Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:
Die Einreden der mangelnden internationalen Zuständigkeit und der örtlichen Unzuständigkeit werden abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.468,04 EUR (darin 411,34 EUR an USt) bestimmten Kosten des Zuständigkeitsstreits aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin ist Speditionsversicherer der D***** AG & Co KG. Der Geschäftsbeziehung ihrer Versicherungsnehmerin mit dem Beklagten liegt die Beschäftigungsvereinbarung vom 12. 6. 2006 zugrunde. Darin wurde unter anderem Folgendes vereinbart:
„8. Haftung
8.1 Der Transportunternehmer (= Beklagter) ist verpflichtet, der D***** AG & Co KG alle Schäden und Nachteile zu ersetzen, welche vom Transportunternehmer und/oder seinen Leuten, insbesondere seinen Fahrern der D***** AG & Co KG im Zusammenhang mit dieser Zusammenarbeitsvereinbarung und insbesondere der Zurverfügungstellung von Sattelaufliegern im Tauschsystem schuldhaft (fahrlässig oder vorsätzlich) verursacht wurden, wobei eine Berufung auf allfällige Haftungsbeschränkungen nicht möglich ist.
...
11. Anzuwendendes Recht / Gerichtsstand
11.1 Für alle Rechtsbeziehungen, die sich für die Vertragsteile aus diesem Vertrag ergeben, gilt österreichisches Recht.
11.2 Gerichtsstand für alle Streitigkeiten, welche sich aus diesem Vertrag zwischen den Vertragspartnern und/oder deren Rechtsnachfolgern ergeben sollten, ist ausschließlich das für W***** sachlich zuständige Gericht."
Im Rahmen dieser Beschäftigungsvereinbarung führte der Beklagte in der Zeit vom 5. 9. bis 7. 9. 2006 einen Transport von Papierwaren von der Schweiz nach England durch. Im Zuge des Transports kam es am 7. 9. 2006 in England zu einer Beschädigung der Waren.
Die Klägerin macht den gemäß § 67 VersVG auf sie übergegangenen Anspruch ihrer Versicherungsnehmerin gegen den Beklagten als Frachtführer geltend. Die Klägerin habe den Schaden der Absenderin ersetzt. Zur Zuständigkeit stützt sie sich im Hinblick darauf, dass der Transport im Rahmen der Beschäftigungsvereinbarung durchgeführt worden sei, auf die dort getroffene Gerichtsstandsvereinbarung. Auf den Geschäftsfall seien nicht die CMR, sondern nur die Bestimmungen der Beschäftigungsvereinbarung anzuwenden. Im Übrigen gelte auch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 65 AÖSp als primärer Handelsbrauch.
Der Beklagte erhebt die Einrede der fehlenden internationalen und örtlichen Zuständigkeit und beantragt im Übrigen die Abweisung des Klagebegehrens. Die in der Beschäftigungsvereinbarung geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung sei gemäß Art 31 iVm Art 41 CMR nichtig. Die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands widerspreche Art 31 CMR. Die Umdeutung der Vereinbarung eines ausschließlichen internationalen Gerichtsstands in einen zulässigen (Wahl-)Gerichtsstand sei unzulässig.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, dass es nicht möglich sei, durch Prorogation eine ausschließliche internationale Zuständigkeit unter Ausschluss der in Art 31 Abs 1 CMR vorgesehenen Gerichtsstände zu begründen. Die Gerichtsstandsvereinbarung, auf welche sich die Klägerin berufe, sei als ausschließlicher Gerichtsstand formuliert, sodass die Vereinbarung unwirksam sei. Auch § 65 AÖSp sehe eine ausschließliche Zuständigkeit vor, sodass dessen Anwendung schon aus diesem Grund nicht in Betracht zu ziehen sei.
Das Rekursgericht bestätigte den angefochtenen Beschluss und schloss sich der Rechtsmeinung des Erstgerichts an. Die Beschäftigungsvereinbarung gehe weit über einen konkreten Frachtauftrag hinaus. Die Frachtführerhaftung des Beklagten für Schäden am Transportgut richte sich zwingend nach den CMR. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei insgesamt und nicht nur insoweit nichtig, als damit die in Art 31 Abs 1 lit a und b CMR angeführten internationalen Gerichtsstände ausgeschlossen würden. Dies ergebe sich aus Art 41 Abs 1 CMR, der keine Teilnichtigkeit vorsehe.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der Wirksamkeit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung im Anwendungsbereich der CMR oberstgerichtliche Judikatur fehle.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Die Parteien haben die Geltung österreichischen Rechts in ihrem Rahmenvertrag vereinbart. Eine Zuständigkeitsvereinbarung geht bei Zession auf den Zessionar über (RIS-Justiz RS0108251). Die Klägerin könnte sich daher im Falle der Wirksamkeit auf die Gerichtsstandsvereinbarung ihrer Versicherungsnehmerin stützen.
