OGH 1Ob167/08b

OGH1Ob167/08b30.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Luigi T*****, vertreten durch Dr. Martina Haag, Rechtsanwältin in St. Pölten, wider die Antragsgegnerin Xuan T*****, vertreten durch Mag. Eva Plaz, Rechtsanwältin in Wien, wegen Rückführung der Minderjährigen Lorenzo-Tuan T*****, geboren am *****, und Aron-Lu T*****, geboren am *****, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 25. Juni 2008, GZ 23 R 185/08s-S-27, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 7. Mai 2008, GZ 2 P 71/08f-S-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag auf Rückführung der Minderjährigen Lorenzo-Tuan T***** und Aron-Lu T***** an deren vormaligen Wohnsitz in der Schweiz abgewiesen wird.

Text

Begründung

Die derzeit knapp vier bzw etwa zwei Jahre alten Minderjährigen entstammen der zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin im Jahr 2004 geschlossenen, noch aufrechten Ehe. Die (aus Vietnam stammende) Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, der Vater italienischer Staatsbürger. Die Kinder besitzen jeweils die österreichische und die italienische Staatsbürgerschaft. Zuletzt lebte die Familie in der Schweiz. Bereits im Jahr 2005 traten Streitigkeiten zwischen den Eltern auf; beide erstatteten Anzeige wegen Körperverletzung, zogen ihre Anzeige jedoch wieder zurück. Der Antragsteller verhielt sich mehrfach aggressiv gegenüber der Antragsgegnerin, wobei die Minderjährigen Zeugen der Aggressionshandlungen gegen ihre Mutter wurden. Nach einem Vorfall, bei dem der Antragsteller die Antragsgegnerin gegen die Wand geschleudert hatte, flüchtete sie mit beiden Kindern vom 3. Juni bis zum 25. Juni 2007 ins Frauenhaus. Seitdem leben die Eltern „gerichtlich getrennt". Nach der Rückkehr aus dem Frauenhaus verblieben die Kinder bei ihrer Mutter; der Vater zog zu seinen Eltern, die in einem anderen Ort in der Schweiz wohnhaft sind. Mit Eheschutzverfügung des Präsidenten des Bezirksgerichts Diessenhofen vom 14. August 2007 sowie einem Beschluss des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 7. Dezember 2007 wurde der Mutter das alleinige Obhutsrecht für die beiden Kinder zugewiesen. Dem Vater wurde ein mehrstündiges Besuchsrecht am ersten und dritten Wochenende eines jeden Monats eingeräumt. Die eheliche Liegenschaft wurde der Mutter zur alleinigen Benutzung zugewiesen und dem Vater das Betreten ohne Zustimmung der Mutter untersagt, da das weitere Zusammenleben mit ihm als unzumutbar erachtet wurde. In der Folge strengte der Vater im Rahmen des in der Schweiz anhängigen Eheschutzverfahrens ein Abänderungsverfahren hinsichtlich des Obhutsrechts an. Im Jänner/Februar 2008 reiste die Mutter wegen eines Todesfalls nach Wien. Der Vater holte die Kinder mit Einverständnis der Mutter von dort ab; anschließend hielten sich die Kinder vom 4. Februar bis 21. Februar im Einvernehmen mit der Mutter bei ihm (in der Schweiz) auf. Am 26. März 2008 reiste die Mutter mit beiden Kindern nach Österreich aus. Am selben Tag erließ das Bezirksgerichtspräsidium Steckborn eine einstweilige und nicht selbstständig anfechtbare Verfügung, die mit Eröffnung unmittelbar in Rechtskraft erwuchs und die sofort vollstreckbar war. Mit dieser Verfügung wurde der Mutter unter Androhung einer Bestrafung (Strafandrohung: Buße) verboten, den Aufenthaltsort der beiden Minderjährigen zu wechseln und sie insbesondere nach Österreich zu verbringen. Diese einstweilige Verfügung war an den Rechtsvertreter der Mutter in der Schweiz adressiert. Am 28. März 2008 erließ das Bezirksgerichtspräsidium Steckborn eine weitere derartige Verfügung, mit der der Mutter abermals unter Androhung einer Bestrafung befohlen wurde, den Aufenthaltsort der Minderjährigen unverzüglich an den bisherigen Wohnsitz zurückzuverlegen oder ansonsten die Kinder der einstweiligen Obhut des Vaters zu übergeben.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Kinder von ihrem Vater geschlagen oder misshandelt worden wären. Sie sind im derzeitigen Umfeld gut versorgt und betreut; sie sind nicht gefährdet.

