OGH 7Ob230/09p

OGH7Ob230/09p16.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei F***** B*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei C***** H*****, vertreten durch Dr. Gabriele Vana‑Kowarzik, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung nach § 382e EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. Juni 2009, GZ 43 R 371/09s‑28, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. April 2009, GZ 4 C 152/08y‑20, teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00230.09P.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile der Beschlüsse der Vorinstanzen zu lauten hat:

Der Antrag der klagenden und gefährdeten Partei vom 10. 4. 2009 (ON 20) auf Erlassung der einstweiligen Verfügung:

„1. Der Beklagten wird zur einstweiligen Sicherung des Wohnungsgebrauchsrechts aber auch des ehelichen Gebrauchsvermögens verboten, über die Ehewohnung, das ist die Mietwohnung ... rechtsgeschäftlich in welcher Form auch immer zu verfügen, insbesondere gegenüber dem Vermieter zu erklären, das Bestandverhältnis nach Mag. W***** H***** nicht fortsetzen zu wollen, aber auch verboten, dass Bestandverhätnis aufzulösen oder dritten Personen irgendwelche Rechte einzuräumen.

2. Diese einstweilig Verfügung gilt bis zur Rechtskraft des gegenständlichen Titelverfahrens bzw bis zur Rechtskraft des Ehescheidungsverfahrens 80 C 38/07s bzw eines darauf folgenden Aufteilungsverfahrens, sofern ein entsprechender Aufteilungsantrag binnen eines Jahres nach Rechtskraft des Ehescheidungsverfahrens gestellt wird.

3. Der Beklagten wird aufgetragen, zur Sicherung des Wohnrechts auch auf die Geltungsdauer dieser einstweiligen Verfügung den Bestand für die in Punkt 1 genannte Ehewohnung zu bezahlen.

4. Von dieser einstweiligen Verfügung werden die Parteien sowie die Hausinhabung des Hauses ..., nämlich die Realkanzlei ... verständigt", wird abgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 1.394,73 EUR (darin 232,45 EUR USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

 

Zwischen den Streitteilen ist zu 80 C 38/07s des Erstgerichts ein Scheidungsverfahren anhängig.

Am 18. 9. 2008 erhob der Ehemann eine auf den Wohnungserhaltungsanspruch (§ 97 ABGB) gestützte Klage. Die in der Klage näher bezeichnete Mietwohnung war der letzte gemeinsame Wohnsitz der Parteien, also deren Ehewohnung. Hauptmieter dieser Wohnung war jedoch der am 7. 4. 2009 verstorbene Vater der Antragsgegnerin, dem sie den bezahlten Mietzins jeweils refundierte. „Mittlerweile" ist sie mit der minderjährigen Tochter der Parteien aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und hat eine andere Wohnung gefunden. Der Antragsteller, der über keine andere Wohnmöglichkeit verfügt, lebt nun allein in der Ehewohnung.

Die Klage war zunächst darauf gerichtet, die Beklagte zu verpflichten, in die Mietrechte ihres Vaters an der Ehewohnung einzutreten. Nach dessen Tod begehrte der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, die Erklärung, das Mietverhältnis nach ihrem Vater an der Ehewohnung nicht fortsetzen zu wollen, zu unterlassen; in eventu ihr eine solche Erklärung zu verbieten (ON 17).

Zur Sicherung des Klagsanspruchs nach § 97 ABGB beantragte der Kläger am 10. 4. 2009 die Erlassung der im Spruch angeführten einstweiligen Verfügung gemäß § 382e EO aF. Verfügungsberechtigt über die Wohnung sei schon seit Jahren allein die Beklagte, die de facto den Mietzins bezahlt habe.

Die Beklagte sprach sich gegen die Bewilligung des Sicherungsantrags aus. Sie sei keinesfalls bereit, „eine falsche Behauptung gegenüber der Hausverwaltung abzugeben". Da sie niemals Hauptmieterin geworden sei, sei sie nicht in der Lage, über die Wohnung zu verfügen.

Das Erstgericht erließ am 21. 4. 2009 (ON 20) eine einstweilige Verfügung nach § 382e EO aF (vgl § 413 EO idF 2. GeSchG, BGBl I 2009/40), mit der (unter anderem) der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei

- verboten wurde, über die Ehewohnung, „in welcher Form auch immer zu verfügen, insbesondere dem Bestandgeber eine Erklärung gemäß § 14 Abs 2 MRG abzugeben, das Bestandverhältnis nach dem verstorbenen Vater der Antragsgegnerin nicht fortsetzen zu wollen" (Punkt 1),

- aufgetragen wurde, zur einstweiligen Sicherung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers den monatlichen Mietzins (inkl Betriebskosten) der ehelichen Wohnung weiter zu bezahlen (Punkt 2).

