OGH 10ObS53/09f

OGH10ObS53/09f12.5.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Mag. Michaela Haydter (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Claudia P*****, vertreten durch Dr. Herbert Felsberger und Dr. Sabine Gauper-Müller, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Kärntner Gebietskrankenkasse, Kempfstraße 8, 9021 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Dr. Peter Bernhart und Dr. Bernhard Fink, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Streitwert 581,20 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. April 2008, GZ 7 Rs 28/08 d-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. November 2007, GZ 31 Cgs 198/07b-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Beide Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Klägerin wurde von der beklagten Kärntner Gebietskrankenkasse anlässlich der Geburt ihrer Tochter Vanessa P***** am 26. 9. 2002 für den Zeitraum vom 22. 11. 2002 bis 31. 12. 2002 Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 581,20 EUR (= 40 Tage à 14,53 EUR) zuerkannt und ausbezahlt.

Die bei der L*****- Betriebsgesellschaft ***** angestellte Klägerin hat im Zeitraum vom 1. 12. 2002 bis 31. 12. 2002 Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.275,23 EUR bezogen. Davon hat die beklagte Partei am 18. 4. 2005 Kenntnis erlangt. Mit Bescheid vom 26. 6. 2007 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 22. 11. 2002 bis 31. 12. 2002 und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in der Höhe von insgesamt 581,20 EUR binnen vier Wochen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Abstandnahme von der Rückforderung, weil die Voraussetzungen des § 31 KBGG nicht erfüllt seien. Sie habe nicht erkennen können, dass die Leistung nicht gebühre, da sie im Zeitraum des Kinderbetreuungsgeldbezuges nicht gewusst habe, dass sie die Zuverdienstgrenze überschreite. Ein Verschulden am Überbezug sei ihr nicht anzulasten. Die Berechnung der Freigrenze sei ihr nicht möglich gewesen, weil sie nach Ende des Mutterschutzes ihren Erholungsurlaub aus dem Vorjahr konsumieren habe müssen. Die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes sei ausschließlich der beklagten Partei zuzurechnen, die es unterlassen habe, die Klägerin ausreichend zu belehren. Diese habe das Kinderbetreuungsgeld in gutem Glauben erhalten und redlich verbraucht. Obwohl die Klägerin nicht in der Lage sei, den zurückgeforderten Betrag zu bezahlen, habe die beklagte Partei - zu Unrecht - von der Möglichkeit der Berücksichtigung von Härtefällen nicht Gebrauch gemacht. Letztlich wird von der Klägerin die Einkunftsermittlung für Dezember 2002 bestritten und Verjährung des Rückforderungsanspruchs eingewendet.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass die Lohnsteuerbemessungsgrundlage der Klägerin vom 1. 12. 2002 bis 31. 12. 2002 1.275,23 EUR betragen habe. Für die Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 8 KBGG sei dieser Betrag um die aliquoten Werbungskosten in Höhe von 11 EUR (132/12) zu reduzieren, anschließend durch die Anspruchsmonate (1) zu teilen und sodann durch Multiplikation mit 12 auf das Kalenderjahr hochzurechnen. Daraus resultiere der Betrag von 15.170,76 EUR, welcher um 30 % erhöht den Betrag von 19.791,99 EUR ergebe und den maßgeblichen Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 8 KBGG darstelle. Da dieser Betrag die gesetzliche Zuverdienstgrenze von

