OGH 10Ob58/09s

OGH10Ob58/09s10.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj E***** H*****, geboren am 13. Februar 2003, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter S***** H*****, vertreten durch Dr. Peter Buchbauer, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 13. August 2009, GZ 1 R 245/09w-S-76, womit über Rekurs des Minderjährigen und seiner Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 20. Mai 2009, GZ 413 P 69/07b-S-67, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. 9. 2003 geschieden. Alleinobsorgeberechtigte ist die Mutter. Das Erstgericht räumte dem Vater ein Besuchsrecht in der Form ein, dass er berechtigt ist, seinen Sohn an jedem ersten Donnerstag im Monat im Rahmen der Besuchsbegleitung in einem Institut für zwei Stunden zu besuchen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen und - wie aus den Rekursausführungen unzweifelhaft erhellt - seiner Mutter, der für das Rechtsmittelverfahren die Verfahrenshilfe bewilligt worden war, gegen diesen Beschluss nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Rüge im Rekurs, dass das Erstgericht den Minderjährigen nicht gehört habe, hielt es entgegen, eine Befragung des sechsjährigen Kindes durch den Sachverständigen habe nicht erfolgen können, weil die Mutter jegliche Untersuchung des Kindes durch den Sachverständigen verweigert habe. Eine ernste und unbeeinflusste Meinung des Kindes sei nicht zu erwarten, weil die Mutter praktisch seit der Geburt des Kindes jeglichen Kontakt zum Vater unterbunden habe. Ein Verfahrensmangel liege daher nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, den der Vater unbeantwortet ließ, ist zulässig und auch berechtigt.

Im Verfahren über die Regelung des persönlichen Verkehrs kommt dem Kind (6 Ob 186/07g; 3 Ob 139/06x) und auch dem Obsorgeberechtigten bzw dem das Kind betreuenden Elternteil Parteistellung zu, sofern nicht bloß Besuchsmodalitäten geändert werden, die in die rechtlich geschützte Stellung dieses Elternteils nicht unmittelbar eingreifen. Im Anlassfall ist diese Einschränkung nicht gegeben. Die Rechtsmittelwerberin rügt im Revisionsrekurs erneut die Unterlassung der Anhörung des Minderjährigen durch das Erstgericht als Verfahrensmangel. Es entspreche nicht dem Wunsch des Kindes, seinem Vater ein Besuchsrecht zu gewähren.

Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz kann im Revisionsrekurs grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden, es sei denn eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist - insbesondere in Besuchsrechtsverfahren (10 Ob 13/08x) - aus Gründen des Kindeswohls erforderlich (RIS-Justiz RS0030748; RS0050037). Im Anlassfall ist die Durchbrechung des Grundsatzes geboten:

Gemäß § 105 Abs 1 erster Satz AußStrG hat das Gericht Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder das Recht auf persönlichen Verkehr grundsätzlich persönlich zu hören. In § 105 Abs 1 zweiter Satz AußStrG sind die Voraussetzungen einer Anhörung durch den Jugendwohlfahrtsträger durch Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Sachverständige, normiert. Die Ausnahmen von der Befragung des Minderjährigen sieht § 105 Abs 2 AußStrG vor. Danach hat die Befragung zu unterbleiben, soweit durch sie oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist. Das Gebot zur Befragung des Kindes dient dazu, dessen grundsätzliche Einstellung zu den zu beurteilenden Fragen - insbesondere zu seinem Verhältnis zum besuchsberechtigten Elternteil - zu erfragen (vgl 1 Ob 133/04x zu § 182b Abs 1 AußStrG 1854).

Bei einem Minderjährigen darf somit die Befragung gemäß § 105 AußStrG nur aus den in dessen Absatz 2 genannten zwei Gründen unterbleiben, die unter den Begriffen des Kindeswohls und der Verständnisfähigkeit zusammenzufassen sind (3 Ob 186/05g). Im Anlassfall hat auch das Rekursgericht nicht angenommen, dass Gründe dieser Art vorliegen. Es ist auch kein Grund ersichtlich, der ein Unterbleiben der Befragung des Minderjährigen rechtfertigen würde. Eine mittelbare Befragung des Minderjährigen durch den Sachverständigen hat das Erstgericht, das den Minderjährigen persönlich nicht hörte, nicht angeordnet. Erst nach der Befragung des Kindes kann auch dessen Sicht als Verfahrensergebnis einbezogen werden und auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfreie Entscheidung getroffen werden, wobei das Gericht an den Wunsch des Kindes allein freilich nicht gebunden ist (3 Ob 186/05g mwN).

Schon aus diesem Grund sind die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird nach Befragung des Kindes eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

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