OGH 1Ob256/09t

OGH1Ob256/09t29.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Beat K*****, Schweiz, vertreten durch Dr. Christian Kleinszig und Dr. Christian Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, gegen die Antragsgegnerin Silke M*****, vertreten durch Mag. Max Verdino und Mag. Gernot Funder, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, wegen Rückführung des gemeinsamen Kindes Lena Cosima M*****, geboren am *****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. November 2009, GZ 4 R 390/09b-22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß Art 13 HKÜ ist das Gericht des ersuchten Staates unter anderem dann nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Person, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, dem Verbringen zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits in der Vergangenheit klargestellt, dass eine derartige Zustimmung des (Mit-)Obsorgeberechtigten auch stillschweigend, also durch konkludentes Verhalten, erfolgen kann (3 Ob 210/05m, 5 Ob 17/08y). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Zustimmungsvoraussetzung des Art 13 Abs 1 lit a HKÜ nur durch eine Zustimmung zu einer dauerhaften Aufenthaltsänderung durch den (Mit-)Obsorgeberechtigten erfüllt wird, die sich unmittelbar aus einer Erklärung oder aber auch aus den Gesamtumständen ergeben kann (5 Ob 17/08y).

Die Frage, ob die genannten Voraussetzungen für eine wirksame Zustimmung vorliegen, kann stets nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden, sodass regelmäßig eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen ist. Dem Rekursgericht ist im vorliegenden Fall auch keine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.

2. Im vorliegenden Fall haben sich die (unverheirateten) Eltern des damals etwa 2-jährigen Kindes im Herbst 2008 getrennt. Die Mutter hat unter Hinweis auf die teure Kinderbetreuung in der Schweiz die Übersiedlung (mit dem Kind) in ihr Heimatland Österreich angekündigt, wobei dem Vater bekannt war, dass die Mutter einen neuen Lebensgefährten hatte. Der Vater hat sich nicht gegen die geplante Übersiedlung ausgesprochen. Die Mutter hatte ihm, für den Fall, dass er nach Österreich nachkommt, Unterstützung bei der Suche eines Arbeitsplatzes zugesagt. Dass die Parteien vereinbart hätten, dass sie die Lebensgemeinschaft danach wieder aufnehmen, konnte nicht festgestellt werden. Dennoch war der Vater subjektiv davon ausgegangen, dass die Mutter "mit ihm nach Österreich übersiedeln" werde. Nach der Übersiedlung von Mutter und Kind Ende Jänner 2009 nach Österreich kam der Vater Anfang April (zu Ostern) für einige Tage zu Besuch; dabei sprach er weder eine Übersiedlung nach Österreich noch den Wunsch nach einer allfälligen Rückführung des Kindes in die Schweiz an. Nachdem die Mutter am 12. 5. 2009 beim zuständigen Bezirksgericht einen Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge gestellt hatte, stellte der Vater nach anwaltlicher Beratung am 19. 6. 2009 einen Antrag nach dem HKÜ auf Rückführung des Kindes in die Schweiz.

Wenn das Rekursgericht unter diesen Umständen zur Rechtsauffassung gelangt ist, es läge eine ausreichende Zustimmung des Vaters zur (dauerhaften) Verbringung des Kindes an den neuen Wohnsitz der Mutter in Österreich vor, kann darin eine bedenkliche Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Insbesondere konnte die Mutter die Erklärungen und das sonstige Verhalten des Vaters nur so verstehen, dass er gegen einen dauerhaften Verbleib des Kindes bei der Mutter in Österreich nichts habe, gegebenenfalls aber beabsichtige, sich in der Nähe anzusiedeln und eine Arbeit zu suchen, um einen intensiveren Kontakt zum Kind erhalten zu können. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers hatte die Mutter keinen Anlass, seine Erklärungen dahin auszulegen, er wolle seine Zustimmung entweder nur vorläufig oder aber nur für den Fall geben, dass es zu einer Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft käme. Eine solche Wiederherstellung schien - worauf schon das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat - nahezu ausgeschlossen. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Vater anlässlich seiner Parteienvernehmung erklärt hat, er habe im März 2009 davon Kenntnis erlangt, dass sich die Mutter - ersichtlich mit dem ihm ohnehin bekannten neuen Lebensgefährten - verlobt hat. Wenn er unter diesen Umständen bei seinem Besuch Anfang April 2009 seine Zustimmung nicht zurückzog und nicht einmal den Wunsch äußerte, das Kind möge doch wieder zu ihm in die Schweiz zurückkehren, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass er seiner Zustimmung keineswegs eine Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft zugrunde legte. Den Wunsch, das Kind möge in die Schweiz zurückkehren, äußerte er vielmehr erstmals in seinem am 19. 6. 2009 eingebrachten Antrag nach dem HKÜ, nachdem die Mutter die Übertragung der alleinigen Obsorge begehrt hatte. Dass der Vater letztlich seine möglicherweise ursprünglich bestehende Absicht, in Österreich Arbeit zu suchen, aufgegeben hat, kann an der Wirksamkeit seiner seinerzeit erteilten Zustimmung nichts ändern.

3. Wenn der Vater in seinem Revisionsrekurs die Frage erörtert, inwiefern eine Zustimmung wirksam ist, wenn sie von der Mutter "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen scheinbar veranlasst" wurde, geht er dabei nicht von dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus, sodass sich eine nähere Auseinandersetzung mit der angesprochenen Rechtsfrage erübrigt. Warum es darauf ankommen sollte, dass der Vater subjektiv eine unrichtige Vorstellung über das zukünftige Geschehen hatte und gegen jede Vernunft von einer geradezu ausgeschlossenen zukünftigen Entwicklung ausgegangen ist, vermag er in seinem Rechtsmittel nicht darzulegen. Wenn der Oberste Gerichtshof in der bereits zitierten Vorjudikatur eine wirksame Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten anerkannt hat, kann es nur darauf ankommen, wie jene Person, die das Kind ins Ausland verbracht hat, das Verhalten des Obsorgeberechtigten verstehen musste. Dass die Mutter im vorliegenden Fall Anlass dafür gehabt hätte, anzunehmen, der Vater wolle seine Zustimmung nur unter der Bedingung des Wiederaufnehmens der Lebensgemeinschaft erklären, ist nicht ersichtlich.

4. Letztlich kann auch die Frage, inwieweit die Unkenntnis des Obsorgeberechtigten von den Bestimmungen des HKÜ Bedeutung haben könnte, dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall hat der Vater ja nicht einmal "außergerichtlich" den Wunsch erkennen lassen, das Kind möge wieder in die Schweiz zurückkehren. Geht man weiters von der unbedenklichen Annahme des Rekursgerichts aus, der Vater habe ursprünglich eine unbeschränkte Zustimmung zur Übersiedlung des Kindes gemeinsam mit der Mutter nach Österreich erteilt und diese erstmals rund 5 Monate nach der erfolgten Übersiedlung widerrufen wollen, kann keine Rede davon sein, dass der Mutter der Nachweis einer ausreichenden Zustimmung zu einem dauerhaften Aufenthalt des Kindes in Österreich nicht gelungen wäre. Dass es zulässig wäre, eine solche Zustimmung nach einem Auslandsaufenthalt des Kindes von vielen Monaten zu widerrufen und unter Berufung auf das HKÜ die Rückführung des Kindes zu verlangen, behauptet der Revisionsrekurswerber selbst nicht.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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