14.600 EUR gemäß § 2 Abs 1 Z 3 KBGG übersteige, bestehe kein Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom 22. 11. 2002 bis 31. 12. 2002. Die Beachtung der Freigrenze falle allein in den Verantwortungsbereich der Klägerin. Auf die Einkommensermittlung sei deutlich in einem Informationsblatt hingewiesen worden. Der Überschreitungsbetrag liege auch deutlich über dem Grenzbetrag nach der KBGG-Härtefallverordnung (16.790 EUR). Dem Verjährungseinwand stehe § 31 Abs 7 KBGG entgegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, widerrief die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 22. 11. 2002 bis 31. 12. 2002 und verpflichtete die Klägerin zur Zahlung von 581,20 EUR. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass das Einkommen der Klägerin den Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 KBGG verwirkliche, der nicht an ein Verschulden des Leistungsbeziehers anknüpfe. Eine Berücksichtigung des behaupteten gutgläubigen Verbrauchs komme nicht in Betracht. Gemäß § 31 Abs 7 KBGG sei der Rückforderungsanspruch auch nicht verjährt. Zum Ausspruch eines Verzichts habe das Gericht keine Kompetenz.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es stehe fest, dass die Zuverdienstgrenze für den im Jahr 2002 liegenden Bezugszeitraum überschritten worden sei; die Berechnung durch das Erstgericht werde nicht in Frage gestellt. Die Rückzahlungsverpflichtung wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze (§ 31 Abs 2 KBGG) bestehe unabhängig von einem Verschulden des Leistungsbeziehers. Ein gutgläubiger Verbrauch scheide infolge des ausdrücklichen Hinweises auf die Möglichkeit einer Rückzahlungsverpflichtung aus. Den Sozialgerichten sei die Kompetenz für eine gänzliche oder teilweise Nachsicht zurückzuzahlender Beträge nicht eingeräumt. Der Rückforderungsanspruch sei im Hinblick auf die fünfjährige Verjährungsfrist des § 31 Abs 7 KBGG auf keinen Fall verjährt.

Die Überschreitung der Zuverdienstgrenze bewirke, dass sowohl für November als auch Dezember 2002 kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe und von der Klägerin das gesamte von ihr bezogene Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen sei. Gegen diese Rechtslage bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Berufungsgericht sprach aus, dass Gründe für die Revisionszulassung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen. Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision im Hinblick auf die eindeutige Gesetzeslage zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben. Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, dass der Rückforderungsanspruch jedenfalls verfristet sei, weil sie in ihrem Informationsblatt eine jährliche Überprüfung der Freigrenze festgeschrieben habe. Es widerspreche Treu und Glauben, erst 2007 die Rückzahlungsverpflichtung für das Jahr 2002 zu überprüfen. Weiters habe die beklagte Partei ihre Manduktionspflicht gegenüber der Klägerin gröblich verletzt. Gutgläubiger Verbrauch und die Anwendung der Härtefälle-Verordnung seien vom Berufungsgericht zu Unrecht ausgeschlossen worden. Darüber hinaus würden die Bestimmungen der §§ 8 und 31 KBGG aus mehrerlei Gründen gegen die Verfassung verstoßen.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 23. 9. 2008, 10 ObS 81/08x, die Revision der Klägerin schon deshalb für zulässig angesehen, weil Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen der §§ 2, 8 und 31 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung bestanden haben, und beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag gestellt. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten. Der Verfassungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom 26. 2. 2009, G 135/08-6, diesen Gesetzesprüfungsantrag ab, weil er die in diesem Antrag und auch die in den anderen Gesetzesprüfungsanträgen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilte. Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs war das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs erweisen sich die von der Revisionswerberin gegen die maßgebende Gesetzeslage vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken als nicht berechtigt. Soweit sie in ihrem Rechtsmittel in diesem Zusammenhang auch geltend macht, die beklagte Partei hätte die komplizierte Berechnungsweise für die Ermittlung des maßgeblichen Jahresbetrags hinsichtlich einer möglichen Überschreitung der Freigrenze ausführlicher erklären müssen, ist auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs in seinem erwähnten Erkenntnis vom 26. 2. 2009 zu verweisen, wonach die Bezugsberechtigten vom zuständigen Krankenversicherungsträger ein Informationsblatt erhalten haben, aus dem ihre Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Kinderbetreuungsgeldbezug hervorgehen und in dem der erforderliche Rechenvorgang eingehend beschrieben und mit Beispielen erläutert ist, sodass es auch ohne subtile Sachkenntnis möglich und zumutbar gewesen sei, sich vom Inhalt des § 8 KBGG Kenntnis zu verschaffen und den für die im KBGG festgelegten Grenzbeträge bzw Freigrenzen maßgeblichen Gesamtbetrag der Einkünfte nach dieser Bestimmung zu ermitteln.

In Bezug auf die weiteren Revisionsausführungen der Klägerin, sie habe die empfangene Leistung gutgläubig verbraucht und das Rückforderungsrecht der beklagten Partei sei gemäß § 31 Abs 7 KBGG verfristet, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt, dass diese Einwände nicht berechtigt sind, zumal die hier maßgebende Rückforderungsbestimmung des § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellt.

