Spruch:
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung
Der Kläger des führenden Verfahrens begehrte die Feststellung der Haftung der Beklagten für die Folgen eines Verkehrsunfalls, die Klägerin des verbundenen Verfahrens begehrte Schadenersatz wegen dieses Verkehrsunfalls.
Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren im führenden Verfahren ab und gab dem Zahlungsbegehren im verbundenen Verfahren statt. Das Berufungsgericht gab dem Feststellungsbegehren im führenden Verfahren zu einem Drittel statt, wies das Mehrbegehren ab, und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands in Ansehung des führenden Verfahrens mehr als 4.000 EUR, jedoch weniger als 20.000 EUR betrage und dass die Revision unzulässig sei. Im verbundenen Verfahren gab es dem Zahlungsbegehren mit 2.830,17 EUR sA statt, erklärte diesbezüglich die Revision für unzulässig, hob in Ansehung des Betrags von 5.660,33 EUR sA das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Daraufhin erhoben die im führenden Verfahren Beklagten bzw die Klägerin im verbundenen Verfahren „außerordentliche Revision". In eventu stellten sie einen Antrag an das Berufungsgericht gemäß § 508 ZPO auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs und erhoben gleichzeitig ordentliche Revision. Die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision begründeten sie damit, dass das Berufungsgericht - unter Verletzung von zwingenden Bewertungsgrundsätzen - eine offenkundige Unterbewertung vorgenommen habe. Das tatsächliche Interesse des Klägers im führenden Verfahren sei nämlich weitaus höher als die von ihm angesetzten 10.000 EUR. Dies komme darin zum Ausdruck, dass die Beklagten im verbundenen Verfahren gegen die dortige Klagsforderung eine Compensandoforderung von 30.000 EUR eingewendet hätten.
Rechtliche Beurteilung
Der Senat vermag eine offenkundige Unterbewertung durch das Berufungsgericht bzw einen Verstoß gegen zwingende Bewertungsgrundsätze nicht zu erkennen:
1. Vorausgeschickt sei, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Zusammenrechnung der Entscheidungsgegenstände gemeinsamer Urteile in verbundenen Verfahren nicht stattfindet (RIS-Justiz RS0037271), selbst wenn sie bei Geltendmachung in einem Verfahren zusammenzurechnen wären (Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 167 mwN).
2. Eine Gegenforderung ist für die Beurteilung der Revisionszulässigkeit, soweit diese vom Wert des Entscheidungsgegenstands abhängt, unerheblich (RIS-Justiz RS0042639; Gitschthaler in Fasching/Konecny² § 56 JN Rz 32).
3. Der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO ist unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, die zweite Instanz hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt oder überhaupt keine Bewertung vorzunehmen gehabt. Nicht bindend ist auch eine offenbare Unterbewertung oder eine offenkundige Überbewertung (Zechner in Fasching/Konecny2 § 502 ZPO Rz 155 mN aus der Rsp; E. Kodek in Rechberger ZPO3 § 500 Rz 3). Das Berufungsgericht darf den Wert des Entscheidungsgegenstands - bezogen auf den objektiven Wert der Streitsache - weder übermäßig hoch noch übermäßig niedrig ansetzen; ist eine solche Fehlbewertung offenkundig, dann ist der Oberste Gerichtshof daran nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118748).
Im vorliegenden Fall ist aus der Geltendmachung der Gegenforderung von 30.000 EUR durch die Beklagten im verbundenen Verfahren nicht zwingend die übermäßig niedrige Bewertung des Streitgegenstands im führenden Verfahren durch das Berufungsgericht abzuleiten. Außerdem zeigen die Revisionswerber nicht auf, gegen welche zwingenden Bewertungsvorschriften das Berufungsgericht verstoßen hätte. Da somit insgesamt keine Ausnahme von der Bindung des Obersten Gerichtshofs an den Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts vorliegt, ist die außerordentliche Revision unzulässig und es besteht derzeit keine Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs.
4. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist nach § 508 ZPO zu beurteilen. In den im § 508 Abs 1 ZPO angeführten Fällen, in denen der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand - wie hier (jeweils) - zwar 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteigt und in denen das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig sei, ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig (§ 502 Abs 3 ZPO). Gemäß § 508 Abs 1 ZPO kann allerdings in einem solchen Fall eine Partei - wie hier in eventu erfolgt - einen Antrag an das Rechtsmittelgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Dieser mit dem ordentlichen Rechtsmittel verbundene Antrag ist gemäß § 508 Abs 2 ZPO beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO vom Rechtsmittelgericht zu behandeln. Erhebt diesfalls eine Partei ein Rechtsmittel, so ist dieses gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen. Dies gilt auch, wenn es als „außerordentliches" Rechtsmittel bezeichnet wird und an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist. Dieser darf darüber nur bzw erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz nach § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (5 Ob 150/08g mwN uva).
Das Erstgericht wird daher das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen haben.
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