Spruch:
In der Strafsache AZ 121 Hv 95/05k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die schriftliche Ausfertigung des Urteils dieses Gerichts als Schöffengericht vom 20. September 2005 (ON 15) § 270 Abs 2 Z 4 StPO.
Dem Landesgericht für Strafsachen Wien wird aufgetragen, die schriftliche Ausfertigung hinsichtlich des Ausspruchs der Ersatzfreiheitsstrafe an das verkündete Urteil (ON 14 S 121) anzupassen und dem Verteidiger eine solcherart angepasste Urteilsausfertigung zur Ausführung der mit Schriftsatz vom 23. September 2005 angemeldeten Rechtsmittel (ON 18) zuzustellen.
Text
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht führte am 6. September 2005 (ON 12) und am 20. September 2005 (ON 14) die Hauptverhandlung über die von der Staatsanwaltschaft gegen Ernst H***** erhobene Anklage (ON 6) durch.
Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung erkannte es diesen am letztgenannten Tag (richtig:) jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I) sowie nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (II) schuldig und sprach hiefür unter Anwendung des § 21 Abs 1 und Abs 2 FinStrG gemäß § 33 Abs 5 FinStrG eine Geldstrafe von 55.000 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 FinStrG) von sechs Wochen aus (ON 14 S 121).
In der schriftlichen Urteilsausfertigung (ON 15) scheinen als Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe sechs Monate auf (ON 15 S 129).
Gegen dieses Urteil meldete die Staatsanwaltschaft Berufung (ON 17), der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (ON 18) an, wobei in der Folge Letzterer seine Rechtsmittel ausführte (ON 19), Erstere hingegen das ihre zurückzog (ON 23 S 185).
Mit Beschluss vom 16. Februar 2006 (AZ 15 Os 2/06t; ON 21) wies der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zurück, worauf das Oberlandesgericht Wien am 24. April 2006 in Stattgebung dessen Berufung die Geldstrafe auf 40.000 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf drei Monate „herabsetzte" (ON 24).
Erst anlässlich der Mitteilung der Einbringungsstelle beim Oberlandesgericht Wien vom 16. Februar 2009, wonach der zu diesem Zeitpunkt noch aushaftende Teil der Geldstrafe in der Höhe von 23.800 Euro uneinbringlich sei (ON 54), fiel durch besondere Aufmerksamkeit der zuständigen Gerichtskanzlei (s ON 54a) auf, dass die im Urteil vom 20. September 2005 verkündete Ersatzfreiheitsstrafe nur sechs Wochen betragen hatte.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht die schriftliche Urteilsausfertigung hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafe mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach § 270 Abs 2 Z 4 StPO muss die Ausfertigung den verkündeten Ausspruch des Schöffengerichts über die Schuld des Angeklagten, und zwar im - hier gegebenen - Fall einer Verurteilung mit allen in § 260 StPO angeführten Punkten enthalten. Die Ersatzfreiheitsstrafe (hier: § 20 FinStrG) ist Teil des Sanktionsausspruchs (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO), womit die insoweit gegebene Abweichung der Ausfertigung vom verkündeten Urteil die Anordnung des § 270 Abs 2 Z 4 StPO verletzt.
Das Rechtsmittelgericht hat stets nur aufgrund der Urteilsausfertigung (§§ 270, 342 StPO) zu entscheiden. Weicht diese vom verkündeten Urteil ab oder ist sie undeutlich (§ 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO), darf das Rechtsmittelgericht bei seiner Entscheidung amtswegig darauf keine Rücksicht nehmen (Ratz, WK-StPO § 285f Rz 5). Nach Maßgabe des so fixierten Bezugspunkts der Berufungsentscheidung hat das Oberlandesgericht mit der Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe von drei Monaten in Stattgebung der (nur zu dessen Gunsten zulässigen; §§ 282 Abs 2, 283 Abs 2 StPO) Berufung des Angeklagten das Gesetz nicht verletzt. Sie stellte aber in Relation zu dem in erster Instanz verkündeten Strafausspruch eine Verschlechterung dar.
Demgemäß sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung dahin mit konkreter Wirkung zu verknüpfen, dem Landesgericht für Strafsachen Wien die Urteilsanpassung sowie die Zustellung der solcherart korrigierten Ausfertigung zwecks Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten aufzutragen. Die vierwöchige Ausführungsfrist (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO) läuft nämlich frühestens ab dem Zeitpunkt, ab welchem dem Rechtsmittelwerber eine vollständige Abschrift der endgültigen Urteilsausfertigung zugestellt worden ist (Danek, WK-StPO § 270 Rz 52, 57; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 1).
Infolge des neuerlichen Auslösens der Rechtsmittelfrist sind die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs über die Nichtigkeitsbeschwerde (ON 21) und des Oberlandesgerichts Wien über die Berufung (ON 24) des Angeklagten gegenstandslos.
Bleibt anzumerken, dass der durch die Zurückziehung der angemeldeten Berufung der Staatsanwaltschaft erfolgte Rechtsmittelverzicht unwiderruflich ist (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 8). Auch hier ist das Motiv für eine solche Erklärung ohne Bedeutung. Wer bloß angesichts einer mit dem verkündeten Urteil nicht übereinstimmenden Urteilsausfertigung auf Rechtsmittel verzichtet, bedarf zudem mit Blick auf die Möglichkeit einer Urteilsangleichung, aber auch den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 (§§ 345 Abs 1 Z 4, 468 Abs 1 Z 3, 489 Abs 1) StPO keines prozessualen Schutzes.
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