OGH 9Nc14/08w

OGH9Nc14/08w23.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Vanessa B*****, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 5. Juni 2008, GZ 2 P 62/05z-U-30, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Die mj Vanessa wohnte zuletzt mit ihrer Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Villach; ihr Vater lebt in der Bundesrepublik Deutschland.

Im Mai 2008 wurde dem Bezirksgericht Villach bekannt, dass die Minderjährige mit ihrer Mutter nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau wohnt.

Mit Beschluss vom 5. 6. 2008 übertrug das Bezirksgericht Villach daraufhin die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau. Mit Beschluss vom 16. 6. 2008 lehnte das Bezirksgericht St. Johann im Pongau die Übernahme des Akts ab. Es begründete dies mit einem bereits seit Dezember 2007 anhängigen und noch nicht erledigten Unterhaltserhöhungsantrag der Mutter. Im Interesse des Kindeswohls und zur Vermeidung von Verfahrensverzögerung sei es zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Villach über diesen Antrag noch entscheide.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.

Für den Obersten Gerichtshof besteht dann, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit nicht gegeben sind, kein Hindernis, eine Entscheidung schon vor Zustellung und Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses zu treffen (vgl 3 Nd 517/99; 10 Nd 509/01; 10 Nd 510/02; 9 Nc 111/02a).

Wenn dies im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN).

Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist stets das Kindeswohl (10 Nc 58/07x; 9 Nc 15/03k ua). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung (10 Nc 58/07x; 6 Nd 503/01), sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (10 Nc 58/07x ua). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS-Justiz RS0047432; zuletzt etwa 8 Nc 5/08i).

Im hier zu beurteilenden Fall ist seit Dezember 2007 ein Antrag auf Erhöhung des vom Vater für die Minderjährige zu leistenden Unterhalts anhängig. Über diesen Antrag hat das Bezirksgericht Villach bereits ein umfangreiches Verfahren durchgeführt. Es hat nicht nur die Mutter vernommen, sondern mit dem in Deutschland lebenden Vater (bzw mit dessen Rechtsvertreter) in großem Umfang korrespondiert. Der Vater erstattete zum Unterhaltserhöhungsantrag fünf teilweise überaus umfangreiche Schriftsätze und legte zahlreiche Unterlagen zur Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage vor. Das Bezirksgericht Villach verfügt daher für die ausstehende Entscheidung über den Unterhaltserhöhungsantrag über große Sachkunde und umfangreiche Aktenkenntnis. Für die Entscheidung über den offenen Antrag ist daher die Beziehung zum bisher mit der Sache befassten Gericht weit stärker, als zum nunmehrigen Wohnsitzgericht. Dass - wie das Bezirksgericht Villach anlässlich der Vorlage des Akts hervorhob - die Steuererklärungen des Vaters für 2006 und 2007 ausständig seien, ändert daran nichts, zumal sich daraus keinerlei Bezug zum Wohnsitzgericht des Kindes ergibt. Auch sonst ist dem Akt nicht zu entnehmen, dass in naher Zukunft pflegschaftsbehördliche Maßnahmen, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort der Minderjährigen haben, erforderlich wären. Derzeit ist daher kein Grund für die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau gegeben.

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