Jeder Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen ist nach den Bestimmungen der CMR zu beurteilen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort, wie sie im Vertrag angegeben sind, in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen zumindest einer ein Vertragsstaat ist. Dies gilt ohne Rücksicht auf den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit der Parteien (Art 1 Abs 1 CMR). Jede Vereinbarung, die (abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen) unmittelbar oder mittelbar von den Bestimmungen der CMR abweicht, ist nichtig und ohne Rechtswirkung (Art 41 Abs 1 CMR).
Im vorliegenden Fall ist die Haftung des Beklagten aufgrund einer von ihm auf der Straße mittels Fahrzeugen von der Schweiz nach Großbritannien durchgeführten entgeltlichen Beförderung von Gütern zu beurteilen. Beide Staaten sind Vertragsstaaten (vgl Länderübersicht in Schütz in Straube, HGB3, vor Art 1 CMR). Damit von einem Beförderungsvertrag im Sinne des Art 1 CMR gesprochen werden kann, muss die Beförderung die prägende Leistung oder die Hauptleistung des Vertrags sein (de la Motte/Temme in Thume, Kommentar zur CMR2, Art 1 Rn 1; Basedow in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Art 1 CMR, Rn 3; Helm, Frachtrecht II2 CMR, Art 1 Rn 30).
Die Tatbestandsmerkmale des Art 1 CMR sind hier gegeben. Dass der Beförderungsvertrag (auch) im Rahmen der Beschäftigungsvereinbarung geschlossen wurde, ist unerheblich, weil sie im Hinblick auf Art 41 Abs 1 CMR die zwingenden Bestimmungen der CMR nicht ausschließen kann. Der Frachtvertrag ist daher - wie schon die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - nach den CMR zu beurteilen.
Art 31 CMR regelt die internationale Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten wie folgt:
„1. Wegen aller Streitigkeiten aus einer diesem Übereinkommen unterliegenden Beförderung kann der Kläger, außer durch Vereinbarung der Parteien bestimmte Gerichte von Vertragsstaaten, die Gerichte eines Staats anrufen, auf dessen Gebiet
a) der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Hauptniederlassung oder die Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, oder
b) der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung vorgesehene Ort liegt.
Andere Gerichte können nicht angerufen werden."
Sinn und Zweck des Art 31 CMR ist es, Streitigkeiten aus diesem Abkommen unterliegenden grenzüberschreitenden Beförderungen auf ganz bestimmte Gerichtsstände zu beschränken (RIS-Justiz RS0111681). Art 31 Abs 1 CMR regelt nur die internationale, nicht auch die örtliche und sachliche Zuständigkeit (RIS-Justiz RS0109009). Art 31 CMR ist gegenüber anderen internationalen Zuständigkeitsbestimmungen lex specialis (RIS-Justiz RS0107256).
Der deutsche Text der CMR ist missverständlich (Demuth in Thume, Kommentar zur CMR2, Art 31 Rn 29; Helm in Großkommentar4, Art 31 CMR Rn 19; Herber/Piper, CMR, Art 31 Rn 7). Aus dem englischen und dem französischen (gemäß Art 51 CMR allein verbindlichen) Text geht aber klar hervor, dass Art 31 Abs 1 CMR nur die einvernehmliche Wahl von zusätzlichen internationalen Zuständigkeiten von Gerichten von Vertragsstaaten ermöglichen soll (Demuth aaO Rn 12, 29; Koller, Transportrecht6, Art 31 CMR Rn 2 und 5; Helm, Frachtrecht II2 CMR, Art 31 Rn 19 ff, 43; ders in Großkommentar4, Art 31 CMR Rn 21). In der Vereinbarung eines konkreten Gerichts oder örtlichen Gerichtsstands ist auch die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit jenes Staats zu sehen, in welchem dieses Gericht gelegen ist (Demuth aaO Rz 29; Helm in Großkommentar4 Rz 21; Csoklich, Einige Fragen zur Zuständigkeit nach CMR und EuGV-VO, RdW 2003/152, 187).