In rechtlicher Hinsicht verwies es auf § 382e EO aF, wonach nicht die konkrete Gefährdung, sondern lediglich das dringende Wohnbedürfnis des Antragstellers zu bescheinigen sei. Auf die Frage der Eintrittsberechtigung iSd § 14 MRG sei im Sicherungsverfahren nicht einzugehen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien im Hauptverfahren zu prüfen. Die Prüfung im Provisorialverfahren würde dieser Entscheidung „vorgreifen". Der Anspruch nach § 97 ABGB umfasse nicht nur Unterlassungs‑, sondern auch konkrete Leistungsansprüche auf Verwirklichung der für die Wohnungserhaltung erforderlichen Vorkehrungen. Darunter falle auch die weitere Zahlung des Mietzinses.

Das Rekursgericht bestätigte die einstweilige Verfügung in den dargelegten Punkten, begrenzte jedoch ihre Geltungsdauer mit der „Rechtskaft des Scheidungsverfahrens" und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Frage, ob die Antragsgegnerin eintrittsberechtigt sei und ein Fall des § 14 Abs 2 MRG vorliege, im Provisorialverfahren nicht zu lösen sei. Entscheidend sei der unstrittige Umstand, dass der Antragsteller an der früheren Ehewohnung ein dringendes Wohnbedürfnis habe. Er habe keine Möglichkeit, über die Ehewohnung zu verfügen. Die Antragsgegnerin leite ihr Wohnrecht unstrittig vom Vater ab. Der Anspruch der gefährdeten Partei sei zu sichern, ohne dass es einer Bescheinigung konkreter Gefährdung bedürfe. Der Auftrag, den monatlichen Mietzins zu bezahlen, werde im Rekurs - anders als die Geltungsdauer - nicht gesondert aufgegriffen.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei (vorgelegt laut Verfügung vom 28. 10. 2009) mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts Folge gegeben und die einstweilige Verfügung aufgehoben werde.

Die gefährdete Partei hat die ihr freigestellte Revisionsrekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Frage der Verfügungsberechtigung der Antragsgegnerin unrichtig beurteilt wurde; er ist auch berechtigt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Beschluss, mit dem die hier zu beurteilende einstweilige Verfügung eingeschränkt wurde (Beschluss vom 4. 8. 2009), wie auch die Beschlüsse, mit denen weitere Sicherungsanträge des Klägers bewilligt, ab- und zurückgewiesen wurden (Beschlüsse vom 23. 7. 2009, 26. 9. 2009 und 27. 11. 2009), nicht Gegenstand dieses Revisionsrekursverfahrens sind.

Durch das EheRÄG 1999 (BGBl I 125/1999) schuf der Gesetzgeber zur Sicherung des Anspruchs nach § 97 ABGB eine besondere gesetzliche Regelung, nämlich den mit 1. Jänner 2000 in Kraft getretenen § 382e EO, der sowohl Ansprüche eines Ehegatten auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses als auch Ansprüche wegen Verletzung dieses Wohnungserhaltungsanspruchs umfasst. Einhelligkeit besteht in der Lehre und Rechtsprechung darüber, dass es sich um eine „anspruchsgebundene Einstweilige Verfügung" handelt (Sailer in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO, § 382e Rz 7; Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung, § 382e EO Rz 1; zu allem: 3 Ob 231/04y). Das bedeutet, dass eine Sicherungsmaßnahme gemäß § 391 Abs 2 EO mit einer Fristsetzung zur Einbringung einer Rechtfertigungsklage zu verknüpfen ist und über den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über die Rechtfertigungsklage hinaus nicht gewährt werden kann. Wird das Sicherungsbegehren - wie hier - innerhalb eines Verfahrens über eine Ehescheidungsklage erhoben, hat dies nur zur Folge, dass der Sicherungswerber eine konkrete Gefährdung des Wohnungserhaltungsanspruchs nicht bescheinigen muss (stRsp; RIS‑Justiz RS0115045).

Ein anhängiges Eheverfahren begründet also die Rechtsvermutung einer die Erlassung einer einstweiligen Verfügung rechtfertigenden Gefahrenlage; davon abgesehen hat der Antragsteller sein gerade am Sicherungsobjekt bestehendes Wohnbedürfnis und die Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten allerdings nach allgemeinen Bestimmungen zu behaupten und zu bescheinigen (Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung, § 382e EO Rz 4; 6 Ob 718/79 = EFSlg 34.620/5 [nach dieser Entscheidung hat die gefährdete Partei im Sicherungsantrag die Verfügungsberechtigung des Antragsgegners durch konkrete Angabe von Tatsachen, aus denen der Rechtsgrund und Umfang der behaupteten Verfügungsgewalt über die Wohnung abgeleitet werden können, zu behaupten und durch Bescheinigung glaubhaft zu machen]).

