OGH 15Os80/09t

OGH15Os80/09t24.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred D***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Jänner 2009, AZ 22 Bs 4/09p, im Ermittlungsverfahren AZ 132 BAZ 1785/08y der Staatsanwaltschaft Wien nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, der Vertreterin des Privatbeteiligten Mag. Schattowitz und des Beschuldigten Manfred D***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Ermittlungsverfahren AZ 132 BAZ 1785/08y der Staatsanwaltschaft Wien verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Jänner 2009, AZ 22 Bs 4/09p, § 57 Abs 2 und Abs 3 letzter Fall StGB.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Dem Antrag der Theresia Di***** auf Fortführung des Verfahrens gegen Manfred D***** wegen § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Das Ermittlungsverfahren gegen Manfred D***** wegen § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall (iVm § 2) StGB, AZ 132 BAZ 1785/08y der Staatsanwaltschaft Wien, wurde vom Bezirksanwalt am 10. Oktober 2008 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt (S 2 im Anordnungs- und Bewilligungsbogen).

Laut Abschlussbericht der Polizeiinspektion D***** vom 4. April 2008 (ON 2, S 1 f) wurde Manfred D***** als Geschäftsführer (und somit Verantwortlicher) der A***** GmbH zur Last gelegt, diese sei ihrer (vertraglich vereinbarten) Schneeräumungspflicht nicht nachgekommen, weshalb Theresia Di***** am 16. November 2007 in *****, auf einem Kanaldeckel ausgerutscht und gestürzt sei und dabei - dem polizeiamtsärztlichen Gutachten zufolge (ON 2, S 11) - eine schwere Zerrung des rechten Handgelenks mit Bruch des rechten Speichenköpfchens, mithin eine an sich schwere Körperverletzung mit mehr als 24 Tagen dauernder Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit erlitten habe.

Im Zuge der weiteren von der Staatsanwaltschaft veranlassten Ermittlungen wurde Manfred D***** - ohne dass es zuvor zu Fahndungsmaßnahmen oder zur Androhung oder Ausübung von Zwang gegen ihn gekommen war - am 29. September 2008 erstmals gemäß § 164 Abs 1 StPO als Beschuldigter zum Tatverdacht vernommen (siehe Ladungsformular sowie Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung in ON 2).

Mit Beschluss vom 15. Jänner 2009, AZ 22 Bs 4/09p, gab das Oberlandesgericht Wien dem Antrag des Opfers vom 29. Oktober 2008 auf (gemeint:) Fortführung des Ermittlungsverfahrens (§ 195 Abs 1 StPO; ON 3) mit der Begründung Folge, dass die Entscheidungsgrundlage einer Verbreiterung bedürfe und jedenfalls zu klären wäre, ob sich der Kanaldeckel auf einem der Räumungspflicht unterliegenden Teil des Gehwegs befinde.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die Verjährungsfrist für die Strafbarkeit des (mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedrohten) Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB beträgt gemäß § 57 Abs 3 letzter Fall StGB ein Jahr. Sie beginnt bei Unterlassungsdelikten mit dem Ende der Handlungspflicht bzw mit jenem Zeitpunkt, ab dem für erfolgsverhindernde Maßnahmen kein Raum mehr bleibt (vgl E. Fuchs in WK2 § 57 Rz 7), etwa wenn der (zu verhindernde) Erfolg bereits eingetreten ist, hier somit am 16. November 2007.

Mangels Gerichtsanhängigkeit vor dem 1. Jänner 2008 und infolge des Fehlens sonstiger verjährungshemmender Maßnahmen im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB idF vor BGBl I 2009/40 wurde der Lauf der Verjährungsfrist im Anlassfall erst mit 29. September 2008, nämlich durch erstmalige Vernehmung des Beschuldigten gemäß § 164 StPO gehemmt. Diese Hemmung wirkt kraft Gesetzes bis zur „rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens", fallbezogen daher bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft (§ 190 StPO) am 10. Oktober 2008 (vgl E. Fuchs in WK² § 58 Rz 22).

Nach Einstellung des Verfahrens läuft die (verbleibende) Verfolgungsverjährung weiter (E. Fuchs in WK² § 58 Rz 23); sie endete im gegenständlichen Fall - unter Berücksichtigung ihrer elftägigen Hemmung zwischen 29. September 2008 und 10. Oktober 2008 - mit Ablauf (vgl § 68 letzter Satz StGB) des 27. November 2008.

Der am 31. Oktober 2008 bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebrachte Antrag auf Fortführung des Verfahrens (ON 3) vermochte den Lauf der Verjährung ebenso wenig zu beeinflussen wie die dem Antrag stattgebende - hier auch jedenfalls verspätete - Entscheidung des Oberlandesgerichts; eine neuerliche Hemmung der Verjährungsfrist hätte vielmehr erst die Staatsanwaltschaft durch tatsächliche Anordnung (§ 196 Abs 3 letzter Satz StPO idF vor BGBl I 2009/52) der Fortführung des (zum Zeitpunkt seiner Einstellung mit verjährungshemmender Wirkung ausgestatteten) Verfahrens bewirken können (E. Fuchs in WK² § 58 Rz 24).

Die bereits mit Ablauf des 27. November 2008 eingetretene Verfolgungsverjährung wäre jederzeit von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen (RIS-Justiz RS0091794; E. Fuchs in WK² § 57 Rz 18). Sonstige zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin wirksame verjährungshemmende Umstände sind nach der Aktenlage nicht indiziert, weshalb das Oberlandesgericht dem Fortführungsantrag nicht Folge geben hätte dürfen.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten auswirkte, war deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu versehen.

Die Frage der Verjährung betrifft zwar kein prozessuales Verfolgungshindernis, sondern einen materiellen Strafaufhebungsgrund (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 619; E. Fuchs in WK² Vorbem §§ 57-60 Rz 1), es war jedoch von einer Verweisung zu neuer Entscheidung abzusehen, weil die vermisste Feststellung (hier über das Vorliegen sonstiger nach wie vor wirksamer verjährungshemmender Umstände) nicht zu erwarten ist (RIS-Justiz RS0118545; E. Fuchs in WK² § 57 Rz 19).

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