OGH 7Ob160/08t

OGH7Ob160/08t22.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dagmar I*****, und 2.) Dr. Gottfried I*****, beide vertreten durch Mag. Gerald Griebler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn Dr. Wolfgang Vanis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 30.015,10 EUR (sA), über die außerordentliche Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. April 2008, GZ 3 R 44/08z‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑West vom 31. Dezember 2007, GZ 107 C 758/07d‑7, infolge Berufung der Kläger bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kläger sind schuldig, der Beklagten die mit 1.846,55 EUR (darin enthalten 307,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin ist Fruchtnießerin, der Zweitkläger Eigentümer eines Hauses in G*****, in dem die Beklagte Geschäftsräumlichkeiten gemietet hat. Im betreffenden Bestandvertrag wurde die „Aufrechnung von Gegenforderungen gegen den Mietzins" ausgeschlossen.

Nach einem Streit über die Errichtung einer Tiefgarage schlossen die Streitteile und die L***** OHG (im Folgenden L*****) am 19. 4. 2002 einen außergerichtlichen Vergleich, in dem die Beklagte der Errichtung der Tiefgarage zustimmte. Im Vergleich sind unter anderem folgende Bestimmungen enthalten:

„5.) Der Bestandvertrag vom 7. 8. 1976, der Bestandvertrag vom 27. 6. 1988 und die „Mietvertragsergänzung" vom 17. 7. 1997 bleiben, soweit in diesem Vergleich nichts Abweichendes vereinbart wird, aufrecht. Soweit mit diesem Vergleich Abweichungen von den genannten Verträgen vereinbart werden, wird im Hinblick auf die Schriftformklauseln ausdrücklich vereinbart, dass die in diesem Vergleich enthaltenen Bestimmungen auch dann wirksam sind, wenn die Annahme des Vergleichsvorschlags (zur Vermeidung einer Rechtsgeschäftsgebühr) nicht schriftlich, sondern konkludent erfolgt [...].

6.) Zur Abgeltung der meiner Mandantschaft [der beklagtenPartei] bereits entstandenen und bis 30. 11. 2002 entstehenden Schäden bezahlt Dr. I***** [Erstkläger] an meine Mandantschaft zu meinen Handen einen Pauschalbetrag von 360.000 EUR netto und verzichten Dr. I***** und Frau I***** [Zweitklägerin] für den Zeitraum 1. 7. 2002 bis einschließlich 30. 6. 2012 auf den Hauptmietzins für das gesamte Mietobjekt meiner Mandantschaft, für welches von meiner Mandantschaft in diesem Zeitraum lediglich anteilige Betriebskosten und laufende öffentliche Abgaben sowie Anteile an besonderen Aufwendungen, jeweils samt darauf entfallender Umsatzsteuer, zu entrichten sind. Dr. I***** und Frau I***** verpflichten sich, diese Vereinbarung der Mietfreistellung auf jeden Rechtsnachfolger im Eigentum oder in der Nutzung der Liegenschaft zu überbinden. Dr. I***** und Frau I***** verpflichten sich ferner, über erste Aufforderung meiner Mandantschaft alle Unterschriften in beglaubigter Form zu leisten, damit das Bestandrecht meiner Mandantschaft bis 31. 12. 2012 [...] in das Grundbuch eingetragen wird und die Mietzinsvorauszahlung bis 30. 6. 2012 grundbücherlich angemerkt wird [...].

7.) Zur Abgeltung der meiner Mandantschaft entstandenen und bis 30. 11. 2002 entstehenden Schäden bezahlt die L***** an meine Mandantschaft [...] einen weiteren Pauschalbetrag von 510.000 EUR netto [...].

12.) [...] Sämtliche Parteien verzichten auf das Recht, diesen Vergleich, aus welchen Gründen auch immer, insbesondere wegen Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzufechten oder eine Anpassung zu begehren. [...].

Für den Fall, dass diese Vereinbarung von einer Partei oder mehreren Parteien angefochten werden sollte (sei es auch gemäß den Bestimmungen der Anfechtungsordnung oder durch den Masseverwalter nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer Partei), verpflichten sich die anderen Parteien zur ungeteilten Hand, meine Mandantschaft schadlos zu halten [...]."

