Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Rekurs zurückgewiesen wird.
Die Entscheidung des Erstgerichts wird wiederhergestellt.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.761,13 EUR (darin 293,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 2.743,39 EUR (darin 457,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die klagende Partei begehrt vom Beklagten in ihrer Hypothekarklage 290.000 EUR sA. Die Klage mit dem Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung wurde dem Beklagten am 2. 4. 2008 durch Hinterlegung zugestellt (Beginn der Abholfrist 2. 4. 2008). Mit einem am 2. 5. 2008 zur Post gegebenen Antrag mit Vermögensbekenntnis beantragte der Beklagte die Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang.
Auf Antrag der klagenden Partei erließ das Erstgericht am 26. 5. 2008 ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil, das dem Beklagten am 2. 6. 2008 eigenhändig zugestellt wurde.
Nach Einvernahme des Beklagten im Rechtshilfeweg bewilligte das Erstgericht dem Beklagten die Verfahrenshilfe in vollem Umfang; in der Folge wurde der Rechtsanwalt Dr. Georg Santer mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer zum Verfahrenshelfer bestellt. Der Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und der Bescheid über seine Bestellung zum Verfahrenshelfer wurden Dr. Georg Santer am 8. 9. 2008 zugestellt.
Am 2. 10. 2008 erhob der Verfahrenshelfer Widerspruch gegen das Versäumungsurteil und erstattete eine Klagebeantwortung.
Am 20. 10. 2008 beraumte das Erstgericht für den 26. 1. 2009 eine mündliche Verhandlung an. Die klagende Partei beantragte in einem Schriftsatz unter anderem, den Widerspruch des Beklagten als verspätet zurückzuweisen. Über diesen Antrag entschied das Erstgericht nicht; in der Tagsatzung vom 26. 1. 2009 hob das Erstgericht das Versäumungsurteil vom 26. 5. 2008 auf. Die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung habe aufgrund des rechtzeitigen Antrags des Beklagten auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht ablaufen können, sodass im Ergebnis das Versäumungsurteil vom 26. 5. 2008 aufgrund des Widerspruchs aufzuheben gewesen sei.
Über Rekurs der klagenden Partei hob das Rekursgericht diesen Beschluss „ersatzlos" auf, erklärte das erstinstanzliche Verfahren ab der am 20. 10. 2008 erfolgten Anberaumung der mündlichen Verhandlung für den 26. 10. 2009 für nichtig und wies den Widerspruch des Beklagten gegen das Versäumungsurteil zurück.
Der Rechtsmittelausschluss des § 397a Abs 3 ZPO erstrecke sich nicht auf Beschlüsse, mit denen ein Versäumungsurteil aufgrund eines unzulässigen Widerspruchs aufgehoben wird. Ein verspäteter Widerspruch sei gemäß § 397a Abs 3 ZPO zurückzuweisen; die verspätete Erhebung des Widerspruchs sei der Unzulässigkeit (Unstatthaftigkeit) gleichzusetzen.
Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 397a ZPO sei allein durch die - zulässige - Zustellung des Versäumungsurteils an den Beklagten persönlich noch nicht in Gang gesetzt worden, sondern gemäß § 73 Abs 2 ZPO erst mit der Zustellung des die Verfahrenshilfe bewilligenden Beschlusses samt dem Bescheid über die Bestellung des Verfahrenshelfers an diesen. Die Zustellung auch des Versäumungsurteils selbst sei zum Ingangsetzen der Widerspruchsfrist nicht erforderlich.
Das Versäumungsurteil sei daher in Rechtskraft erwachsen; der erst am 2. 10. 2008 erhobene Widerspruch sei nicht mehr geeignet, zu einer Aufhebung des Versäumungsurteils zu führen.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil bisher eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Zulässigkeit des Rekurses gegen den Beschluss über die Aufhebung eines Versäumungsurteils aufgrund eines verspäteten Widerspruchs sowie zur sachlichen Berechtigung der Differenzierung hinsichtlich des jeweiligen Fristbeginns zwischen den Regelungen des § 73 Abs 2 ZPO und § 464 Abs 3 ZPO fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt:
1.1. Nach § 464 Abs 3 ZPO beginnt, wenn eine die Verfahrenshilfe genießende Partei rechtzeitig die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt hat, für sie die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung im Wege der Analogie auch auf das Rekursverfahren anzuwenden (3 Ob 137/06b; 4 Ob 88/07f). Demgegenüber beginnt nach § 73 Abs 2 ZPO die Frist für die Einbringung der Klagebeantwortung, des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl, der Einwendungen im Wechselmandatsverfahren und im Bestandverfahren oder des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil „frühestens" mit der Zustellung des Bescheids, mit dem der Rechtsanwalt bestellt wird. Nach herrschender Auffassung (M. Bydlinski in Fasching/Konecny² § 73 ZPO Rz 3; Pimmer in Fasching/Konecny² § 464 ZPO Rz 10; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht7 Rz 445; aA LG Feldkirch RIS-Justiz RFE0000064) ist die Zustellung des Versäumungsurteils für die Ingangsetzung des Fristenlaufs nicht erforderlich.
