Spruch:
Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Kostenentscheidung des Rekursgerichts richtet, zurückgewiesen.
Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 624,06 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 104,01 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Begründung
Mit seiner Mahnklage begehrte der Kläger 7.200 EUR sA. Gegen den antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl erhob die zu diesem Zeitpunkt noch unvertretene Beklagte Einspruch. Vor der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung langte ein Schriftsatz des Klägers ein, in dem er das Klagebegehren auf 16.986,31 EUR sA ausdehnte. Die ordnungsgemäß geladene Beklagte erschien nicht zur Verhandlung am 24. Oktober 2007. Über Antrag des Klägers erließ das Erstgericht ein Versäumungsurteil über die ausgedehnte Klageforderung. Gegen dieses Versäumungsurteil erhob die Beklagte einen Widerspruch nach § 442a Abs 1 ZPO, in dem sie sich eine Nichtigkeitsberufung „vorbehielt".
Das Erstgericht wies den Widerspruch zurück. § 442a Abs 1 ZPO schließe diesen Rechtsbehelf aus, wenn in einem Verfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl erhoben worden sei.
Das von der Beklagten angerufene Rekursgericht bestätigte die Zurückweisung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil über den ursprünglichen Klagsbetrag von 7.200 EUR sA. Im Übrigen, also insbesondere in Bezug auf den darüber hinausgehenden Betrag von 9.786,31 EUR sA, behob es den Zurückweisungsbeschluss und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die Fortsetzung des Verfahrens auf. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu. Ziel der ZVN 2002 sei es gewesen, gerichtliche Verfahren effizienter zu gestalten. Daher lasse es der neu gefasste § 442a Abs 1 ZPO nicht zu, dass ein Beklagter nach einem Einspruch im Mahnverfahren gegen ein danach ergangenes Versäumungsurteil neuerlich Widerspruch erhebe. Diese Einschränkung könne aber nur gelten, soweit tatsächlich ein Zahlungsbefehl erlassen worden sei. Bei einer Klageausdehnung bleibe das Widerspruchsrecht im Umfang der Ausdehnung bestehen. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Fallgestaltung fehle.
Aus Anlass eines dagegen vom Kläger erhobenen Revisionsrekurses hob der Oberste Gerichtshof den Beschluss des Rekursgerichts im Umfang der Anfechtung als nichtig auf, weil im Rekursverfahren keine Rechtsmittelbeantwortung eingeholt worden war (4 Ob 63/08f).
Im zweiten Rechtsgang hielt das Rekursgericht seine Rechtsmeinung aufrecht und behob neuerlich den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts, soweit er über die ursprünglich eingeklagten 7.200 EUR hinausging. Den Revisionsrekurs ließ es wiederum zu.
Dagegen richtet sich der hier zu behandelnde Revisionsrekurs des Klägers. Er beantragt die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass dem Rekurs der Beklagten (gemeint: zur Gänze) nicht Folge gegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Weiters führt er einen „Revisionsrekurs im Kostenpunkt" aus, mit dem er (erkennbar) eine Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens anstrebt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs im Kostenpunkt als absolut unzulässig zurückzuweisen und ihm im Übrigen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist als unzulässig zurückzuweisen, soweit er sich gegen die Kostenentscheidung des Rekursgerichts richtet (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO). Im Übrigen ist er aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die für die Entscheidung maßgebende Bestimmung des § 442a Abs 1 ZPO wurde mit der ZVN 2002 BGBl I 76 geändert.
1.1. Nach § 442a Abs 1 ZPO idF vor der ZVN 2002 war der Widerspruch gegen ein nach § 442 ZPO erlassenes Versäumungsurteil uneingeschränkt zulässig. Diese Regelung erfasste daher auch Fälle, in denen der Beklagte - wie hier - bereits zuvor Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl erhoben hatte (2 Ob 507/81 = JBl 1982, 43; RIS-Justiz RS0040899). Nach dieser Regelung wäre der Widerspruch des Beklagten jedenfalls zulässig gewesen.
1.2. Die Regierungsvorlage zur ZVN 2002 (962 BlgNR 21. GP) sah demgegenüber den gänzlichen Wegfall des Widerspruchs gegen Versäumungsurteile vor. Die Erhebung eines Widerspruchs in Verschleppungsabsicht oder zum Zeitgewinn für die eigene Prozessvorbereitung sei ein der Praxis nicht unbekanntes Motiv. Mit der Lockerung der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung durch die ZVN 1983 BGBl 135 sei der maßgebliche Rechtfertigungsgrund für die Einführung des Widerspruchs beseitigt worden. Das gelte insbesondere für das Mahnverfahren, in dem der Beklagte durch das Hintereinanderschalten von Einspruch und Widerspruch im Ergebnis zwei Möglichkeiten habe, in das Verfahren einzutreten (aaO 40 f).