Der Vater beantragte die Rückführung der Kinder nach dem Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Trotz bestehender „gemeinsamer Sorge" der beiden Elternteile seien die Kinder (widerrechtlich) ohne Zustimmung des Vaters nach Österreich verbracht worden. Seit 21. Februar 2008 sei beim Gerichtspräsidium Steckborn ein Eheschutzverfahren anhängig, in welchem er die Obhut über beide Kinder anstrebe. Dieses Verfahren wolle die Mutter offensichtlich unterlaufen. Der psychische Zustand der Mutter scheine ihm „fraglich", nachdem sie eine Psychotherapie zwar angefangen, diese jedoch wieder abgebrochen habe.

Dem Antrag des Vaters liegt eine Bestätigung im Sinne von Art 15 HKÜ bei, in der das Bundesamt für Justiz als Zentralbehörde der Schweiz seine Rechtsansicht zum Ausdruck bringt, das Verbringen der Kinder nach Österreich ohne Zustimmung des Vaters sei widerrechtlich im Sinne von Art 3 HKÜ. Das der Mutter übertragene Obhutsrecht (= das Recht, mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft zu leben und es persönlich zu betreuen), sei Bestandteil der elterlichen Sorge und könne beispielsweise im Rahmen von Kindesschutzmaßnahmen oder eherechtlichen Verfahren (Scheidung, Ehetrennung, Eheschutz) einem oder beiden Elternteilen entzogen werden. Das Aufenthalts(mit)bestimmungsrecht des nicht mehr obhutsberechtigten Elternteils nach Maßgabe von Art 5 lit a HKÜ werde ohne ausdrückliche anders lautende Anordnung dadurch jedoch nicht eingeschränkt oder aufgehoben.

Die Mutter beantragte die Abweisung des Antrags infolge mangelnder Anwendbarkeit des Übereinkommens; die Kinder seien nicht widerrechtlich verbracht worden, der Vater habe sein Sorgerecht nicht „tatsächlich ausgeübt". Hilfsweise begehrte sie die Ablehnung der Anordnung der Rückführung der Kinder wegen Gefährdung des Kindeswohls. Eine widerrechtliche Verbringung der Kinder liege deshalb nicht vor, da ihr allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht zukomme. Das Obhutsrecht als Teil der elterlichen Sorge nach Art 301 des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) umfasse auch das Recht, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht eines Elternteils (hier: des Vaters) entfalle zur Gänze, sobald dem anderen Elternteil als vorsorgliche Maßnahme im Scheidungsverfahren oder im Eheschutzverfahren die Obhut zugesprochen wurde. Diese Auffassung entspreche der Lehre und der Rechtsprechung in der Schweiz; sowohl das Schweizer Bundesgericht als auch das Obergericht Thurgau als zweit- und letztinstanzliches Gericht des Kantons Thurgau hätten betont, es bestehe keine Pflicht des Obhutsberechtigten, den Wohnort nicht zu wechseln. Das Obergericht Thurgau habe darüber hinaus ausdrücklich festgehalten, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht des nicht obhutsberechtigten Elternteils durch die Zuteilung der Obhut im Eheschutzverfahren aufgehoben werde. Da dem nicht obhutsberechtigten Elternteil kein Recht auf (Mit-)Bestimmung des Aufenthaltsorts zukomme, liege keine Verletzung des Sorgerechts nach Art 5 lit a HKÜ und daher keine „Entführung" vor. Die Übersiedlung nach Österreich sei nur deshalb erfolgt, da die Eltern und Geschwister der Antragsgegnerin dort wohnhaft seien, wobei ein gut funktionierendes soziales Umfeld bestehe. In Österreich wäre ihr die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit möglich, in der Schweiz stünde eine öffentliche Kinderbetreuung erst ab dem 5. Lebensjahr der Kinder zur Verfügung. Diese Umstände ließen einen Umzug nach Österreich nachvollziehbar erscheinen, sodass kein Rechtsmissbrauch vorliege. Der Vater habe kein Sorgerecht ausgeübt, sondern nur an vier Tagen im Monat sein Besuchsrecht wahrgenommen. Außerdem liege das Rückführungshindernis des Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens vor, da aufgrund des aggressiven Verhaltens des Vaters gegen die Mutter, was die Kinder hätten miterleben müssen, deren Wohl gefährdet sei. Bei einer Rückkehr in die Schweiz wäre sie den „fast täglichen" Schikanen des Vaters ausgesetzt, wodurch die Kinder in einen massiven Loyalitätskonflikt gebracht würden. In Österreich verfügten sie und die Kinder über eine familiäre und soziale Unterstützung, welche ihr bei einer Rückkehr in die Schweiz entzogen wäre.

