OGH 11Os151/08b (11Os152/08z)

OGH11Os151/08b (11Os152/08z)21.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Oktober 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alen A***** wegen Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 StGB, AZ 25 Hv 151/07d des Landesgerichts Linz, über die von der Generalprokuratur gegen den Vorgang, dass nach Urteilsverkündung am 6. November 2007 eine vollständige Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist, und gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. November 2007, AZ 7 Bs 391/07k, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, und des Verteidigers Mag. Leitner, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Alen A***** wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 StGB, AZ 25 Hv 151/07d des Landesgerichts Linz, verletzen das Gesetz

1./ der Vorgang, dass in der nach der Urteilsverkündung vom 6. November 2007 dem Verurteilten vom Gericht erteilten Rechtsmittelbelehrung die Aufklärung über die dreitägige Frist zur Anmeldung der Berufung (§§ 466 Abs 1 erster Satz, 489 Abs 1 StPO) unterblieben ist, in den Bestimmungen des § 268 (iVm § 488 Z 4) StPO und des § 3 StPO aF und

2./ der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. November 2007, AZ 7 Bs 381/07h, auf Zurückweisung der vom Verteidiger gegen das Urteil vom 6. November 2007 angemeldeten Berufung (ON 25) in der Bestimmung der §§ 470 Z 1, 489 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. November 2007 wird aufgehoben.

Dem Landesgericht Linz wird aufgetragen, das am 6. November 2007 mündlich verkündete Urteil schriftlich auszufertigen und eine Ausfertigung dem Angeklagten bzw seinem Verteidiger zur Rechtsmittelausführung zuzustellen.

Text

Gründe:

Mit Urteil einer Einzelrichterin des Landesgerichts Linz vom 6. November 2007, GZ 25 Hv 151/07d-20, wurde Alen A***** des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht gemäß § 288 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Entgegen § 271 Abs 1 Z 7 StPO wurde der Spruch des Urteils nicht im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten.

Nach Urteilsverkündung wurde dem Verurteilten durch die beigezogene Gerichtsdolmetscherin für die englische Sprache folgende Rechtsbelehrung erteilt: „Sie haben die Möglichkeit, das Urteil anzunehmen, Sie haben die Möglichkeit dagegen Berufung zu erheben, wenn Sie glauben, dass Verfahrensfehler passiert sind, wenn Sie glauben, dass Sie nicht schuldig sind oder wenn Sie glauben, die Strafe ist zu streng bemessen. Sie können gleich sagen, was Sie tun möchten, oder Sie können sich mit Ihrem Verteidiger besprechen" (S 165, ON 35).

Der durch einen Wahlverteidiger vertretene Verurteilte wies zunächst darauf hin, dass es möglicherweise ein Missverständnis zwischen den ihm gestellten Fragen und den darauf gegebenen Antworten gegeben habe, fügte hinzu „I accept with the judge" und beantwortete die von der Dolmetscherin gestellte Frage „You accept the judgement?" mit „Yes". Der Verteidiger unterbrach daraufhin mit dem Zuruf „Nein, nein. Wird bestritten. Er erklärt nicht Rechtsmittelverzicht!", verließ mit dem Verurteilten den Verhandlungssaal und meldete nach Rückkehr sogleich Berufung wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe an und ersuchte um Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls. Der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab (S 165, 213).

Das Landesgericht Linz ging in der Folge davon aus, dass das Urteil aufgrund der Erklärung des Verurteilten im Anschluss an die Rechtsmittelbelehrung rechtskräftig geworden sei und fertigte demgemäß das Urteil nur in gekürzter Form aus (§ 458 Abs 3 StPO; ON 20). Das über die Hauptverhandlung aufgenommene Protokoll ließ es in Vollschrift übertragen und legte mit Bericht vom 13. November 2007 die Akten dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung vor (ON 22).

Mit Beschluss vom 27. November 2007, AZ 7 Bs 391/07k, wies das Oberlandesgericht Linz die Berufung des Verurteilten als unzulässig zurück (ON 25). Zur Begründung führte es aus, dass die seitens der Einzelrichterin erfolgte Rechtsbelehrung ordnungsgemäß und vollständig gewesen, der in Anwesenheit des Verteidigers erklärte Rechtsmittelverzicht somit wirksam und unwiderruflich sei, wobei das Motiv einer solchen Verzichtserklärung ohne Bedeutung wäre. Mit Endverfügung (ON 26) wurde das Urteil mit 27. November 2007 für rechtskräftig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Rechtsmittelbelehrung durch die Einzelrichterin des Landesgerichts Linz sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz auf Zurückweisung der vom Verteidiger angemeldeten Berufung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die dem Verurteilten im Auftrag der Richterin durch die Dolmetscherin in die englische Sprache übersetzte Rechtsbelehrung beschränkte sich nämlich auf den Hinweis, dass er zwischen den Möglichkeiten, das Urteil anzunehmen oder dagegen Berufung zu erheben, wählen könne, wobei er seine Entscheidung dem Gericht entweder sogleich oder nach Rücksprache mit dem Verteidiger bekannt geben könne. Eine Belehrung darüber, dass die Berufung auch noch binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils durch die Einzelrichterin angemeldet werden könne (§§ 466 Abs 1 erster Satz, 489 Abs 1 zweiter Satz StPO), unterblieb.