1.2. Für diese Auslegung spricht nicht nur der Vergleich zwischen § 73 Abs 2 ZPO und der ausdrücklich an die Zustellung auch des anzufechtenden Urteils anknüpfenden Bestimmung des § 464 Abs 3 ZPO, sondern auch die unterschiedliche Ausgangssituation: Während für die Bekämpfung eines Urteils im Wege der Berufung regelmäßig die inhaltliche Kenntnis der anzufechtenden Entscheidung erforderlich ist, weil andernfalls ein zulässiges, zumindest aber erfolgversprechendes Rechtsmittel nicht erhoben werden kann, gilt dies für die Bekämpfung eines Versäumungsurteils mittels Widerspruchs nicht.
2.1. Auf diese Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall aber nicht abschließend einzugehen: Nach § 397a Abs 3 letzter Halbsatz ist ein Rechtsmittel gegen die Aufhebung eines Versäumungsurteils aufgrund eines Widerspruchs nicht zulässig (EvBl 2001/131; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² § 397a Rz 11). Hingegen ist der Beschluss auf Zurückweisung des Widerspruchs sowie auf Abweisung eines Antrags, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen, anfechtbar (RZ 1981/51; JBl 1999, 329; Deixler-Hübner aaO).
2.2. Nach der Rechtsprechung gilt der Rechtsmittelausschluss des § 397a Abs 3 ZPO allerdings nicht für die Aufhebung eines Versäumungsurteils aufgrund eines unzulässigen Widerspruchs (1 Ob 576/91; vgl 7 Ob 291/00w; 8 ObA 193/02v). Diesen Entscheidungen lag allerdings die Unterscheidung in „echte" und „unechte" Versäumungsurteile zugrunde, wobei gegen letztere (§ 399 ZPO aF) ein Widerspruch nicht vorgesehen war.
3.1. Zur vergleichbaren Bestimmung des § 153 ZPO vertritt die herrschende Rechtsprechung die Auffassung, dass der dort statuierte Rechtsmittelausschluss nur dann nicht gilt, wenn die Wiedereinsetzung ohne gesetzliche Grundlage bewilligt wurde; eine entgegen dem Gesetz bewilligte Wiedereinsetzung sei unbeachtlich (SZ 68/277; 9 ObA 333/97d; EvBl 1997/131; SZ 70/169 ua; vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² § 153 ZPO Rz 5). Sofern allerdings ein Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich in Betracht kommt, sei die Frage nach der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrags dem Zweck der Rechtsmittelbeschränkung des § 153 ZPO zufolge unüberprüfbar; der Rechtsmittelausschluss nach dieser Bestimmung gelte auch für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrags (Fink, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zivilprozessrecht 110; Burgstaller, Beiträge zum Zivilprozessrecht I 76; 1 Ob 230/99a).
3.2. Diese Überlegungen sind auch auf § 397a ZPO zu übertragen. Die allfällige Verspätung eines Widerspruchs kann der Erhebung eines Widerspruchs gegen eine Entscheidung, gegen die von vornherein ein Widerspruch nicht vorgesehen ist, nicht gleich gehalten werden. Dass durch die Aufhebung eines Versäumungsurteils aufgrund eines verspäteten Widerspruchs in die Rechtskraft des Versäumungsurteils eingegriffen wird, ist keine Besonderheit der vorliegenden Konstellation, sondern gilt in gleicher Weise bei Bewilligung eines verspäteten Wiedereinsetzungsantrags. Insoweit kann auf die im Vorigen dargestellten Überlegungen der herrschenden Lehre und Rechtsprechung verwiesen werden.
4. Damit erweist sich der Beschluss des Erstgerichts über die Aufhebung des Versäumungsurteils als unanfechtbar, sodass die Entscheidung des Rekursgerichts im Sinne einer Zurückweisung des Rekurses und Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern war.
5. Zufolge Abänderung des angefochtenen Beschlusses war auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden. Nach § 397a Abs 4 ZPO ist derjenigen Partei, die den Widerspruch erhoben hat, der Ersatz aller Kosten aufzuerlegen, die durch ihre Versäumung und die Verhandlung über den Widerspruch verursacht worden sind. Darunter sind etwa die Kosten des frustrierten Besuchs der vorbereitenden Tagsatzung oder für den schriftlichen Antrag auf Fällung des Versäumungsurteils zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² § 397a Rz 12). Zutreffend betont die Lehre allerdings, dass die den Widerspruch erhebende Partei nur zum Ersatz etwaiger Mehrkosten verpflichtet ist (OLG Wien, Anwaltsblatt 1991, 80 [Arnold]; Deixler-Hübner aaO; vgl auch Fasching, Lehrbuch² Rz 595). Hingegen kann die nach dem Gesagten unzulässige Bekämpfung der Aufhebung des Versäumungsurteils aufgrund eines Widerspruchs den angeführten Fällen wertungsmäßig nicht gleichgehalten werden; insoweit waren daher die ausschließlich durch den unzulässigen Rekurs der klagenden Partei verursachten Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens der klagenden Partei aufzuerlegen (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny² § 48 ZPO Rz 12 ff und § 52 ZPO Rz 3 mwN).
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