OGH 9ObA117/08h

OGH9ObA117/08h24.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Werner K*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1.142,55 EUR brutto und 262,85 EUR netto sowie Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juni 2008, GZ 15 Ra 85/07y-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Mai 2007, GZ 44 Cga 173/06m-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der iSd Dienst- und Besoldungsordnung österreichischer Privatbahnen kündigungsgeschützte Kläger steht seit März 1978 als Busfahrer in einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Am 31. 7. 2003 wurde er von der Beklagten entlassen. Diese Entlassung hat der Kläger im Verfahren 43 Cga 101/03m des Erstgerichts erfolgreich als rechtsunwirksam angefochten: Das Erstgericht stellte im Verfahren 43 Cga 101/03m fest, dass die Entlassung des Klägers rechtsunwirksam sei und das Dienstverhältnis ungeachtet der Entlassung weiter aufrecht fortbestehe. Dieses Urteil wurde zwar in zweiter Instanz im Sinne der Abweisung der Klage abgeändert. Mit Urteil vom 6. 4. 2005, 9 ObA 116/04f, stellte jedoch der Oberste Gerichtshof die erstgerichtliche Entscheidung wieder her.

Obwohl sich der Kläger wiederholt arbeitsbereit erklärt hatte, verzichtete die Beklagte während des Verfahrens 43 Cga 101/03m auf seine Arbeitsleistung. Erst nach Abschluss des Verfahrens trat der Kläger über Verlangen der Beklagten am 17. 5. 2005 wieder seinen Dienst an. Am 14. 7. 2006 wurde der Kläger abermals entlassen.

Während des Verfahrens 43 Cga 101/03m, und zwar vom 21. 6. 2004 bis zum 27. 6. 2004, verbrachte der Kläger sieben Urlaubstage im Ausland. Nach dem Wiederantritt seines Dienstes am 17. 5. 2005 konsumierte er 85 Urlaubstage.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Begehren des Klägers auf Feststellung, dass ihm aus dem Dienstverhältnis zur Beklagten ein aufrechter Resturlaub von 130 Tagen zustehe.

Das Erstgericht hatte dieses Begehren (samt mehrere darauf bezogener, im Revisionsverfahren nicht mehr relevanter Eventualbegehren) abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung teilweise statt und änderte die erstgerichtliche Entscheidung im Sinne der Feststellung ab, dass dem Kläger aus dem Dienstverhältnis zur Beklagten zum 24. 5. 2007 ein nicht konsumierter Resturlaubsanspruch von 128 kalendertäglichen Urlaubstagen zusteht. Das Mehrbegehren (Feststellung eines weiteren Resturlaubsanspruchs von zwei Tagen) wies es ab.

Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision als zulässig, weil Rechtsprechung fehle, inwieweit im Verzicht auf die Dienstleistung für die Dauer eines anhängigen Verfahrens über das Begehren auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Entlassung bei Vorliegen eines kollektivrechtlichen Bestandschutzes auch ein - konkludentes - Anbot des Dienstgebers zum Abschluss einer Urlaubsvereinbarung gelegen ist und ob bzw unter welchen Umständen diesfalls in der Nichtannahme eines derartigen Anbots bzw im Nichtverbrauch des Urlaubs eine Treuepflichtverletzung zu erblicken ist.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist ungeachtet dieses - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Zulässigkeitsausspruchs nicht zulässig.

Die Revisionswerberin zeigt mit den von ihr vorgebrachten Einwänden keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:

1) Die Vorinstanzen haben das rechtliche Interesse des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejaht (9 ObA 134/07g; 9 ObA 39/07m). Dass ein Teil der Urlaubsansprüche nicht strittig war, ändert am rechtlichen Interesse des Klägers auf Feststellung der (von der Beklagten bestrittenen) Gesamthöhe des offenen Anspruchs auf Urlaubskonsumation nichts.