Die nach Urteilsverkündung einem Angeklagten zu erteilende Rechtsmittelbelehrung hat aber nicht nur die Aufklärung darüber zu umfassen, inwieweit die Möglichkeit besteht, das Urteil mit Rechtsmitteln zu bekämpfen, sondern unter anderem auch die Belehrung über die dreitägige Frist (einschließlich der Nennung des letzten Tages derselben, § 6 Abs 2 StPO aF bzw § 84 Abs 1 Z 5 StPO), binnen der die Rechtsmittel bei sonstigen Ausschluss anzumelden sind (Danek, WK-StPO § 268 Rz 13).

Die Pflicht, einen Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu belehren, kommt ausschließlich dem Gericht zu, sodass auch die dem Verurteilten angebotene Möglichkeit, vor der Rechtsmittelerklärung mit dem Verteidiger Rücksprache zu halten, der auf einer unvollständigen Belehrung beruhenden, als Rechtsmittelverzicht zu deutenden eigenen Erklärung des Angeklagten keine Rechtswirksamkeit verschafft. Andernfalls könnte eine Belehrung durch das Gericht überhaupt unterbleiben, sofern nur dem Angeklagten nach der Urteilsverkündung die Möglichkeit zu einer Beratung mit dem anwesenden Verteidiger vor Abgabe einer Rechtsmittelerklärung eingeräumt wird.

Die fehlerhafte Rechtsbelehrung verstößt auch gegen die in § 6 Abs 2 StPO (§ 3 StPO aF) statuierte allgemeine Belehrungspflicht des Gerichts.

In der Regel ist ein nach Urteilsverkündung in Anwesenheit des Verteidigers von einem prozessfähigen Angeklagten ausdrücklich erklärter Rechtsmittelverzicht - ungeachtet der zugrundeliegenden Motivation - unwiderruflich. Wenn dem Angeklagten aber eine Rechtsmittelerklärung abgefordert wird, bevor er sich mit seinem Verteidiger beraten konnte oder der Verzicht infolge verfehlter Rechtsmittelbelehrung oder vor dieser spontan erfolgte, gilt dann Gegenteiliges, wenn die Anmeldung unmittelbar, nachdem der anwesende Verteidiger den Angeklagten über die Rechtslage ins Bild setzen konnte, geschieht (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 8 f; RIS-Justiz RS0116751; ÖJZ-LS 2008/48).

Daraus folgt, dass das Oberlandesgericht Linz der nach unvollständiger Rechtsmittelerklärung abgegebenen Erklärung des Verurteilten, das Urteil anzunehmen, keine Wirksamkeit zuerkennen durfte, weil im unmittelbaren Anschluss der anwesende Verteidiger nach Besprechung mit dem Verurteilten und ohne dessen Widerspruch gegen das Urteil die Berufung angemeldet hat.

Zwar kommt im Verfahren vor dem Einzelrichter die Beantwortung der Frage, ob ein Angeklagter auf Rechtsmittel gegen ein Urteil verzichtet hat, ausschließlich dem Berufungsgericht zu, das bejahendenfalls gemäß § 470 Z 1 StPO (§ 489 Abs 1 StPO) die Berufung bei nichtöffentlicher Beratung als unzulässig zurückweisen kann, doch hat es bei Beantwortung dieser Frage nicht bloß den Wortlaut der vom Angeklagten abgegebenen Erklärung, sondern alle anderen damit im Zusammenhang stehenden, aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung ersichtlichen relevanten Verfahrensumstände zu beachten. Insbesondere hat es gegebenenfalls auch die Vollständigkeit und Richtigkeit der dem Angeklagten erteilten Rechtsmittelbelehrung zu prüfen, wenn im Protokoll - wie hier (S 165) - deren Inhalt zusammengefasst wiedergegeben wird und weiters erkennbar ist, dass der Verteidiger nach kurzer Besprechung mit dem Verurteilten und offenkundig mit dessen Einverständnis Berufung angemeldet hat.

Die unvollständige Rechtsmittelbelehrung war ebenso wie die Rechtsmittelanmeldung durch den Verteidiger sowohl aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (ON 19) ersichtlich als auch durch die auf CD gespeicherte technische Aufnahme der Hauptverhandlung überprüfbar (ON 22 und 35).

Die unvollständige Rechtsmittelbelehrung und die Zurückweisung der Berufung durch das Oberlandesgericht Linz haben sich zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah (§ 292 letzter Satz StPO), den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz auf Zurückweisung der Berufung aufzuheben und dem Landesgericht Linz aufzutragen, das Urteil vom 6. November 2007 auszufertigen und dem Angeklagten bzw seinem Verteidiger zur allfälligen Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels zuzustellen.

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