OGH 7Ob255/08p

OGH7Ob255/08p14.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich K*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei A***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.620,40 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 7. August 2008, GZ 4 R 191/08f-61, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 23. Mai 2008, GZ 4 C 1652/05p-57, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 556,99 EUR (darin enthalten 92,83 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1994) zugrunde. Art 19 lautet:

„Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs-, und Betriebsbereich

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat-, Berufs- und/oder Betriebsbereich.

...

4. Wann entfällt der Versicherungsschutz?

Als Obliegenheit, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers bewirkt, gilt, dass der Versicherungsnehmer sich im Zeitpunkt des Versicherungsfalles nicht in einem durch Alkohol, Suchtgift oder Medikamentenmissbrauch beeinträchtigten Zustand befindet und dass er einer gesetzlichen Verpflichtung entspricht, seine Atemluft auf Alkohol untersuchen, sich einem Arzt vorführen, sich untersuchen oder sich Blut abnehmen zu lassen.

Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheit besteht nur dann, wenn der angeführte Umstand im Spruch oder in der Begründung einer im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall ergangenen rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist. Vom Versicherer erbrachte Leistungen sind zurückzuzahlen."

Bevor der Kläger am 6. 2. 2004 einen Nachtclub aufsuchte, hatte er bereits in anderen Lokalen Alkohol in nicht mehr feststellbarer Menge konsumiert. Im Nachtlokal selbst bestellte er ein kleines Bier und trank es teilweise. Er stand unter Alkoholeinfluss und fühlte sich subjektiv stark alkoholisiert, wobei der tatsächliche Blutalkoholgehalt des Klägers nicht feststeht. Beim Versuch des Geschäftsführers des Nachtlokals, den Kläger aus dem Lokal zu entfernen, erlitt der Kläger einen Bruch des durch Knochenschwund bereits vorgeschädigten linken Oberarms.

Der Kläger brachte gegen den Geschäftsführer des Nachtlokals eine Klage auf Bezahlung von 7.450 EUR, gestützt auf den Titel Schadenersatz, ein. Die Beklagte übernahm für dieses Verfahren vorerst die tarifmäßigen Kosten der Rechtsvertretung des Klägers. Der Kläger obsiegte im erstinstanzlichen Verfahren, seine Klage wurde aber nach Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht abgewiesen. Beide Instanzen stellten fest, der Kläger sei „ziemlich" bzw „stark" alkoholisiert gewesen. Er hatte sich auch selbst auf seine Alkoholisierung berufen. Die Beklagte übernahm „vorerst" die tarifmäßigen Kosten für „die ordentliche Revision/Abänderungsantrag". Das Berufungsgericht wies den Abänderungsantrag zurück.

