OGH 12Os25/09g

OGH12Os25/09g26.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Böhm als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ahmet K***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. September 2008, GZ 16 Hv 42/08m-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch einen Verfolgungsvorbehalt nach § 263 Abs 2 StPO und Freisprüche von weiteren Vergewaltigungsvorwürfen enthält - wurde Ahmet K***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt. Danach hat er in Graz seine damalige Ehefrau Filiz K***** in der jeweiligen ehelichen Wohnung

I. mit Gewalt und teilweise durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Vornahme und Duldung des Beischlafs genötigt, indem er

1. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt des Jahres 2004 die Wohnungstüre versperrte, sie auf den Boden warf, sich nackt auf ihren Bauch setzte, sie mit Gewalt auszog, ihre Hände festhielt, in ihre Scheide eindrang und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr vollzog;

2. sie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im April 2005 auf das Bett warf, sich auf sie setzte, ihre Hände festhielt, in ihre Scheide eindrang und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr vollzog;

3. sie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im April oder Mai des Jahres 2007 auf den Boden legte, sich auf sie setzte, sie an den Handgelenken festhielt, in ihre Scheide eindrang und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr vollzog;

II. zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Sommer 2004 durch Versetzen eines Faustschlags vorsätzlich am Körper verletzt (Schwellung unter dem linken Auge).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO.

Die Verfahrensrüge (Z 4) thematisiert vorerst die Unterlassung der Vernehmung des Zeugen Özlem Ö***** und der Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen. Die darauf gerichteten Anträge wurden in der Hauptverhandlung vom 20. Juni 2008 (ON 23) gestellt (S 32, 33) und vom Schöffengericht begründet abgewiesen (S 33 f). Am 25. September 2008 wurde die Hauptverhandlung neu durchgeführt (ON 27 S 4), die Verteidigung begehrte eine Mehrzahl weiterer Beweisaufnahmen (S 5 f, 24, 26), ohne jedoch die nunmehr relevierten Beweise erneut konkret zu beantragen. Damit mangelt es dem Beschwerdeführer diesbezüglich an der grundlegenden Formalvoraussetzung eines abschlägig beschiedenen Antrags - der bloße Hinweis auf „sämtliche Beweisanträge laut ON 23" in der neu durchgeführten Hauptverhandlung legitimiert ihn nicht zur Verfahrensrüge (12 Os 95, 98/02, 106/03; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310).

Dem weiteren Vorbringen aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO ist einzuräumen, dass die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zwar keine entscheidende Tatsache ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340), sehr wohl aber einen wichtigen Anknüpfungspunkt zur Ermittlung erheblicher Umstände für die Lösung der Schuldfrage - gerade in Verfahren über Sexualstrafsachen - darstellt. Da im schöffengerichtlichen Verfahren die Beweiswürdigung der Tatrichter nur eingeschränkt angefochten werden kann, ist es schon mit Blick auf den Grundrechtsschutz (Art 6 Abs 1 MRK) geboten, in Strafverfahren, in welchen - wie hier - nur ein einziger Tatzeuge vorhanden ist, die gegen die Glaubwürdigkeit dieser Person vorgebrachten Argumente besonders sorgfältig zu prüfen und auch indirekte, die Glaubwürdigkeit des Zeugen betreffende Beweise aufzunehmen (11 Os 117/04, 11 Os 55/08k mwN aus der ständigen Judikatur).

Selbst unter dieser Prämisse ist allerdings darauf abzustellen, ob der unter Beweis zu stellende tatsächliche Umstand mit Blick auf die dem Schöffengericht im Antragszeitpunkt bereits vorliegenden Beweisergebnisse in der Lage ist, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen. Mit anderen Worten muss bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs eine erfolgsversprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen zu erwarten sein (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 341 mit Judikaturnachweisen).