Zur Bereinigung des Streites sollte durch die im Vergleich genannten Zahlungen und durch den Verzicht auf Bezahlung eines Hauptmietzinses ein von der Beklagten behaupteter Schaden von rund 30 Mio ATS abgegolten werden. Das Aufrechnungsverbot im Bestandvertrag wurde in den Gesprächen vor dem Vergleichsabschluss nicht erörtert. Ab Juli 2002 schrieben die Kläger der Beklagten keinen Hauptmietzins und keine Umsatzsteuer aus dem Mietzins vor. Die Beklagte bezahlte von Juli 2002 bis einschließlich April 2007 keinen Hauptmietzins (und keine Umsatzsteuer aus dem Hauptmietzins), sondern nur die ihr vorgeschriebenen Betriebskosten zuzüglich Umsatzsteuer.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt zu 22 Cg 98/04v vom 24. 8. 2006 wurde eine Klage der Kläger gegen die (auch dort) Beklagte auf Feststellung, „dass der gegenständliche Vergleich laut Anbot vom 19. 4. 2002 rechtsunwirksam sei" mit der Begründung abgewiesen, die L*****, die mit den Klägern eine einheitliche Streitpartei bilde, sei nicht in das Verfahren einbezogen worden. Die Genannte hatte in Form eines am 27. 2. 2006 vorgelegten Notariatsakts die Erklärung abgegeben, kein Interesse an einer „Teilnahme" an diesem Verfahren zu haben, weil ihre Interessen (vermeintlich) nicht tangiert würden.

Die Kläger begehren von der Beklagten 30.015,10 EUR an rückständigen Mietzinsen für März und April 2007. Sie seien beide aktiv sachlegitimiert, weil sie „obligatorisch vereinbart" hätten, dass die Erstklägerin dem Zweitkläger „Mitvermieterrechte" einräume. Die Beklagte sei aufgrund des - durch den Vergleich vom 19. 4. 2002 unberührt gebliebenen - vertraglichen Aufrechnungsverbots zur Bezahlung eines monatlichen Bruttohauptmietzinses von 15.007,55 EUR verpflichtet. Die von den Klägern im Vergleich vom 19. 4. 2002 übernommenen Zahlungsverpflichtungen bestünden wegen Sittenwidrigkeit und Wucher nicht zu Recht, weil die Kläger den Vergleich in „allergrößter wirtschaftlicher, pyhsischer und psychischer Zwangslage mit größter begründeter Angst, ihre finanziellen Kreditangelegenheiten nicht mehr regeln zu können" abgeschlossen hätten. Allerdings sei nicht der gesamte Vergleich, sondern nur der in Punkt 6.) vereinbarte Hauptmietzinsverzicht bis 30. 6. 2012 wegen „Teilnichtigkeit" unwirksam. Die „Hauptmietzinsfreistellung" für den Zeitraum 1. 7. 2002 bis 30. 6. 2012 sei sittenwidrig und wucherisch, weshalb die Beklagte zur Bezahlung der begehrten Mietzinse verpflichtet sei. Die L***** sei keine notwendige Streitgenossin der Kläger, weil sie nicht Gläubigerin der Mietzinsschuld der Beklagten sei.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie schulde für den Zeitraum vom 1. 7. 2002 bis 30. 6. 2012 aufgrund der vergleichsweisen Vereinbarung keinen Hauptmietzins.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Durch den Vergleich vom 19. 4. 2002 sei das im Bestandvertrag enthaltene Aufrechnungsverbot aufgehoben worden. Die behauptete, aus § 879 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ABGB abgeleitete Unwirksamkeit des Vergleichs könne als relative Nichtigkeit nur über Einrede wahrgenommen werden. Da von den vier Parteien des Vergleichs eine (die L*****) nicht Partei des Zivilprozesses sei, alle vier Vergleichsparteien aber eine einheitliche Streitpartei im Sinn des § 14 ZPO bildeten, könne eine Überprüfung des Vergleichs nach § 879 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ABGB mangels Beiziehung der L***** von vornherein nicht erfolgen. Der Vergleich vom 19. 4. 2002 stehe der Geltendmachung der Bestandzinse für März und April 2007 entgegen.

