OGH 2Ob106/09s

OGH2Ob106/09s29.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard G*****, vertreten durch Dr. Katja Matt, Rechtsanwältin in Bregenz, gegen die beklagten Parteien 1. Land *****, und 2. Dr. Martin H*****, beide vertreten durch Dr. Jürgen Amann, Dr. Alexander Jehle und Dr. Alexander Juen, Rechtsanwälte in Rankweil, wegen (eingeschränkt) 5.475,28 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 2. Februar 2009, GZ 1 R 364/08z-30, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bezau vom 8. Oktober 2008, GZ 3 C 205/08h-23, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien deren mit 614,86 EUR (darin enthalten 102,48 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche im Zusammenhang mit einem Schiunfall. Eine 13-jährige Schülerin des ***** Gymnasiums nahm an einer Schulschiwoche teil. Anlässlich einer Vorfahrübung zu Beginn der Schiwoche verlor sie die Kontrolle über ihre Schi und kollidierte mit dem Kläger, der Rippenbrüche und -risse erlitt. Der Kläger begehrt Schadenersatz - im Wesentlichen Schmerzengeld - vom Staat ***** (Erstbeklagter) als Rechtsträger des die Schiwoche veranstaltenden Gymnasiums und von dem mit der Beaufsichtigung der Schüler beauftragten Lehrer (Zweitbeklagter). Der Zweitbeklagte - als „Erfüllungsgehilfe" des Erstbeklagten - habe eine zu steile Piste für das Vorfahren ausgewählt. Er hätte die Strecke absichern und eine zweite Aufsichtsperson zuziehen müssen.

Die Beklagten beantragten die Klagsabweisung und wendeten im Wesentlichen ein, bei dem vom Zweitbeklagten ausgewählten Hang habe es sich um eine leicht befahrbare „blaue" Piste gehandelt. Zu einer Sicherung des Hangs oder Hinzuziehung einer zweiten Aufsichtsperson habe keine Notwendigkeit bestanden. Allein aus dem Umstand, dass der Erstbeklagte Veranstalter der Schiwoche gewesen sei, ergebe sich keine Haftung. Der Zweitbeklagte hafte als Organ des Erstbeklagten nicht unmittelbar gegenüber dem Kläger.

Das Erstgericht wies die Klage gegen den Erstbeklagten ab und gegen den Zweitbeklagten zurück. Dem Kläger sei der Nachweis des rechtswidrigen und schuldhaften Handelns der Beklagten nicht gelungen. Selbst ein Anfänger sei in der Lage, eine blaue, sohin leicht zu bewältigende Piste zu befahren. Das Verlangen nach einem Absperren des Geländes und Zuziehen einer zweiten Aufsichtsperson stelle eine Überspannung der Grundsätze der verkehrsüblichen Sorgfalt dar. Ein rechtswidriges Verhalten eines Organs des Erstbeklagten liege nicht vor, sodass die Klage gegen den Erstbeklagten abzuweisen und gegen den Zweitbeklagten, dessen direkte Inanspruchnahme als Organ nicht vorgesehen sei, zurückzuweisen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung mit der Maßgabe, dass die Klage auch gegen den Zweitbeklagten abgewiesen wurde. Der Zweitbeklagte habe für das Vorfahren seiner Schüler eine Piste mit blauer Markierung gewählt und damit jedenfalls keinen objektiven Sorgfaltsverstoß zu vertreten. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus dem festgestellten Gelände, da dieses flach und nur in einem gewissen Bereich steiler verlaufen sei. Die Auswahl der Teststrecke könne dem Zweitbeklagten nicht als fahrlässig angelastet werden. Die Klage sei daher gegen den Zweitbeklagten abzuweisen. Der Kläger habe seine Ansprüche nicht auf Amtshaftung gestützt. Der Zweitbeklagte sei daher (auch nach dem Vorbringen des Klägers) nicht als Organ eines Rechtsträgers, sondern in seiner Eigenschaft als Aufsichtsperson zur Haftung herangezogen worden. Das Klagebegehren sei daher mangels einer solchen Haftung abzuweisen und nicht wegen einer allfälligen Organstellung des Zweitbeklagten zurückzuweisen. Die Haftung des Erstbeklagten habe der Kläger darauf gestützt, dass der Zweitbeklagte als Erfüllungsgehilfe des Erstbeklagten tätig geworden sei. Eine derartige Haftung käme aber mangels eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten nicht in Betracht. Ein anderer Rechtsgrund für die Haftung des Erstbeklagten sei nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil es von grundsätzlicher Bedeutung erscheine, ob eine „blaue" Piste ohne weiteres als für Probefahrten von Schülern als geeignet angesehen werden könne und ob dies auch auf ein Gelände mit vorübergehend 30 Grad Gefälle zutreffe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig. Das Maß der gebotenen Sorgfalt bei Bestehen einer Aufsichtspflicht ist jeweils im Einzelfall danach zu beurteilen, wie sich ein „maßgerechter" Mensch in der konkreten Situation des Aufsichtspflichtigen verhalten hätte (RIS-Justiz RS0027339 [T7]). Die Frage, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0027339 [T10]). Die Auswahl eines bestimmten Geländes kann dem Schilehrer regelmäßig nur dann zum Verschulden gereichen, wenn zwischen dem schiläuferischen Können der Schüler und dem Schwierigkeitsgrad des zu befahrenden Geländes ein krasses Missverhältnis besteht (4 Ob 524/92; Pichler/Holzer, Handbuch des österreichischen Schirechts 207).

Im vorliegenden Fall ist ein derartiges Missverhältnis nicht zu erkennen, zumal die den Unfall verursachende Schülerin bereits früher einen einwöchigen Schikurs absolviert hatte, die Schüler bereits vor dem Unfall per Schi etwa 400 m zu ihrer Unterkunft abgefahren waren und die Pistenbeschaffenheit - „blaue" (leichte) Piste mit flachem Beginn, flachem und weitläufigem Auslauf und nur dazwischen einem steileren Bereich (mit bis zu 30 Grad Gefälle) - grundsätzlich nicht von vornherein für Anfänger ungeeignet erschien, sodass die Verneinung des Sorgfaltsverstoßes des Zweitbeklagten durch das Berufungsgericht keine grobe Fehlbeurteilung darstellt. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 50 und 41 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Klägers hingewiesen, weshalb die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich anzusehen sind.

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