Dem Justizausschuss erschien diese gänzliche Beseitigung des Widerspruchs allerdings als „doch zu weitgehend" (1049 BlgNR 21. GP). Zwar sei der Anwendungsbereich dieses Rechtsbehelfs einzuschränken: Er solle nur dann zulässig sein, wenn die erste Verfahrenshandlung versäumt werde; im bezirksgerichtlichen Verfahren daher dann, wenn das Versäumungsurteil „ohne vorangegangene gesetzlich vorgesehene schriftliche Äußerung (Einspruch, Einwendungen)" ergangen sei. Habe hingegen eine Partei bereits einen Einspruch oder Einwendungen erhoben und versäume sie dann die erste mündliche Streitverhandlung, so solle gegen das darauf folgende Versäumungsurteil kein Widerspruch mehr möglich sein.
1.3. Diese Erwägungen führten zur geltenden Fassung des § 442a Abs 1 Satz 2 ZPO. Danach ist der Widerspruch ausgeschlossen, „wenn in dem Verfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl oder Einwendungen im Mandatsverfahren oder im Bestandverfahren erhoben wurde".
2. Die Zulässigkeit des Widerspruchs hängt somit davon ab, ob sich der Beklagte bereits vor der zum Versäumungsurteil führenden Säumnis durch einen Schriftsatz am Verfahren beteiligt hatte, der zur Beseitigung einer sonst vollstreckbar werdenden Entscheidung erforderlich war. Den Ausführungen des Justizausschusses ist zu entnehmen, dass damit ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen der Verfahrensbeschleunigung und des Beklagtenschutzes geschaffen werden sollte. Eine dogmatische Begründung für die konkrete Ausgestaltung der Regelung enthält der Bericht jedoch nicht.
Diese Begründung kann, worauf G. Kodek (in Fasching/Konecny2 § 442a ZPO Rz 3) zutreffend hinweist, nur darin liegen, dass die bereits erfolgte Beteiligung am Verfahren einen erhöhten Sorgfaltsmaßstab nach sich zieht. Das gilt jedoch nach der konkreten Regelung nur dann, wenn die Beteiligung am Verfahren zur Beseitigung einer sonst vollstreckbar werdenden Entscheidung notwendig war; ein anderer - wenngleich aufgetragener - Schriftsatz reicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht aus. Nach dessen Wertung ist daher ausschlaggebend, ob dem Beklagten durch eine bereits erfolgte Entscheidung (insbesondere durch einen Zahlungsbefehl im Mahnverfahren) die Gefahr einer vollstreckbaren Leistungsverpflichtung deutlich geworden war.
3. Diese Begründung trägt indes nur, soweit sich das Versäumungsurteil mit der vorausgegangenen Entscheidung (hier mit dem Zahlungsbefehl) deckt. Wird hingegen das Klagebegehren ausgedehnt, greift die Warnfunktion der bereits ergangenen Entscheidung im Umfang der Ausdehnung nicht mehr ein. Vielmehr liegt insofern in Wahrheit ein neues Begehren vor, das in Bezug auf die Zulässigkeit des Widerspruchs nicht anders beurteilt werden kann als eine neu eingebrachte Klage. Daher muss der Widerspruch nach der dem Gesetz offenkundig zugrunde liegenden Wertung im Umfang der Ausdehnung weiterhin zulässig sein. Das gilt auch dann, wenn das Neuvorbringen - anders als hier - gesetzmäßig behandelt wurde (§ 398 Abs 1 ZPO idF der ZVN 2004 BGBl I 128; zuvor § 442 Abs 2 ZPO idF vor dieser Novelle; vgl dazu Rechberger in Rechberger3 §§ 396, 397 Rz 6 und § 398 Rz 1; zur im Ergebnis gleichen Rechtslage vor der ZVN 2004 G. Kodek in Fasching/Konecny2 § 442 ZPO Rz 16 mwN), denn auch in diesem Fall fehlte es an der Warnfunktion einer darüber bereits ergangenen Entscheidung.
4. Diese Erwägungen führen zur Bestätigung der Entscheidung des Rekursgerichts. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht das Versäumungsurteil im Umfang der Klageausdehnung und im Kostenpunkt aufzuheben haben; im Übrigen bleibt es als Teilurteil aufrecht. Die Entscheidung über die bis zum Versäumungsurteil entstandenen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wird nach § 52 Abs 2 ZPO vorzubehalten sein.
Allgemein gilt: Dehnt der Kläger nach einem Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl das Klagebegehren aus und ergeht darüber ein Versäumungsurteil, so ist der Widerspruch gegen das Versäumungsurteil ungeachtet des § 442a Abs 1 Satz 2 ZPO im Umfang der Klageausdehnung zulässig.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 iVm §§ 41, 52 Abs 1 ZPO. Durch den (ersten) Revisionsrekurs des Klägers ist ein Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Widerspruchs entstanden, dessen Kosten nicht das Schicksal der Hauptsache teilen; § 397a Abs 4 ZPO ist nicht anwendbar (4 Ob 63/08f, 2 Ob 69/08y). Der im Revisionsrekursverfahren zur Gänze unterlegene Kläger hat der Beklagten daher die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen, wobei als Bemessungsgrundlage nicht der Gesamtstreitwert, sondern nur das Revisionsrekursinteresse von 9.786,31 EUR heranzuziehen ist.
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