Der Kläger begehrt nun die Kosten für dieses Verfahren, soweit sie die Beklagte nicht bereits bezahlt habe. Die Beklagte könne sich nicht auf Art 19.4. ARB 1994 stützen, weil die hier genannten Voraussetzungen kumulativ gegeben sein müssten. Es habe keine Verpflichtung des Klägers bestanden, seine Alkoholisierung feststellen zu lassen.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Sie sei nach Art 19.4. ARB 1994 leistungsfrei. Die Alkoholisierung sei im Schadenersatzprozess festgestellt worden. Der Kläger habe die ihn treffende Obliegenheitsverletzung vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig herbeigeführt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte - soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - aus, eine reine Wortinterpretation des Art 19.4. ARB 1994 lasse im Hinblick auf das in der Einzahl verwendete Wort „Obliegenheit" und das Wort „und" tatsächlich zunächst auf eine einheitliche Obliegenheit schließen, welche nur dann entstehe, wenn beide im Text genannten Umstände kumulativ verwirklicht seien. Allerdings habe der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 305/98y zur insoweit wortgleichen Bestimmung des Art 17.3.2.2. ARB 1988 bereits ausgeführt, dass das Wort „und" in diesem Fall im Sinn von „oder" zu verstehen sei. Die Bestimmung schreibe nämlich eine Obliegenheit vor dem Versicherungsfall (Alkoholklausel) und eine nach Eintritt des Versicherungsfalls (Untersuchungsverpflichtung) vor. Übertrage man diese Rechtsprechung, sei davon auszugehen, dass nach Art 19.4. ARB 1994 eine Obliegenheit des Klägers bestanden habe, sich im Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden. Da die Alkoholisierung des Klägers im Berufungsurteil des Schadenersatzprozesses festgestellt worden sei, seien die Voraussetzungen für die Obliegenheitsverletzung erfüllt. Es komme nicht darauf an, den konkreten Blutalkoholgehalt des Klägers im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls festzustellen, weil keine konkrete Promillegrenze in der Klausel angeführt sei.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren stattgab und lediglich einen Teil der Abweisung des Zinsenbegehrens bestätigte. Die Entscheidung 7 Ob 305/98y habe sich auf die Auslegung des Art 17.3.2.2. ARB 1988 bezogen, der nur im Fahrzeug-Rechtsschutz gelte. Es sei der Beklagten zuzugestehen, dass eine unterschiedliche Auslegung des in Art 17.3.2.2. ARB 1988 und Art 19.4. ARB 1994 verwendeten Worts „und" nicht sachgerecht sei. Es gehe bei beiden Bestimmungen um die Festlegung einer Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall (Alkoholisierung) und nach dem Versicherungsfall (Weigerung der Bestimmung des Alkoholgehalts). Bei der Auslegung des Art 19.4. ARB 1994 sei aber der Gebrauch des Worts „und" unter einem anderen Gesichtspunkt von Relevanz. Dadurch werde nämlich die zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls bestehende Alkoholisierung in einen untrennbaren rechtlichen Zusammenhang mit der Verpflichtung des Versicherungsnehmers, bei der Bestimmung des Alkoholgehalts mitzuwirken, gebracht. Hiezu werde der Versicherungsnehmer aber nur verpflichtet, wenn die Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls von der Rechtsordnung wegen der Gefährdung oder Verletzung Dritter als rechtswidrig verpönt werde, wie etwa im Bereich des nicht motorisierten Straßenverkehrs bei Freizeit- und Sportausübung. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht sachgerecht, den Zusammenhang zwischen der Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls und der (gesetzlichen) Verpflichtung, bei der Bestimmung des Alkoholgehalts mitzuwirken, aufzugeben und jede Alkoholisierung - in welcher Fallgestaltung auch immer - dem Art 19.4. ARB 1994 zu unterstellen. Art 19.4. ARB 1994 sei daher einschränkend dahin auszulegen, dass eine Alkoholisierung des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls nur dann eine die Leistungsfreiheit des Versicherers bewirkende Obliegenheitsverletzung darstelle, wenn diese Alkoholisierung - analog zur Rechtslage im Straßenverkehr - mit der Verpflichtung korrespondiere, sich der Bestimmung des Alkoholgehalts zu unterziehen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, sodass die Beklagte Rechtsschutzdeckung zu gewähren habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es zur Auslegung des Art 19.4. ARB 1994 keine oberstgerichtliche Judikatur gebe.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach allgemeinen Vertragsauslegungsgrundsätzen der §§ 914 f ABGB auszulegen. Dabei ist vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszugehen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0112256, RS0050063).

Die Entscheidung 7 Ob 305/98y bezieht sich auf Art 17.3.2.2. ARB 1988, der nur für den Fahrzeug-Rechtsschutz gilt und der weitgehend wortgleich Art 17.4.1.2. der ARB 1994 entspricht. Art 17.3.2.2. ARB 1988 lautet:

„Als Obliegenheit, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers bedingt, gelten im Fahrzeug-Rechtsschutz, dass der Lenker sich im Zeitpunkt des Versicherungsfalles nicht in einem durch Alkohol-, Suchtgift- oder Medikamentenmissbrauch beeinträchtigten Zustand befindet und dass er einer gesetzlichen Verpflichtung entspricht, seine Atemluft auf Alkohol untersuchen, sich von einem Arzt vorführen oder sich Blut abnehmen zu lassen, entspricht...."

Der Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass trotz des Worts „und" nicht eine, sondern zwei Obliegenheiten bestimmt werden, nämlich eine vor dem Versicherungsfall (Alkoholklausel) und eine nach dem Versicherungsfall (den gesetzlichen Verpflichtungen zur Alkoholfeststellung zu entsprechen).