Der außerordentliche Revisionsrekurs macht geltend, dass der Antragsgegnerin etwas aufgetragen werde, wozu sie nicht berechtigt sei, weil einem [allfälligen] Eintrittsrecht gemäß § 14 Abs 2 MRG der Mangel ihres dringenden Wohnbedürfnisses entgegenstehe. Obwohl keine Person zu etwas verpflichtet werden könne, was sie rechtlich nicht zu leisten vermöge, werde der Antragsgegnerin durch die einstweilige Verfügung rechtlich Unmögliches aufgetragen, nämlich die Aufgabe von Mietrechten zu unterlassen, die ihr nicht zustünden.

Zu Recht wendet sie sich damit gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass im Provisorialverfahren noch nicht geprüft werden müsse, ob die Antragsgegnerin nach ihrem verstorbenen Vater tatsächlich gemäß § 14 Abs 2 MRG eintrittsberechtigt sei und ob ihr dieses Mietrecht im Todesfall zustehe.

Richtig ist (zwar), dass sich die Vorinstanzen bisher mit der Eintrittsberechtigung der Antragsgegnerin gar nicht beschäftigt und ihr demgemäß auch nichts aufgetragen haben, „wozu sie nicht berechtigt ist" und „was sie rechtlich nicht zu leisten vermag". Verboten und aufgetragen wurde ihr vielmehr ein bestimmtes Verhalten in Bezug auf die (frühere) Ehewohnung, nämlich Verfügungen (insbesondere eine Erklärung gemäß § 14 Abs 2 MRG) zu unterlassen und den monatlichen Mietzins weiterzuzahlen.

Für den Standpunkt des Antragstellers ist daraus aber ebenso wenig zu gewinnen wie aus dem Umstand, dass es nach ständiger Rechtsprechung selbst im Hauptverfahren über den Anspruch nach § 97 ABGB auf die Art der Verfügungsbefugnis nicht entscheidend ankommt: Sie kann sich auf dingliche Berechtigungen ([Mit‑]Eigentum, Baurecht, [persönliche] Dienstbarkeit) und auf obligatorische Rechte (Bestandrecht, Leihe, Genossenschaftsrecht) stützen, oder sich aus einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise (zB Stellung des Ehegatten als Organ der KG, der die Wohnung gehört) ergeben, wobei auch die Verfügungsbefugnis aufgrund eines Prekariums, eines familienrechtlichen Wohnanspruchs gegenüber einem Verwandten oder an einer Dienstwohnung ausreichend ist (Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 97 ABGB Rz 13 mwN; RIS‑Justiz RS0113119 [T1 bis T4]).

All dies vermag aber daran nichts zu ändern, dass der Antragsteller im vorliegenden Fall eine Verfügungsberechtigung der Antragsgegnerin über die Ehewohnung aufgrund der Sonderrechtsnachfolge des § 14 Abs 2 MRG behauptet hat und ein fortwirkender Wohnungserhaltungsanspruch daher nur dann angenommen werden könnte, wenn die Antragsgegnerin gemäß § 14 Abs 2 MRG in das Mietverhältnis eingetreten und damit ihre aufrechte Verfügungsberechtigung über die Ehewohnung zu bejahen wäre. Wie bereits ausgeführt, hätte dies vom Antragsteller nach allgemeinen Bestimmungen behauptet und bescheinigt werden müssen, was hier jedoch nicht der Fall ist.

Der Antragsteller vertritt vielmehr die - unrichtige - Auffassung, die im Revisionsrekurs erörterte Rechtsnatur des konkreten Benützungsverhältnisses, aufgrund dessen die Antragsgegnerin die Benützung der Wohnung [allenfalls] zustehe, sei „unerheblich", weil der Antragsgegnerin ohnehin „kein Handeln im Hinblick auf den Fortbestand der Benützungsberechtigung aufgetragen", sondern sie nur dazu verpflichtet worden sei, jegliche Verfügung im Sinn einer Auflösung des [allenfalls vorliegenden] Bestandverhältnisses zu unterlassen. Er verweist darauf, dass der Antragsgegnerin auch nicht aufgetragen worden sei, in das Bestandverhältnis einzutreten, weil sie dies - wie er selbst festhält - „automatisch tut oder eben nicht", je nachdem, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs 2 MRG vorlägen oder nicht. Dies zu prüfen sei aber nicht Aufgabe des Verfahrens gemäß § 97 ABGB.

Angesichts dieser Ausführungen kann von einer ausreichenden Behauptung und Bescheinigung einer - der Antragstellerin über die Ehewohnung zukommenden - Verfügungsberechtigung, die den eingangs dargelegten Grundsätzen entsprechen würde, keine Rede sein, weshalb der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382e EO aF erfolglos bleiben muss.

Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist daher Folge zu geben und der Sicherungsantrag in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Gänze abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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