Die Parteien vereinbarten mit der Beschäftigungsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit des für W***** sachlich zuständigen Gerichts. Die Nennung eines für einen bestimmten Ort sachlich zuständigen Gerichts ist auch die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats, wird doch durch den im Hoheitsgebiet gelegenen Ort naturgemäß auch der Vertragsstaat präzisiert.
Die Vertragsparteien haben also in der Beschäftigungsvereinbarung die internationale Zuständigkeit von Gerichten im Vertragsstaat Österreich vereinbart, dies aber ausschließlich. Das Ausschließen der Zuständigkeit der in Art 31 Abs 1 CMR genannten Zuständigkeiten ist - wie bereits oben dargelegt - im Hinblick auf Art 41 CMR unwirksam.
Die Nichtigkeit einer gegen die CMR verstoßenden Vereinbarung hat nicht die Nichtigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen zur Folge (Art 41 Abs 1, 2. Satz CMR). Zu fragen ist daher, ob die Art 31 Abs 1 CMR widersprechende Zuständigkeitsvereinbarung insgesamt unwirksam ist oder nur in jenem Teil, der die Zuständigkeiten nach Art 31 Abs 1 CMR ausschließt, sodass also von der Vereinbarung zwar keines ausschließlichen, aber doch eines nach Art 31 Abs 1 CMR zulässigen Wahlgerichtsstands auszugehen ist.
In der Lehre wird diese Frage kontroversiell beantwortet. Die Umdeutung der Vereinbarung eines ausschließlichen internationalen Gerichtsstands in einen zusätzlichen (Wahl-)Gerichtsstand wird von Demuth in Thume aaO Rn 29, 49, und von Koller aaO Rn 5, abgelehnt. Die Ansicht, dass nur Teilunwirksamkeit eintritt und die Vereinbarung als Wahlgerichtsstand wirksam sein soll, wird von Csoklich aaO 188, Huther in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB Band 2, Art 31 CMR Rn 12, Helm in Großkommentar4 Art 31 Rn 21 und Basedow aaO Art 31 Rn 24, vertreten.
Der Oberste Gerichtshof folgt den zuletzt genannten Lehrmeinungen. Nach Art 41 Abs 1 CMR sollen nämlich Vereinbarungen nur insoweit nichtig und damit unwirksam sein, als sie von den Bestimmungen der CMR abweichen (RIS-Justiz RS0049343). Dies spricht für eine Teilnichtigkeit der Vereinbarung in dem Sinn, dass nur der den CMR widersprechende Teil einer Vereinbarung nichtig ist. Wird ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart, so widerspricht die Vereinbarung nur insofern den CMR, als die in Art 31 Abs 1 CMR genannten Gerichtsstände ausgeschlossen werden, nicht aber insofern, als ein zusätzlicher (Wahl-)Gerichtsstand vereinbart wird. Dafür, dass die gesetzlich angeordnete Teilnichtigkeit jedenfalls immer den von der Nichtigkeit betroffenen - aber teilbaren - gesamten Themenbereich (gesamte Zuständigkeitsregelung) umfassen muss, gibt es im Gesetz keinen Anhaltspunkt.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Parteien nach Art 31 Abs 1 CMR die Vereinbarung der zusätzlichen internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Streitigkeiten aus dem Frachtvertrag zulässig getroffen haben.
Welche Form eine Gerichtsstandsvereinbarung haben muss, ist in den CMR nicht geregelt. Diese Lücke ist daher durch Rückgriff auf das nationale Recht (lex fori) zu schließen (Demuth in Thume aaO Rn 30; Koller aaO Rn 5; Csoklich aaO 187). Die Wirksamkeit der von beiden Parteien eigenhändig unterfertigten, im Original vorliegenden Gerichtsstandsvereinbarung wurde von den Parteien (abgesehen von Art 41 CMR) zu Recht nicht in Zweifel gezogen, sodass sich weitere Ausführungen erübrigen.
Die Parteien haben hier nicht nur einen internationalen Wahlgerichtsstand (Gerichte des Vertragsstaats Österreich), sondern auch die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts vereinbart. Dieses ist damit zur Verhandlung und Entscheidung in dieser Rechtssache zuständig.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 52 Abs 1, 50 und 41 ZPO. Es handelt sich um Kosten eines Zwischenstreits, die allerdings nur insoweit zu ersetzen sind, als sie ausschließlich durch den Zuständigkeitsstreit entstanden sind. Das sind die Kosten der Tagsatzung vom 11. 3. 2008, in der über die Einrede abgesondert verhandelt wurde, und des Rechtsmittelverfahrens.
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