Das Erstgericht gab dem Rückführungsantrag statt. Es ging unter Bezugnahme auf die Widerrechtlichkeitsbescheinigung des Bundesamts für Justiz davon aus, das Aufenthalts(mit)bestimmungsrecht des nicht mehr obhutsberechtigten Elternteils werde nach Maßgabe von Art 5 lit a HKÜ durch die Entziehung des Obhutsrechts (lediglich Bestandteil der elterlichen Sorge) ohne ausdrückliche, anders lautende Anordnung nicht eingeschränkt oder aufgehoben. Eine solche Anordnung liege nicht vor. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Sinne des Art 5 lit a HKÜ obliege daher den Eltern weiterhin gemeinsam. Der Vater habe sein Sorgerecht auch tatsächlich ausgeübt. Mit der Rückführung der Kinder seien weder besonders schwerwiegende Gefahren verbunden, noch würden die Kinder in eine unzumutbare Lage gebracht. Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten des Vaters gegenüber der Mutter - auch wenn sie die Kinder miterleben müssten - seien nicht als Rückführungshindernis zu qualifizieren. Dies treffe auch auf Loyalitätskonflikte zu.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Das Sorgerecht, wenn es auch bloß in einem Teilbereich bestehe, falle in den Schutzbereich des HKÜ. Vom Standpunkt des HKÜ aus sei das Verbringen eines Kindes durch einen der gemeinsam Sorgeberechtigten ohne die Genehmigung des anderen als widerrechtlich anzusehen. Die spezifisch staatsvertragliche Widerrechtlichkeit sei in diesen Fällen zwar möglicherweise nicht das Ergebnis einer gesetzwidrigen Handlung, sondern des Umstands, dass dieses Verhalten die durch das Gesetz ebenfalls geschützten Rechte des anderen Elternteils missachte und ihre normale Ausübung unterbreche. Überprüfungswürdig sei, ob die bloße Ausübung des Besuchsrechts eine tatsächliche Ausübung des Sorgerechts im Sinne des Art 3 lit b HKÜ darstelle. Es sei aber der Ansicht zu folgen, dass an die Voraussetzungen der tatsächlichen Ausübung der Obsorge keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden dürften. Zu verneinen sei die „tatsächliche Ausübung" nur in Situationen, in welchen ein sorgeberechtigter Elternteil sich objektiv nicht mehr für die Kinder interessiere, was nach der Aktenlage im vorliegenden Fall nicht angenommen werden könne. Ein Rückführungshindernis im Sinne des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ liege nicht vor, da diese Ausnahme eng auszulegen sei und lediglich auf wirklich schwere Gefahren beschränkt werden müsse. Erzieherische oder wirtschaftliche Nachteile für das Kind reichten für die Annahme eines Rückführungshindernisses nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Nach Art 3 lit a und b HKÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, einer Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Das Sorgerecht im Sinne dieses Übereinkommens umfasst insbesondere auch das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen (Art 5 lit a HKÜ).

Ob dem Antragsteller im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt des Verbringens der Kinder nach Österreich ein (Mit-)Sorgerecht zustand, ist infolge des damaligen gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder in der Schweiz nach Schweizer Sachrecht zu beurteilen (1 Ob 614/90 = SZ 63/131).

Nach Art 301 Abs 1 des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) umfasst die elterliche Sorge die Leitung der Pflege und Erziehung des Kindes im Hinblick auf dessen Wohl; die Eltern sollen die nötigen Entscheidungen unter Vorbehalt der eigenen Handlungsfähigkeit des Kindes treffen. Das Kind darf ohne Einwilligung der Eltern die häusliche Gemeinschaft nicht verlassen (Art 301 Abs 3 ZGB). Den Eltern kommt das Recht zu, dem Kind einen Vornamen zu geben (Art 301 Abs 4 ZGB). Weitere Aspekte der elterlichen Sorge sind in gesonderten Bestimmungen geregelt, wie das Erziehungsrecht (Art 302 f ZGB), die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern (Art 304 ZGB) und die Verwaltung des Kindesvermögens (Art 318 ff ZGB). Verheiratete Eltern üben die elterliche Sorge gemeinsam aus (Art 297 Abs 1 ZGB). Wird der gemeinsame Haushalt aufgehoben oder die Ehe getrennt, so wird die elterliche Sorge weiterhin gemeinsam ausgeübt, solange das Gericht nicht anders entscheidet (Art 297 Abs 2 ZGB). Wird die Obhut im Rahmen von Kinderschutzmaßnahmen oder im Rahmen eherechtlicher Verfahren durch Gerichtsentscheidung allein einem Ehepartner zugewiesen, steht das Sorgerecht dennoch weiterhin gemeinsam zu. Infolge Übertragung der Obhut bestimmt zwar der allein Obhutsberechtigte über die alltäglichen Fragen der persönlichen Fürsorge und Erziehung sowie über den Ort und die Art der Unterbringung. Trotz Entzugs der Obhut bleiben dem anderen Elternteil aber als (Mit-)Inhaber des Sorgerechts verschiedene wesentliche Rechte erhalten, so insbesondere das Recht auf Mitbestimmung bei Ausbildungs- und Berufswahlfragen (vgl Art 301 Abs 1 ZGB) und bei Fragen der religiösen Erziehung (Art 303 ZGB), die gesetzliche Vertretung des Kindes (Art 304 Abs 1 ZBG) und die Vermögensverwaltung (siehe Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 26. November 2004, 5 C 207/2004).

