Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 25. 12. 2001 kam es um ca 4:20 Uhr Früh auf der K*****straße in G***** zu einem Verkehrsunfall: Ein Lenker, dessen Identität nicht festgestellt werden konnte, fuhr mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, dessen Eigentümer und Halter der Kläger war, mit 125 km/h in nördliche Richtung. Aus ungeklärter Ursache wurde das Fahrzeug stark nach links verlenkt, geriet dadurch ins Schleudern und stieß gegen mehrere an beiden Straßenrändern abgestellte Kraftfahrzeuge. Dadurch wurde der am Beifahrersitz mitfahrende Kläger schwer verletzt. Eine im Fonds mitfahrende junge Frau erlitt tödliche Verletzungen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus der Haftpflichtversicherung 59.050 EUR (sA) als Ersatz für seine unfallskausalen, in der Klage im Einzelnen aufgelisteten Schäden sowie die Feststellung der Haftung für alle künftigen Folgen aus dem Verkehrsunfall im Rahmen der Haftungshöchstsumme des Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrags. Er stütze seine Ansprüche „insbesondere" auf die Bestimmungen des EKHG. Er mache als mitversicherter Beifahrer sogenannte unechte Eigenschäden geltend.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei nicht schadenersatzberechtigter Dritter, weil ungeklärt geblieben sei, wer das Fahrzeug gelenkt habe.
Der auf Seiten der Beklagten dem Verfahren beigetretene Nebenintervenient, ein Bruder des Klägers, wurde aufgrund verschiedener Umstände verdächtigt, der Unfallslenker gewesen zu sein.
Das Erstgericht stellte mit Teilzwischenurteil fest, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Haftung der Beklagten hänge davon ab, ob der Kläger aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen über einen Schadenersatzanspruch gegen eine der im § 2 Abs 1 KHVG genannten Personen verfüge. Unter gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen im Sinn dieser Vorschrift seien nach ständiger Rechtsprechung sowohl jene des EKHG als auch die Schadenersatznormen des ABGB zu verstehen. Gemäß § 2 Abs 2 KHVG seien Mitversicherte neben dem Eigentümer und dem Halter die Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig seien oder mit dem Fahrzeug befördert würden oder dessen Lenker einweisten. Dass das versicherte Fahrzeug des am Beifahrersitz mitfahrenden Klägers nicht mit dessen Einwilligung gelenkt worden wäre, sei nicht hervorgekommen. Dass den Lenker des Klagsfahrzeugs, der mit einer weit über 100 km/h liegenden Geschwindigkeit im Ortsgebiet gefahren sei, ein Verschulden am Unfall treffe, gestehe die Beklagte im Rahmen ihrer Streitverkündigung an den Nebenintervenienten selbst ausdrücklich zu. Der Kläger habe daher gegen den Lenker einen auf §§ 1295 f ABGB gestützten Schadenersatzanspruch. Gemäß § 2 Abs 1 KHVG habe die Beklagte hiefür einzustehen.
Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte die Entscheidung der ersten Instanz dahin ab, dass es das Zahlungsbegehren mit Teilurteil abwies. Die Beklagte habe als Haftpflichtversicherer dem Kläger als Versicherungsnehmer gemäß § 2 Abs 1 KHVG 1994 jene begründeten Ansprüche zu befriedigen, die er aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen - hier kämen jene des EKHG und des ABGB in Betracht - gegen eine mitversicherte Person erhebe. Mitversichert seien gemäß § 2 Abs 2 KHVG unter anderem Personen, die mit Willen des Halters bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig seien. Der (hier nicht feststellbare) Lenker des Fahrzeugs habe nur dann mitversicherte Person im Sinn des § 2 Abs 2 KHVG sein können, wenn ihm der Kläger als Halter das Fahrzeug zuvor bewusst überlassen habe und wenn er im Unfallszeitpunkt tatsächlich noch mit dem Willen des Klägers bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig gewesen sei. Unter dieser Voraussetzung könne der beim Unfall geschädigte Eigentümer und Halter des Kraftfahrzeugs, der - wie der Kläger - auch Versicherungsnehmer sei, gemäß § 26 KHVG seinen Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen, weil ihm eine mitversicherte Person durch die Verwendung des versicherten Fahrzeugs einen Personenschaden zugefügt habe. Obwohl der Kläger kein rechtserzeugendes Tatsachenvorbringen erstattet habe, aus dem sich ein schuldhaftes, seinen Schaden verursachendes Verhalten irgendeiner Person ableiten lasse, habe das Erstgericht überschießend festgestellt, dass der unbekannte Fahrzeuglenker das Fahrzeug im Ortsgebiet mit ca 125 km/h gelenkt habe und nach einer Schleuderbewegung mit mehreren abgestellten Kraftfahrzeugen kollidiert sei. Würden überschießende Feststellungen, die in den Prozessbehauptungen der behauptungs- und beweisbelasteten Partei keine Deckung fänden, der Entscheidung zugrundegelegt, liege eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor. Selbst wenn man aber der Ansicht wäre, die eine schuldhafte Schadensverursachung durch den unbekannten Lenker begründenden Feststellungen lägen im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Habe er doch weder behauptet noch bewiesen, dass der unbekannte Fahrzeuglenker im Unfallszeitpunkt mit Willen des Klägers bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig gewesen sei. Selbst wenn man eine solche Behauptung unterstellte, ließe sich daraus noch nicht die Eigenschaft des Unbekannten als mitversicherte Person im Sinn des § 2 Abs 2 KHVG ableiten, weil dann noch offen bliebe, ob allenfalls eine andere, jedenfalls nicht mitversicherte Person den Schaden des Klägers schuldhaft verursacht habe. Da der Kläger eine seinen Anspruch tragende Tatsachengrundlage weder behaupten noch beweisen habe können, bestehe sein Leistungsanspruch schon dem Grunde nach nicht zu Recht.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten gewesen seien.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das außerordentliche Rechtsmittel ihres Prozessgegners als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.
