OGH 12Os138/08y

OGH12Os138/08y23.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Murat C***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Murat C***** sowie die Berufung des Angeklagten Orhan A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendgeschworenengericht vom 9. Juni 2008, GZ 27 Hv 58/08b-120, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Murat C***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Schuldspruch betreffend Orhan A***** enthält, wurde Murat C***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zusammen mit Orhan A***** am 1. November 2007 in Reutte im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Marija L***** unter Vorhalt einer Schreckschusspistole und unter der Aufforderung, das Geld herzugeben, widrigenfalls sie „abgeknallt" werde, somit durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben und unter Verwendung einer Waffe, fremde bewegliche Sachen, nämlich 1.020 EUR Bargeld mit dem Vorsatz abgenötigt, sich oder Dritte durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Nach der auf § 345 Abs 1 Z 4 StPO gestützten Rüge wurde dem mit den Verlesungsbeschränkungen des § 252 Abs 1 StPO verbundenen Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO widersprochen. Zwar sei die Aussage des Zeugen Zafer C***** (ON 49/I) sowie dessen vom Verteidiger vorgelegtes Schreiben (ON 112/III) in der Hauptverhandlung vom 9. Juni 2008 ausdrücklich nicht verlesen worden. Dessen ungeachtet habe aber der Vorsitzende den Geschworenen den gesamten Akt ohne Aussonderung dieser Zeugenaussage übergeben (S 85 in ON 119/III).

Den Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde ist insoweit beizupflichten, als Verstöße gegen die in § 322 StPO angeführten Vorschriften vom taxativen Katalog des § 345 Abs 1 Z 4 StPO grundsätzlich nicht erfasst werden (RIS-Justiz RS0100697). Missachtet der Vorsitzende jedoch den gesetzlichen Auftrag, Vernehmungsprotokolle oder andere von § 252 Abs 1 StPO erfasste Schriftstücke auszusondern, die in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden oder sonst prozessförmig vorgekommen sind, und werden diese Beweisergebnisse den Geschworenen bekannt, verstößt er gegen das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 9; RIS-Justiz RS0118038).

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt indes nicht vor: Sowohl der Beschwerdeführer (S 39 in ON 119/III) als auch der Zeuge Senol A***** (S 65 bis 69 in ON 119/III) nahmen in der Hauptverhandlung inhaltlich Bezug auf diese nicht verlesenen Angaben. Vor allem aber referierte der Verteidiger in seinem in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag (S 79 in ON 119/IIII) den wesentlichen Inhalt dieser Aussage des Zeugen Zafar C***** und dessen in einem Schreiben an den Verteidiger des Rechtsmittelwerbers enthaltenen „Widerruf" der vor Gericht getätigten Angaben. Dazu kommt, dass der Vorsitzende angesichts dieser Sachlage bereits in der Hauptverhandlung gegenüber den Laienrichtern klarstellte, dass eine Verwertung dieser (nicht verlesenen) Aussage für die Urteilsfindung nicht in Frage kommt (S 83 in ON 119/III). Solcherart ist unzweifelhaft erkennbar, dass die in der fehlenden Sonderung der den Geschworenen bereits zur Kenntnis gebrachten Aussage und des Schreibens des zur Hauptverhandlung nicht erschienenen Zeugen Zafar C***** liegende Formverletzung auf die Entscheidung keinen den Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO).

In der Verfahrensrüge (Z 5) bemängelt der Rechtsmittelwerber die Abweisung seines Antrags auf neuerliche Ladung und Einvernahme des Zeugen Zafar C***** zum Beweis dafür, dass dessen Aussagen - wie im schriftlichen Widerruf dieser Angaben dargetan - nicht richtig seien, mit denen er den Zweitangeklagten dahin belastete, dass dieser ihm einen Raub vorgeschlagen habe (S 79 in ON 119/III). Im Hinblick darauf, dass die Angaben des Zeugen im Beweisverfahren mangels Verlesung nicht vorgekommen sind und der Vorsitzende angesichts des Referats dieser Angaben durch den Verteidiger bereits in der Hauptverhandlung gegenüber den Laienrichtern klarstellte, dass eine Verwertung dieser (nicht verlesenen) Aussage für die Urteilsfindung nicht in Frage kommt (S 83 in ON 119/III), wurden durch die Abweisung des Beweisantrags Verteidigungsrechte nicht hintangesetzt. Gleiches gilt für die vom Angeklagten kritisierte Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Tadica Z***** zum Beweis dafür, dass die Aussagen des Erstangeklagten und von Jasmin S***** unrichtig sind, wonach der Beschwerdeführer den Erstangeklagten am Tattag gegen 20:00 Uhr in der Wohnung abgeholt habe, vielmehr Orhan A***** alleine und von sich aus die Wohnung mit dem Bemerken verlassen habe, dass sein Kollege ihm noch Geld schulde und er dieses Geld nun holen werde. Denn der beantragte Zeuge kann nach dem Vorbringen zur entscheidenden Frage nichts darüber aussagen, welche Aktivitäten der Erstangeklagte nach Verlassen der Wohnung setzte. Soweit der Rechtsmittelwerber in diesem Zusammenhang neue Argumente für die Einvernahme dieses Zeugen vorbringt, ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof die Berechtigung des Beweisbegehrens stets auf den Antragszeitpunkt bezogen prüft. Jedes vom Antrag abweichende und dieses ergänzende Vorbringen im Rechtsmittel ist daher unzulässig (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Auch die Abweisung des Antrags auf Ladung und „Einvernahme" des Inspektors M***** zum Beweis dafür, dass Orhan A***** entgegen seiner Verantwortung nicht sofort den Zweitangeklagten als Mittäter benannte, sondern erst anlässlich seiner Befragung vor der Polizeiinspektion Reutte dessen Namen erwähnte, erfolgte zu Recht. Denn nach dem die Ereignisse zusammenfassenden Bericht in der Stellungsanzeige kam es am 1. November 2007 um 23:38 Uhr zur Festnahme des Erstangeklagten und bereits um 0:20 Uhr des 2. November 2007 zur ersten Belastung Murat C*****s durch seinen Komplizen (S 27 in ON 4). Das Vorbringen zum Beweisantrag geht daher nicht vom Akteninhalt aus, begann doch die Vernehmung Orhan A*****s in der Polizeiinspektion Reutte erst am 2. November 2007 um 2:25 Uhr (S 47 in ON 4).

Weshalb es schließlich der Ladung und „Einvernahme" des Inspektors F***** zum Beweis dafür bedurft hätte, dass der Zweitangeklagte anlässlich seiner ersten Festnahme perlustriert wurde und dabei kein Beuteanteil zu finden war, wurde im Beweisantrag nicht ausreichend dargetan. Eine solche Erklärung über die Schuld- bzw Entscheidungsrelevanz des Beweisbegehrens wäre aber schon deswegen geboten gewesen, weil der inkriminierte Raubüberfall vom 1. November 2007 gegen 21:00 Uhr stattfand (S 19 und 23 in ON 4), währenddessen die erste Anhaltung Murat C*****s durch die Polizei am selben Tag erst um 22:32 Uhr erfolgte (S 27 in ON 4).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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