Der vorliegende Art 19.4. ARB 1994 („Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich") enthält, was die Obliegenheiten anlangt, im Wesentlichen eine ähnliche Formulierung wie die vom Obersten Gerichtshof bereits beurteilte Klausel. Schon aufgrund der vergleichbaren Formulierung ist auch hier davon auszugehen, dass zwei Obliegenheiten bestimmt werden, nämlich eine vor dem Versicherungsfall (keine Alkoholbeeinträchtigung) und eine nach dem Versicherungsfall (einer gesetzlichen Verpflichtung zu entsprechen, den Alkoholisierungsgrad prüfen zu lassen). Sowohl Art 17 ARB 1988 als auch Art 17 ARB 1994 haben nur Lebenssachverhalte zum Gegenstand, die einen Bezug auf ein Fahrzeug haben und für die daher jedenfalls gesetzliche Bestimmungen für die Feststellung des Grades der Alkoholisierung bestehen (vgl § 5 StVO). Damit wird der Bedeutung des Wortes „und" mit der oben dargelegten Auslegung Rechnung getragen. Art 19 ARB 1994 hingegen betrifft den Rechtsschutz auch für Lebenssachverhalte, bei denen keine gesetzliche Verpflichtung zur Feststellung des Alkoholisierungsgrads besteht. Gerade das Abstellen auf die gesetzliche Verpflichtung in der zweiten Obliegenheit schränkt die Klausel - gemessen am Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers - auch hinsichtlich der ersten Obliegenheit ein. Andernfalls käme dem in der Bedingung vom Versicherer gewählten Wort „und" keine Bedeutung zu, was der Versicherungsnehmer nicht erkennen kann. Werden aber die zwei Obliegenheiten durch das „und" in einen derart engen Sachzusammenhang gebracht, so kann dies ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nur so verstehen, dass zwar zwei verschiedene Obliegenheiten genannt sind, sich die Obliegenheit vor dem Versicherungsfall aber nur auf Lebenssachverhalte bezieht, bei denen ihn auch die zweite Obliegenheit trifft, nämlich eine gesetzliche Verpflichtung besteht, seinen Blutalkohol nach dem Versicherungsfall feststellen zu lassen. Die von Kronsteiner/Lafenthaler, Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1994) vertretene Ansicht, dass „auch im Bereich des nicht motorisierten Straßenverkehrs, bei Freizeit und Sportausübung, durch Alkohol- bzw Drogenmissbrauch Schadensfälle verursacht werden", ist zwar durchaus richtig. Dies ist jedoch kein Argument dafür, Versicherungsbedingungen würden einem verständigen Versicherungsnehmer gegenüber erkennbar eine generelle Obliegenheit zum weitgehenden Alkoholverzicht auferlegen. Aus Art 19.4. ARB 1994 lässt sich eine generelle Obliegenheit des Versicherungsnehmers, eine wie immer geartete Alkoholbeeinträchtigung jederzeit zu vermeiden, nicht entnehmen. Es mag sein, dass der Anwendungsbereich der Klausel bei dieser Auslegung im Hinblick auf den gesondert geregelten Fahrzeug-Rechtsschutz bei der derzeitigen Rechtslage gering ist, solche Überlegungen muss aber ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht anstellen. Jedenfalls sind unklare Formulierungen zu Lasten des Versicherers auszulegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art 19.4. ARB 1994 zwei Obliegenheiten regelt, nämlich eine vor dem Versicherungsfall (keine Alkoholbeeinträchtigung) und eine nach dem Versicherungsfall (einer gesetzlichen Verpflichtung zu entsprechen, den Alkoholisierungsgrad prüfen zu lassen). Beide Obliegenheiten bestehen aber nur in jenen Fällen, in denen (entsprechend der zweiten Obliegenheit) eine gesetzliche Verpflichtung zur Feststellung des Alkoholgehalts grundsätzlich gegeben ist. Eine generelle Obliegenheit des Versicherungsnehmers, in jeder Lebenssituation eine wie immer geartete Alkoholbeeinträchtigung zu vermeiden, lässt sich der Klausel ARB 19.4. ARB 1994 nicht entnehmen.

Darauf hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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