Der Nebenintervenient hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Das Berufungsgericht hat zwar die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs 1 und 2 KHVG zutreffend dargestellt und richtig erkannt, dass eine Haftung der Beklagten nur bei schuldhafter Herbeiführung des Unfalls durch einen mitversicherten Lenker in Betracht kommt. Im Übrigen begegnen seine Rechtsansichten folgenden Bedenken:
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Berücksichtigung „überschießender" Beweisergebnisse bei der rechtlichen Beurteilung voraus, dass diese im Parteienvorbringen Deckung finden, sich also im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS-Justiz RS0040318; Rechberger in Fasching/Konecny2 Vor § 266 ZPO Rz 79). Sogenannte „überschießende" Feststellungen, die in den Prozessbehauptungen der Parteien keinerlei Deckung finden, sind hingegen bedeutungslos und unbeachtlich (RIS-Justiz RS0037972; Schragel in Fasching/Konecny2 § 178 Rz 6); werden sie dennoch der Entscheidung zugrundegelegt, wird damit nach der jüngeren Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, sondern die Sache unrichtig rechtlich beurteilt, was auch ohne Verfahrensrüge wahrzunehmen ist (4 Ob 102/02g = SZ 2002/72 mwN; 4 Ob 238/96v = RIS-Justiz RS0036933 [T9] = RS0037972 [T11]; vgl RIS-Justiz RS0112213). Ob in diesem Sinn „überschießende" Feststellungen zu berücksichtigen sind, stellt zwar eine Frage des Einzelfalls dar (RIS-Justiz RS0042828). Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht allerdings hinsichtlich dieser Frage eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die der Oberste Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmen hat (vgl 2 Ob 179/06x). Zwar haben sich die Tatsachenbehauptungen des Klägers zum Unfallshergang darauf beschränkt, dass das von ihm gehaltene Fahrzeug, das bei der Beklagten versichert war, mit mehreren an beiden Fahrbahnrändern abgestellten Fahrzeugen kollidiert sei und sich dabei gegen den Uhrzeigersinn gedreht habe. Da im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nicht davon die Rede war, dass ein Lenker eines anderen Fahrzeugs am Unfall beteiligt gewesen wäre (die vom Berufungsgericht erwähnte bloße Möglichkeit dieses Umstands rechtfertigt mangels irgendeines Anhaltspunkts diesbezüglich keinerlei Zweifel), liegt in diesem Vorbringen zwingend der Vorwurf eines verfehlten Fahrverhaltens. Dies inkludiert wiederum - ohne dass diese rechtliche Folgerung vom Kläger ausgesprochen hätte werden müssen - den Vorwurf des Verschuldens des unbekannten Lenkers am Zustandekommen des Unfalls. Nicht anders hat dies auch die Beklagte verstanden, die schon in der Klagebeantwortung die Behauptung, der Kläger habe den bei ihr haftpflichtversicherten, verunfallten PKW selbst gelenkt, mit dem Vorwurf verbunden hat, er habe als Lenker das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls zu verantworten. Auch vom Berufungsgericht wird schließlich ohnehin auch die Möglichkeit ins Kalkül gezogen, dass die eine schuldhafte Schadensverursachung durch den unbekannten Lenker begründende Feststellung, wonach das Fahrzeug im Ortsgebiet mit ca 125 km/h gelenkt wurde, doch „im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes liegt" (vgl RIS-Justiz RS0040318 [T1, T3 und T6]). Der Meinung des Berufungsgerichts, auch dann wäre für den Kläger nichts gewonnen, kann aber ebenfalls nicht beigetreten werden:
Geht man nämlich von den erstgerichtlichen Feststellungen zum Unfallshergang und daher weiters davon aus, dass den unbekannten Lenker ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls, bei dem der Kläger verletzt wurde, trifft, ergibt sich folgende Situation: Es steht fest, dass zum Unfallszeitpunkt ein unbekannter Dritter das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug gelenkt hat, während der Kläger, der Versicherungsnehmer und Halter des PKW war, am Beifahrersitz saß. Mangels betreffenden Vorbringens blieb ungeprüft, ob der Lenker mit Willen des Halters, also des Klägers, bei der Verwendung des Fahrzeugs tätig war. Dieser Umstand ist entscheidungswesentlich, weil der unbekannte Lenker nur unter dieser Voraussetzung nach § 2 Abs 2 EKHG Mitversicherter war, was wiederum Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten für die sogenannten unechten Eigenschäden des Klägers als Versicherungsnehmer und Halter des Fahrzeugs wäre. Ohne entsprechende Behauptung, dass der unbekannte Lenker das Fahrzeug jedenfalls mit Willen des Klägers gelenkt habe und daher berechtigter Lenker im Sinn des § 2 Abs 2 KHVG gewesen sei, blieb die Klage unschlüssig. Nach § 182 ZPO ist bei Unschlüssigkeit des Klagebegehrens vom Gericht eine Verbesserung anzuregen. Der Verbesserungsauftrag ist von Amts wegen zu erteilen, auch wenn die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten wird (RIS-Justiz RS0037166; RS0037516 [T2 und T3]; RS0117576 [T1]; RS0036455 [T5 und T9]). Da das Erst- und das Berufungsgericht einen Verbesserungsauftrag unterlassen haben, ist sowohl das erstinstanzliche als auch das zweitinstanzliche Verfahren mangelhaft geblieben (vgl RIS-Justiz RS0036355). Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Das Erstgericht, an das die Sache zurückzuverweisen ist, wird mit den Parteien im aufgezeigten Sinn eine Erörterung vorzunehmen und dem Kläger Gelegenheit zur Ergänzung der für die Entscheidung erheblichen tatsächlichen Angaben zu geben haben. Es geht zwar nicht an, Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, um einer Partei ein Vorbringen zu ermöglichen, das sie bisher nicht einmal angedeutet hat (RIS-Justiz RS0037300 [T23]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Sollte der Kläger, um die Schlüssigkeit der Klage zu erreichen, eine entsprechende Behauptung aufstellen, stellt sich die Frage, ob der geschädigte Versicherungsnehmer oder der Haftpflichtversicherer dafür beweispflichtig ist, dass dem Lenker das Fahrzeug vom Halter bewusst überlassen wurde (und er demnach Mitversicherter war). Da jede Partei die von ihr zu behauptenden anspruchsbegründenden oder anspruchsvernichtenden Tatsachen zu beweisen hat und auch aus Überlegungen der Beweisnähe müsste die betreffende Beweispflicht - wie dies das Berufungsgericht angenommen hat - grundsätzlich beim Kläger liegen. Der Ansicht des Berufungsgerichts, dieser habe seiner betreffenden Beweispflicht jedenfalls nicht genügt, steht allerdings die Überlegung entgegen, dass der Umstand, dass der Kläger am Beifahrersitz mitfuhr, doch prima facie dafür spricht, dass das versicherte Fahrzeug mit seinem Willen gelenkt wurde. Auch wenn Ausnahmefälle möglich sind, in denen der Halter von jemandem, dem er das Fahrzeug nicht anvertrauen will, gezwungen wird, mit ihm zu fahren, ist doch erfahrungsgemäß in aller Regel anzunehmen, dass der Lenker das Fahrzeug mit dem Willen des Halters, der als Beifahrer mitfährt, verwendet. Davon ist daher dem ersten Anschein nach auszugehen, auch wenn der Halter bei einem Unfall als Beifahrer verletzt wurde und - wie hier der Kläger - aufgrund einer retrograden Amnesie nicht in der Lage ist, darüber Auskunft zu geben, wer gefahren ist. Unter der Voraussetzung der Behauptung des Klägers, der unbekannte Lenker sei nach § 2 Abs 2 KHVG ein berechtigter Lenker gewesen, wird es daher an der Beklagten liegen, den für diese Behauptung anzunehmenden Anscheinsbeweis durch die Behauptung und den Beweis von Umständen, die gegen diese Vermutung sprechen, zu widerlegen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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