2) Nach wie vor ist die Beklagte der Auffassung, dass der Kläger durch die Dienstfreistellung zum Urlaubsverbrauch gezwungen wurde. Dies ergebe sich aus der Absicht des Gesetzgebers, der - wie § 4 Abs 5 UrlG zeige - gegen ein Horten des Urlaubs sei und wolle, dass der Urlaub in dem Jahr zu nehmen sei, in dem er entstanden sei. Auch diese Rechtsauffassung steht in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs:

Für Antritt und Dauer des Urlaubs ist § 4 Abs 1 UrlG maßgebend, wonach die Urlaubsfestsetzung zwingend einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf. Dieses in § 4 Abs 1 UrlG verankerte Erfordernis des Abschlusses einer Urlaubsvereinbarung schließt die Annahme eines einseitigen Gestaltungsrechts aus (RIS-Justiz RS0070760; zuletzt etwa 9 ObA 51/07a). Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber nicht gezwungen werden, zu einem bestimmten Zeitpunkt Urlaub zu machen. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer den konkreten Urlaubsverbrauch und dessen zeitliche Lage nicht vorschreiben; er kann ihn also nicht einfach „in den Urlaub schicken". Auch durch eine - allein in der Ingerenz des Arbeitgebers liegende - Dienstfreistellung kann der Arbeitgeber den Urlaubsverbrauch nicht einseitig erzwingen (9 ObA 51/07a; 9 ObA 144/05z; 9 ObA 113/02m uva).

Dass das Horten (und letztlich auch der Verfall) von Urlaub den Vorstellungen des Gesetzgebers widerspricht, trifft zu. Der Nichtabschluss einer Urlaubsvereinbarung durch den Arbeitnehmer steht aber nur unter der „Sanktion" der Verjährung des Urlaubsanspruchs nach der Bestimmung des § 4 Abs 5 UrlG, mit der der Gesetzgeber der Gefahr des Hortens von Urlaubsansprüchen Rechnung trug (9 ObA 51/07a; 9 ObA 144/05z). Diese Bestimmung und die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit der Übertragung von Urlaubsansprüchen auf das folgende und das nächstfolgende Urlaubsjahr schließt die Möglichkeit des Verfalls von nicht iSd § 4 Abs 5 UrlG verjährten Urlaubsansprüchen aus (9 ObA 74/01z).

Den Abschluss einer schlüssigen Urlaubsvereinbarung hat das Berufungsgericht zu Recht verneint:

Seine Rechtsauffassung, wonach es für die Zeit zwischen dem Ausspruch der (ersten) Entlassung des Klägers und der Zustellung des Urteils erster Instanz, das den Fortbestand des Dienstverhältnisses feststellte, schon an einem entsprechenden Anbot der Beklagten gefehlt habe, ist keineswegs unvertretbar: Überzeugend weist die zweite Instanz darauf hin, dass die Beklagte mit dem Ausspruch der Entlassung zu verstehen gegeben habe, dass sie das Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet wissen wollte. Die Annahme eines konkludenten Anbots auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung würde aber voraussetzen, dass das Verhalten der Beklagten ohne „vernünftigen Grund, daran zu zweifeln" (§ 863 ABGB) in diesem Sinn als Anbot an den Kläger zu deuten ist, im aufrechten Dienstverhältnis Urlaub zu nehmen. Dass das Berufungsgericht dies verneint hat, ist keineswegs unvertretbar. Der spätere Prozesserfolg des Klägers kann die Auslegung des Verhaltens der Beklagten nicht nachträglich ändern.

Für die Zeit ab Zustellung des erstgerichtlichen Urteils, mit dem der Fortbestand des Dienstverhältnisses festgestellt wurde, hat das Erstgericht offen gelassen, ob die in dieser Zeit erfolgte Dienstfreistellung des Klägers (auch) als schlüssiges Anbot auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung gewertet werden könnte. Jedenfalls hat der Kläger ein allfälliges Angebot - von einigen ohnedies angerechneten Urlaubstagen abgesehen - nicht angenommen. Auch ein Verhalten des Klägers, das als „faktische Annahmehandlung" gedeutet werden könnte, ist nicht hervorgekommen. Ein Verhalten des Klägers, das als Verstoß gegen seine Treupflicht (Verwendung der bezahlten Freizeit für Zwecke, die die Gewährung von Urlaub erfordert hätten; vgl dazu näher etwa 9 ObA 144/05z) oder als Rechtsmissbrauch gewertet werden könnte, wurde von der Revisionswerberin gar nicht behauptet. Die Revisionswerberin meint vielmehr, dass all dies gar nicht erforderlich wäre, weil allein der Umstand, dass der Kläger unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeitspflicht freigestellt gewesen sei, zum Verlust des offenen Urlaubsanspruchs geführt habe. Dies ist aber nach der bereits erörterten und vom Berufungsgericht ausführlich dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht der Fall.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).

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