Diese Qualität kommt den in der Folge angeführten Beweisthemen nicht zu, zumal die Tatrichter dem Tatopfer ohnedies keineswegs uneingeschränkte Glaubwürdigkeit oder ausschließlich wahrheitsgemäße Aussagen zubilligten (US 7, 9 und 10): Wissen um die Ehescheidung „im Vorhinein" und (auch) eigener Auftrag in diesem Zusammenhang an einen türkischen Anwalt sowie Übergabe von 6.000 EUR durch den Angeklagten an seine Frau im Zuge der Scheidung (ON 27 S 5); Aufsuchen des Hausarztes ohne Begleitung (vgl dazu zutreffend US 9 f) sowie „zu keinem Zeitpunkt Spuren von Faustschlägen am Körper" des Opfers (ON 27 S 5 f) - hiezu fehlte jegliche Begründung im Sinne von § 55 Abs 1 letzter Satz StPO, aus welchem Grund der beantragte Arzt sachdienlich aussagen hätte können, um so mehr, als die Zeugin Filiz K***** nur einmal Verletzungsspuren bekundet hatte; (beim bezirksgerichtlichen Amtstag) Stellen eines verstandenen Antrags „aus freien Stücken" sowie Belehrung dazu durch den Familienrichter (ON 27 S 24) - wieder fehlt eine Untermauerung im Sinne von § 55 Abs 1 letzter Satz StPO im Hinblick auf das vom Angeklagten eingeräumte Faktum, dass die Verständigung (mangels jeweiliger einschlägiger Fremdsprachenkenntnisse von Richter und Filiz K*****) über ihn erfolgen musste (ON 27 S 24); Lesen und Unterfertigen der ins Türkische übersetzten Schriftstücke im Zusammenhang mit einer Obsorgeübertragung hinsichtlich des (behinderten) Sohnes der Eheleute K***** durch die Kindesmutter (ON 27 S 26), zumal davon überhaupt nichts für die Frage zu gewinnen ist, ob der Nichtigkeitswerber seiner Frau später vormachte, das Kind sei gestorben. Soweit die Mängelrüge (Z 5) unvollständige Würdigung der zur Gänze leugnenden und von den Tatrichtern als unglaubwürdig erachteten (US 8) Einlassung des Angeklagten behauptet, lässt sie eine deutliche und bestimmte Bezeichnung von unerörtert gebliebenen, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Tatumständen vermissen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 432). Dem (teilweise disloziert in der Tatsachenrüge erhobenen) Vorwurf unzureichender Begründung entgegen sind die tatrichterlichen Erwägungen (US 8 ff) insgesamt - auch zu den „Entlastungszeugen" (US 10) - frei von Verstößen gegen Logik und Empirie (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444 mwN); die erwähnte Obsorgeübertragung ist ebenso wenig von Erheblichkeit wie die angebliche Geschichte um das behauptete Ableben des Kindes. Der weiters geltend gemachte formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt der Mehrzahl von Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583; 12 Os 62/08x uva).

Soweit der Beschwerdeführer mehrfach - namentlich hinsichtlich Fragen an das Opfer - einen Verstoß gegen den Grundsatz der amtswegigen Wahrheitsforschung geltend macht, lässt er es an jeglichem Vorbringen fehlen, was ihn an solchen Fragen („zu einzelnen Details insbesondere der Vergewaltigungen") oder an der Stellung weiterer Beweisanträge gehindert hätte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Anzeigeerstattung (teilweise!) erst Jahre nach der Tatbegehung und nach Monaten im Frauenhaus sowie deren zeitlicher Zusammenhang mit einem Obsorgeverfahren hinsichtlich der gemeinsamen Tochter vermögen beim Obersten Gerichtshof ebenso wenig erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der die Schuldsprüche tragenden Feststellungen erwecken wie eine freiwillige Rückkehr der Frau aus der Türkei nach Österreich nach 2007 (ON 23 S 23).

Details der Angaben der Zeugin zur Begründung ihres Zuwartens mit der Anzeige - noch dazu mit deren Würdigung durch den Angeklagten - mussten dem Rechtsmittelvorbringen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) entgegen fallbezogen nicht gesondert erörtert werden. Mit der allgemeinen Behauptung widersprüchlicher Aussagen „im Zusammenhang mit der erfolgten Scheidung" wird weder prozessförmig aus den Akten argumentiert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487) noch ein erheblicher Tatumstand releviert.

Das Aufgreifen abgewiesener Beweisanträge mit Tatsachenrüge negiert deren Subsidarität gegenüber der Verfahrensrüge (RIS-Justiz RS0115823).

Die festgestellten „jahrelangen Schläge" (US 5) schließlich sind nicht Gegenstand eines Schuldspruchs und schon deshalb der Tatsachenrüge entzogen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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