Das von den Klägern angerufene Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Mit dem außergerichtlichen Vergleich vom 19. 4. 2002 sei der Beklagten die Pflicht zur Zahlung des Hauptmietzinses auch im Zeitraum März und April 2007 wirksam erlassen worden. Das im Bestandvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot erfasse nur die einseitige Aufrechnung (ein Gestaltungsrecht eines Vertragspartners), aber nicht die einverständliche Aufrechnung (den Aufrechnungsvertrag), als die die Vereinbarung vom 19. 4. 2002 zu beurteilen sei. Die behauptete relative (Teil‑)Nichtigkeit der Vereinbarung vom 19. 4. 2002 könne mangels wirksamer Anfechtung nicht aufgegriffen werden. Nur wenn aufgrund einer Rechtsgestaltungsklage die angefochtene Vereinbarung im Wege eines Rechtsgestaltungsurteils beseitigt werde, entfalle für den vermeintlich Bewucherten, wenn er als Kläger auftrete, die Verpflichtung aus der getroffenen Vereinbarung. Im vorliegenden Aktivprozess der vermeintlich Bewucherten sei daher schon mangels Anfechtung von der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 19. 4. 2002 auszugehen. Die Frage, inwieweit die Partner der Vereinbarung vom 19. 4. 2002 eine einheitliche Streitpartei bildeten, stelle sich daher nicht mehr.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen gewesen seien.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger mit den Anträgen, das Rechtsmittel zuzulassen und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel ihrer Prozessgegner entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, da eine klärende Stellungnahme durch den Obersten Gerichtshof angezeigt erscheint, entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), zwar zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Nicht stichhältig sind zunächst die Ausführungen der Revisionswerber, wonach die zwischen ihnen, der Beklagten und der L***** am 19. 4. 2002 getroffene vergleichsweise Regelung entgegen der Ansicht der Vorinstanzen gegen das im Bestandvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot verstoßen habe. Die Revisionswerber übersehen, dass dieses Aufrechnungsverbot nur einer einseitigen, nicht aber auch einer vertragsmäßigen Aufrechnung entgegenstehen konnte (vgl EvBl 1963/356 ua). Richtig hat das Berufungsgericht daher erkannt, dass das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot den unter anderem die Aufrechnung der behaupteten Schadenersatzansprüche der Beklagten mit künftigen Mietzinsforderungen umfassenden Vergleich vom 19. 4. 2002 nicht tangiert.

Auch der weitere Einwand der Revisionswerber, der sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts wendet, die Kläger hätten nicht sofort Leistungsklage erheben dürfen, sondern zunächst eine auf Aufhebung des Vergleichs gerichtete Rechtsgestaltungsklage erheben müssen, ist - jedenfalls im Ergebnis - nicht berechtigt.

Die Kläger gründen ihr Leistungsbegehren darauf, dass der zwischen ihnen, der Beklagten und der L***** geschlossene Vergleich (zum Teil) sittenwidrig beziehungsweise wucherisch gewesen sei. Nach herrschender Meinung macht Wucher das Geschäft nicht ungültig, sondern anfechtbar (Krejci in Rummel3, § 879 Rz 252 mwN). Solange der Bewucherte sein Gestaltungsrecht (Anfechtungsrecht) nicht ausübt, bleibt das Geschäft daher wirksam. Die Ungültigkeit wirkt nach herrschender Ansicht also nicht von selbst, sondern bedarf einer entsprechenden richterlichen Ungültigkeitserklärung (Krejci aaO mwN). Ein Bewucherter hat deshalb, ehe er Zahlungen zufolge Unwirksamkeit des bewucherten Geschäfts verlangen kann, eine entsprechende richterliche Ungültigkeitserklärung herbeizuführen.

