Bereich der Leistungen aus einer jährlichen Pensionsanpassung sachlich gerechtfertigt ist. Das Ausgleichszulagensystem dient nämlich einem völlig anderen Zweck als die jährliche Pensionsanpassung. Das Ausgleichszulagenrecht verfolgt den Zweck, jenen Pensionsbeziehern, die gemessen an den Ausgleichszulagenrichtsätzen kein ausreichendes existenzsicherndes Pensionseinkommen haben, ein aus öffentlichen Mitteln finanziertes Existenzminimum zu gewähren. Die Berücksichtigung von sonstigem Einkommen und Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten ist dabei sachlich gerechtfertigt. Die jährliche Pensionsanpassung verfolgt hingegen im Wesentlichen den Zweck, die Kaufkraft der Pensionsleistung zu erhalten. Es stellt sich daher bereits grundsätzlich die Frage, ob der Pensionsanpassung 2008 der Charakter einer Leistung zur Existenzsicherung zukommt, da dadurch nicht bloß die Bezieher von Kleinstpensionen begünstigt wurden, sondern alle Pensionsleistungen eine Erhöhung erfahren haben. Schließlich stellt sich aber auch die weitere Frage, ob die Anhebung des Ausgleichszulagenrichtsatzes die im Rahmen der Pensionsanpassung 2008 vorgesehene geringere Anhebung der Kleinstpensionen in Höhe von weniger als 747 EUR monatlich und die daraus resultierende wesentlich stärkere nachteilige Betroffenheit weiblicher Pensionsbezieher zu rechtfertigen vermag, wenn nur bei diesen Kleinstpensionen die Prinzipien des Ausgleichszulagenrechts, nämlich die Anrechnung sonstigen eigenen Einkommens und des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten, angewendet werden, während gleichzeitig bei höheren Pensionen ohne Rücksicht auf sonstiges eigenes Einkommen oder eines Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten eine höhere Anpassung gewährt wird. Es stellt sich im vorliegenden Fall zusammenfassend somit auch die Frage, ob die von der Beklagten vorgebrachten Gründe eine ausreichende Rechtfertigung für die von der Klägerin geltend gemachte mittelbare Diskriminierung weiblicher Pensionsbezieher im Sinn des Art 4 der Richtlinie 79/7/EWG darstellen.
Aus den dargelegten Gründen sind die betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der Richtlinie 79/7/EWG für die Urteilsfindung des Obersten Gerichtshofs in mehreren anhängigen Rechtssachen von entscheidender Bedeutung. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei deren Auslegung kein Raum für vernünftige Zweifel verbleibt, sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten.
Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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