Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung - allenfalls nach Verfahrensergänzung - an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger wurde am 11. 10. 2004 als Schüler der zweiten Klasse einer Hauptschule im Rahmen einer Schulimpfung von der Erstnebenintervenientin als Amtsärztin im Auftrag der Beklagten mit einem von der Drittnebenintervenientin hergestellten Impfstoff gegen Hepatitis B geimpft. Eine Aufklärung über mögliche unerwünschte (Neben-)Wirkungen wurde nicht vorgenommen. Der Kläger erlitt infolge der Impfung eine hochgradige Sehbehinderung (Opticus Neuritis), die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 % führte. Der Kläger begehrte 40.000 EUR Schmerzengeld und 15.000 EUR Verunstaltungsentschädigung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus der Impfung. Die Beklagte hafte als Rechtsträgerin, da die Impfung von der ihr unterstellten Bezirkshauptmannschaft durchgeführt worden sei, ohne über Nebenwirkungen und Gefahren des Impfstoffs aufzuklären. Das beklagte Land bestritt vor allem die Kausalität der Impfung für den eingetretenen Schaden und behauptete, ausreichend und ordnungsgemäß über die Impfung aufgeklärt zu haben. Die Erstnebenintervenientin wendete unter anderem ein, eine Aufklärung über allfällige mögliche Schäden aufgrund der Impfung in Form des Auftretens von Opticus Neuritis sei infolge der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich gewesen.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Impfung sei kausal für den beim Kläger eingetretenen Gesundheitsschaden gewesen. Der dem beklagten Land obliegende Beweis, dass der Kläger bzw seine Vertreter auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Impfung in diese eingewilligt hätten, sei nicht gelungen, weil die Mutter des Klägers habe darlegen können, dass sie „in einen echten Entscheidungskonflikt geraten wäre und diesbezüglich Rücksprache mit ihrem Ehemann gehalten hätte". Die fehlende Aufklärung sei dem beklagten Land vorzuwerfen, zumal es sich um keinen dringlichen Eingriff gehandelt habe und daher grundsätzlich eine umfangreiche Aufklärung erforderlich gewesen wäre. Das begehrte Schmerzengeld und die Verunstaltungsentschädigung seien angemessen.
Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil das beklagte Land den ihm obliegenden Beweis dafür erbracht habe, dass die Mutter des Klägers der Impfung auch zugestimmt hätte, wäre sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Der Vater hätte die Entscheidung auch der Mutter allein überlassen. Die Frage, ob eine Impfung durchgeführt werde, sei eine solche der Pflege, die ein Elternteil auch allein als gesetzlicher Vertreter entscheiden könne. Die gesetzliche Vertreterin des Klägers habe keinen Entscheidungsnotstand dargetan, weil letztlich der Vater auch mit ihrer Entscheidung einverstanden gewesen wäre; dass er seiner Frau untersagt hätte, das Kind impfen zu lassen, lasse sich aus den Feststellungen gerade nicht entnehmen. Eine Haftung der beklagten Partei aus der - grundsätzlich gegebenen - Verletzung der Aufklärungspflicht komme daher nicht zum Tragen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs umfasst der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten. Diese Aufklärungspflicht besteht nicht nur bei operativen Eingriffen, sondern auch bei medikamentöser Heilbehandlung, bei physikalischen Eingriffen und auch bei Impfungen. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten bzw seinen gesetzlichen Vertreter aufklären muss, stellt eine Rechtsfrage dar. Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung ist dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Maßnahme erteilt hätte, geht es doch darum, dass der Arzt bzw Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließenden Rechtfertigungsgrunds zu behaupten und zu beweisen hat. Die Aufklärungspflicht des Arztes ist umso umfassender, je weniger die Maßnahme dringlich oder gar geboten erscheint (2 Ob 197/97b mwN).
Im vorliegenden Fall fehlen zur Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Komplikationen - insbesondere der tatsächlich aufgetretenen - jegliche Feststellungen. Dies ist aber für die Frage, ob überhaupt eine Aufklärungspflicht bestand, bedeutsam.
Das Erstgericht wird daher - allenfalls nach Ergänzung des Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob dem beklagten Land eine Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der gegenständlichen Schulimpfung vorzuwerfen ist.
Was die Frage einer allfälligen Einwilligung der gesetzlichen Vertreter (Eltern) des Klägers bei ausreichender Aufklärung betrifft, bedarf es genauer Feststellungen darüber, auf welcher Grundlage die Zustimmung erteilt worden wäre, beispielsweise ob dies - wie der Kläger argumentiert - tatsächlich nur unter der - richtigen oder unrichtigen - Annahme erfolgt wäre, dass die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an Hepatitis B wesentlich höher wäre als das Auftreten von Opticus Neuritis als Folge der Impfung. Es wird festzustellen sein, wie die Eltern des Klägers (fiktiv) die ihnen aufzuzeigenden Risken der Impfung einerseits und der Unterlassung einer solchen andererseits bewertet und welche Entscheidung sie letztendlich getroffen hätten. In diesem Zusammenhang ist auch eine klare Feststellung dahin zu treffen, ob der Vater des Klägers dessen Mutter - wenn auch nach vorheriger Rücksprache - die letztlich alleinige Entscheidung der Impffrage überlassen hat.
Es kann daher derzeit nicht beurteilt werden, ob der vom beklagten Land ins Treffen geführte Rechtfertigungsgrund der hypothetischen Zustimmung des Verletzten gegeben ist. Das Erstgericht wird die Tatsachengrundlage im aufgezeigten Sinn zu erweitern haben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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