Das Rechtsgeschäft, dessen (teilweise) Nichtigkeit die Kläger behaupten, nämlich der Vergleich vom 19. 4. 2002, wurde nicht nur von den Streitteilen abgeschlossen, sondern es war daran auch die L***** beteiligt. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, bilden im Rechtsstreit um die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags - hier eines Vergleichs - sämtliche Vertragsparteien eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 14 ZPO, sodass in einem solchen Fall alle (anderen) Vertragspartner auf der Beklagtenseite Parteistellung einnehmen müssen (RIS‑Justiz RS0083003). Zwar müssen die Gestaltungsrechte bei mehrgliedrigen Schuldverhältnissen nicht in jedem Fall von allen und gegen alle Teilnehmer geltend gemacht werden; eine gesonderte Geltendmachung ist aber nur möglich, wenn die Rechte und Pflichten auf der mehrgliedrigen Seite des Schuldverhältnisses vom Interesse aller Beteiligten aus teilbar sind (EvBl 1978/2; Schubert in Fasching/Konecny2 II § 14 ZPO Rz 20). Dies ist aber beim hier zu prüfenden Vergleich nicht der Fall. Dessen Aufhebung würde auch die Rechtsposition der am Vergleich beteiligten L***** berühren, weil davon von der Beklagten auch gegen diese erhobene Schadenersatzansprüche betroffen wären. Im Übrigen werden die Interessen der L***** schon deshalb tangiert, weil sich diese im Vergleich verpflichtete, die Beklagte im Fall einer Anfechtung schadlos zu halten (vgl Punkt 12. des Vergleichs). Dass die notarielle Erklärung der L***** im Verfahren 22 Cg 98/04f des Landesgerichts Wr. Neustadt daran nichts zu ändern vermag, hat schon das Erstgericht, auf dessen Ausführungen dazu verwiesen werden kann, entgegen den, den klaren Wortlaut der betreffenden Vergleichsbestimmung negierenden, Einwänden der Kläger in der Berufung zutreffend erkannt.

Dahingestellt bleiben kann, ob bei einem zweipersonalen Geschäft, das wegen Wuchers (Sittenwidrigkeit) bekämpft werden soll, die Anfechtung nicht nur durch Klage im Wege eines Gestaltungsurteils erfolgen kann, sondern auch eine Geltendmachung des Anfechtungsgrundes in einem Leistungsprozess ausreicht, wie dies hinsichtlich der Irrtumsanfechtung der herrschenden Ansicht entspricht (RIS‑Justiz RS0016243; Rummel in Rummel3, § 871 Rz 19; Apathy/Riedler in Schwimann ABGB3 IV, § 871 Rz 29 jeweils mwN). Sind - wie hier - mehr als zwei Personen am (angeblich) wucherischen Geschäft beteiligt und soll ein Leistungsbegehren nicht gegen alle anderen Beteiligten gerichtet werden, muss ‑ jedenfalls bei Unteilbarkeit des Schuldverhältnisses - ein Gestaltungsbegehren auf Feststellung der Nichtigkeit des Geschäfts wegen Wuchers erhoben werden, das sich (wie zu 22 Cg 98/04v des Landesgerichts Wiener Neustadt bereits richtig erkannt wurde) auch gegen alle übrigen Beteiligten richtet. Die Kläger hätten daher ein entsprechendes, nicht nur gegen die Beklagte, sondern auch gegen die L***** gerichtetes Rechtsgestaltungsbegehren erheben müssen. Da sie dies unterlassen haben, ihr (nur) gegen die Beklagte gerichtetes Zahlungsbegehren aber die Nichtigerklärung des Vergleichs wegen Wuchers (Sittenwidrigkeit) voraussetzte, muss das Klagebegehren abgewiesen werden.

Ob eine teilweise Aufhebung des Vergleichs wegen Wuchers überhaupt möglich ist, bedarf ebenso keiner Erörterung mehr wie die Frage nach der Aktivlegitimation des Zweitbeklagten als Eigentümer neben der Erstbeklagten, die Fruchtnießerin ist.

Die Revision muss erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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