OGH 5Nc11/09a

OGH5Nc11/09a13.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. Mj. Robert B*****, geb. am 5. März 1996, und 2. Mj. Miriam B*****, geb. am 19. Jänner 1998, AZ 80 PU 31/09w des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, wegen § 111 Abs 2 JN, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 31. März 2009, GZ 80 P 28/06s-U39, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Deutschlandsberg wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der beiden Minderjährigen ist geschieden. Der Vater lebt in Deutschland, die Kinder wohnten nach der Trennung der Eltern mit der Mutter zunächst in Wien, seit vielen Jahren haben sie aber ihren ständigen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Deutschlandsberg.

Beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist derzeit noch das Verfahren über die Festsetzung des vom Vater zu leistenden Kindesunterhalts anhängig. Der Pflegschaftsakt umfasst inzwischen drei Bände. Es wurden umfangreiche Beweisaufnahmen durchgeführt, die auch die Einholung von Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Höhe des Einkommens des selbstständig erwerbstätigen Vaters einschlossen. Mit Beschluss vom 23. Mai 2008 setzte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den vom Vater ab dem 1. Jänner 2002 bis laufend für die beiden mj. Kinder zu leistenden Unterhalt fest. Dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Vaters gab das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 27. Jänner 2009 teilweise Folge und trug dem Erstgericht ergänzende Feststellungen über die dem Vater ab dem Jahr 2006 zur Deckung seiner eigenen Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Beträge auf.

Mit seinem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 31. März 2009 übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit für das gegenständliche Unterhaltsverfahren gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Deutschlandsberg. Die Führung des Aktes durch das für den Wohnort der Kinder zuständige Gericht erscheine zweckmäßig. Das Bezirksgericht Deutschlandsberg lehnte die Übernahme der Zuständigkeit mit Beschluss vom 29. April 2009 ab. Im Hinblick auf den teilweise noch unerledigten Unterhaltsfestsetzungsantrag sei die Übertragung der Zuständigkeit derzeit nicht sinnvoll. Das übertragende Gericht verfüge bereits über eine genaue Kenntnis des umfangreichen Aktes und könne die bisherigen Beweisergebnisse unmittelbar verwerten, wogegen sich ein neues Entscheidungsorgan erst einlesen müsste. Der Verfahrenshelfer des Vaters sei ebenso in Wien ansässig wie der im Verfahren beauftragte Buchsachverständige. Es könne daher mit einer rascheren Entscheidung durch das bisher befasste Gericht gerechnet werden.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte den Akt daraufhin dem Obersten Gerichtshof zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 Abs 2 JN vor. In einer ergänzenden Stellungnahme der zuständigen Rechtspflegerin wird darauf hingewiesen, dass diese den Akt selbst erst während des Rekursverfahrens übernommen habe und daher keinen der Übertragung allenfalls entgegenstehenden Informationsvorsprung verwerten könne.

Rechtliche Beurteilung

1. Wenn es im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung ist daher stets das Kindeswohl.

2. In der Regel ist das räumliche Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen jenes Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (RIS-Justiz RS0047074 insb [T73]). Offene Anträge im Pflegschaftsverfahren sprechen nur dann gegen eine Übertragung, wenn das bisher zuständige Gericht wegen seiner bisherigen Ermittlungen und Tatsachenkenntnisse und seiner eingehenden Vertrautheit mit den Problemen zur Entscheidung besser geeignet ist (Fucik aaO § 111 JN Rz 3).

3. Ein solcher Vorzug kommt dem übertragenden Gericht hier - trotz der langen Verfahrensdauer - wegen eines Wechsels des zuständigen Entscheidungsorgans ausnahmsweise nicht zu, sodass der teilweise noch offene Unterhaltsfestsetzungsantrag für sich allein die Genehmigung der Übertragung nicht hindern würde. Auch das übernehmende Bezirksgericht könnte die vorhandenen Verfahrensergebnisse verwerten und bei Bedarf die bereits in die Materie eingearbeiteten Sachverständigen wieder bestellen. Als zwangsläufiger Mehraufwand des übernehmenden Gerichts verbliebe im vorliegenden Verfahren nur die notwendige Umbestellung des dem Vater beigegebenen Verfahrenshelfers.

4. Eine Übertragung nach § 111 Abs 1 JN ist aber nur zulässig, wenn damit voraussichtlich eine Beförderung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes verbunden ist. Als Ausnahmebestimmung zu § 29 ist § 111 JN grundsätzlich restriktiv auszulegen (Fucik in Fasching/Konecny² I § 111 JN Rz 2).

In einem Unterhaltsfestsetzungsverfahren, das wegen des ausländischen Wohnorts des Unterhaltspflichtigen als reines Aktenverfahren geführt wird, kommt dem Kriterium der räumlichen Nähe zum Pflegebefohlenen nur sehr untergeordnete Bedeutung zu, weil die speziellen Probleme eines solchen Verfahrens, etwa Schwierigkeit oder Dauer von Auskunfts- und Rechtshilfeersuchen, unabhängig vom Standort des Pflegschaftsgerichts auftreten. Gründe, die dennoch für eine voraussichtlich effizientere und schnellere Bearbeitung des noch offenen Antrags durch das übernehmende Gericht sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Derzeit sind auch keine Anordnungen nötig, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort der Kinder haben, sodass seine Verlegung allein noch kein aktuelles Interesse an einer Übertragung der Zuständigkeit (EFSlg 72.834) begründet.

Der Übertragung des Unterhaltsverfahrens an das Bezirksgericht Deutschlandsberg war daher die Genehmigung zu versagen.

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