Schließlich vertritt die Klägerin noch die Ansicht, den Sozialgerichten stehe auch die Kompetenz für eine gänzliche oder teilweise Nachsicht zurückzuzahlender Beträge in Härtefällen gemäß § 31 Abs 4 KBGG zu.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

§ 31 Abs 4 KBGG in der Stammfassung (BGBl I 2001/103) sieht unter anderem vor, dass der Krankenversicherungsträger bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände (Härtefälle), insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers,

1. die Erstattung des zu Unrecht bezahlten Betrags in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,

  1. 2. die Rückforderung stunden,
  2. 3. auf die Rückforderung verzichten kann.

    Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung die Kriterien für Härtefälle sowie Art und Weise der Rückforderung festzulegen.

    Nach § 1 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2001/405) gelten in Bezug auf die Einkommensgrenze als Härtefälle:

    a) Fälle einer geringfügigen, unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze. Eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung liegt nur dann vor, wenn die Grenzbeträge gemäß den §§ 2 Abs 1 Z 3 und 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 10 % überstiegen werden. In solch einem Fall ist auf die Rückforderung zu verzichten.

    b) Fälle, in denen die Voraussetzungen für eine Rückforderung dem Grunde nach erfüllt sind, jedoch aufgrund der individuellen Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des/der Verpflichteten eine Rückforderung ganz oder teilweise oder zum gegebenen Zeitpunkt als unbillig erscheint.

    Seit der Änderung der KBGG-Härtefälle-Verordnung durch die Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, ausgegeben am 26. 2. 2004 (BGBl II 2004/91), gilt eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung der in § 2 Abs 1 Z 3 KBGG und § 9 Abs 3 KBGG vorgesehenen Zuverdienstgrenzen um nicht mehr als 15 % als Härtefall, bei dem von einer Rückforderung der ausbezahlten Leistungen abzusehen ist. Nach § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2004/91) tritt lit a in der Fassung dieser Verordnung mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und gilt für Geburten nach dem 31. 12. 2001.

    Die Bestimmung des § 31 Abs 4 letzter Satz KBGG wurde zwar mit der Novelle BGBl I 2007/76 insofern geändert, als an die Stelle der Verordnungsermächtigung der Verweis auf die §§ 60 bis 62 BHG trat, weshalb die KBGG-Härtefälle-Verordnung mit Ablauf des 31. 12. 2007 außer Kraft getreten ist; sie ist jedoch auf Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 weiterhin anzuwenden (§ 49 Abs 15 KBGG).

    Allgemein ist zunächst auszuführen, dass die KBGG-Härtefälle-Verordnung zwei unterschiedliche Härtefalltatbestände festlegt:

    Gemäß § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung gelten als Härtefälle die Fälle einer geringfügigen (nicht mehr als 15 %) und unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze gemäß den §§ 2 Abs 1 Z 3 und 9 Abs 3 KBGG. Dieser Härtefalltatbestand kommt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zum Tragen, da bei der Klägerin eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch eigene Einkünfte um mehr als 15 % vorliegt.

    Als Härtefälle gelten gemäß § 1 lit b KBGG-Härtefälle-Verordnung weiters jene Fälle, in denen die Voraussetzungen für eine Rückforderung dem Grunde nach erfüllt sind, jedoch aufgrund der individuellen Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des/der Verpflichteten eine Rückforderung ganz oder teilweise oder zum gegebenen Zeitpunkt als unbillig erscheint. Dieses Ermessen kann vom Versicherungsträger jedoch erst nach Vorliegen eines rechtskräftigen Bescheids oder Urteils über die Rückzahlungsverpflichtung ausgeübt werden. Auch eine Anwendung der Härtefallregelung des § 1 lit b der KBGG-Härtefälle-Verordnung kommt daher derzeit nicht in Betracht.

    Der Revision der Klägerin musste daher aus den dargelegten Gründen insgesamt ein Erfolg versagt bleiben.

    Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Klägerin auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aktuelle berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Die beklagte Partei hat als Versicherungsträger im Sinn des § 77 Abs 1 Z 1 ASGG die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen.

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