Im vorliegenden Fall ist entscheidungswesentlich, ob dem Vater infolge des behördlichen Entzugs der Obhut auch das Recht zur (Mit-)Bestimmung des Aufenthaltsorts der Kinder entzogen wurde oder dieses Recht weiterhin als Teil des Sorgerechts bei ihm verblieben ist.

In ihrem Revisionsrekurs weist die Mutter darauf hin, dass der Entzug der elterlichen Obhut als einschneidender Eingriff in die elterliche Sorge nicht nur den Entzug des Rechts zur unmittelbaren Fürsorge und Erziehung, sondern auch den Entzug des Rechts zur Bestimmung des Aufenthaltsorts umfasse. Diesen Ausführungen kommt im Hinblick auf die Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts Berechtigung zu. Dieses hat bereits ausgesprochen, aus der Anordnung einer vorsorglichen Maßnahme im Rahmen eines Eheschutzverfahrens, bei der die Obhut über das Kind einstweilen auf den einen Elternteil übertragen werde, folge, dass das Obhutsrecht das Recht umfasse, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (ua Bundesgericht vom 26. November 2004, 5 C 207/2004; Bundesgericht vom 10. Juli 2001, 5 P 140/2001 mwN). Die Eltern hätten zwar nach Art 274 Abs 1 ZGB alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtige, jedoch könne daraus nicht die Pflicht des Obhutsberechtigten abgeleitet werden, den Wohnort nicht zu wechseln, auch nicht aus Gründen der Rücksichtnahme auf die persönlichen Kontakte des anderen Elternteils mit dem Kind (Bundesgericht vom 23. Februar 2004, 5 P 14/2004).

Folgt man dieser Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts - was schon deshalb geboten ist, weil der österreichische Oberste Gerichtshof nicht zur Kritik oder gar zur Weiterentwicklung der schweizerischen Rechtsprechung berufen ist - bewirkt die behördliche Übertragung der alleinigen Obsorge auf einen Elternteil, dass diesem unabhängig vom Einverständnis des anderen Elternteils das Recht zusteht, über den Ort der Unterbringung des Kindes zu entscheiden. Im vorliegenden Fall stellt somit die Übertragung der Obhut auf die Mutter eine „ausdrückliche, anders lautende Anordnung" dar, mit der das Aufenthaltsbestimmungsrecht des (derzeit) nicht obhutsberechtigten Vaters nach Maßgabe des Art 5 lit a HKÜ aufgehoben und nunmehr allein der Mutter zugewiesen wurde. Wenngleich die Bescheinigung des Herkunftsstaats nach Art 15 HKÜ - soweit sie über das Bestehen des Sorgerechts eine Aussage trifft - zu beachten ist (siehe Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht Rz 09.05 Fußnote 17), ergibt sich aus dem HKÜ keine Bindung an die vom Bundesamt für Justiz vertretene Rechtsansicht zum Sorgerecht. Bei Bestehen einer gegenteiligen Rechtsprechung des Höchstgerichts des Herkunftsstaats ist dieser größeres Gewicht beizumessen. Die Beurteilung, ob eine Verbringung widerrechtlich im Sinne des Art 3 HKÜ ist, haben die Behörden des Entführungsstaats - hier also die österreichischen Gerichte - autonom vorzunehmen (1 Ob 614/90).

Der Antragsteller wies auf von der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts abweichende Literaturmeinungen hin. Dem ist abermals entgegen zu halten, dass bei Bestehen einer gefestigten Rechtsprechung eines ausländischen Höchstgerichts der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen ist, das ausländische Recht gegenteilig auszulegen oder gar fortzuentwickeln (4 Ob 136/99z; Kodek in Rechberger3 § 502 ZPO Rz 22 mwN; Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 502 ZPO Rz 48 ff).

Schloss das Mitobsorgerecht des Vaters nicht auch die Befugnis ein, den Aufenthaltsort des Kindes mitzubestimmen, dann konnte es durch die Wahl eines ihm nicht genehmen Aufenthaltsorts des Kindes durch die Mutter nicht verletzt werden (1 Ob 147/99w). Die Verbringung der Kinder ist demnach nicht rechtswidrig im Sinne des HKÜ. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Mutter ist nicht erkennbar, sind doch objektive Gründe für ihre Übersiedlung nach Österreich gegeben.

In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist daher der Antrag des Vaters auf Rückführung der Kinder abzuweisen.

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