OGH 14Os137/08s

OGH14Os137/08s23.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. September 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schmidmayr als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael V***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 6. Mai 2008, GZ 37 Hv 65/07a-120, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Wiener Neustadt zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, wurde Michael V***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt, zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Danach hat er „in der Nacht auf den 23. März 2007 in Tribuswinkel Ingrid V***** durch Versetzen von Schlägen mit der Hand vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) und eine Prellung mit Blutergussbildung am Augenhöhlenrand und am linken Jochbein zur Folge hatte".

Die Geschworenen verneinten die auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB gerichtete Hauptfrage im Stimmenverhältnis 5 : 3 und bejahten die auf das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1

StGB gerichtete Eventualfrage im Stimmenverhältnis 6 : 2.

Die anklagekonforme Hauptfrage lautete:

„Ist Franz Michael V***** schuldig, in der Nacht auf den 23. März 2007 in Tribuswinkel dadurch, dass er der widerstrebenden Ingrid V***** über einen Zeitraum von fünf Stunden oftmals Faustschläge ins Gesicht versetzte, ihr wiederholt weitere Schläge androhte, ihr die Beine gewaltsam auseinander zwängte, mehrmals den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, auch abwechselnd mit einem Plastikbehälter, einem Löffel sowie mit einer Weinflasche stoßende Bewegungen in ihrer Scheide vollführte, eine Person mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89) zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt zu haben, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) zur Folge hatte und die vergewaltigte Person durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt wurde?"

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Urteil richtet sich die aus Z 5, 6, 8, 10a, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Die Tatsachenrüge (Z 10a) ist berechtigt.

Zutreffend reklamiert die Rüge sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsache, das Tatverhalten des Angeklagten habe eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge gehabt.

Als Aktenmaterial steht für diese wahrspruchgegenständliche Annahme ausschließlich das Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen zur Verfügung (ON 119/S 115 ff). Der Sachverständige hat seine Überzeugung von einer Kausalität des Täterverhaltens für die beim Opfer diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung - wie die Tatsachenrüge zu Recht moniert - allerdings auf die Prämisse erwiesener Täterschaft in Betreff des von der Anklage umfassten sexuellen Missbrauchs gestützt. Ob körperliche Gewalt des Angeklagten - wie sie die Eventualfrage zwar nach Dauer und Intensität nicht näher beschreibt, jedoch von der sexuellen Komponente isoliert bezeichnet - bei Ingrid V***** gleichfalls eine posttraumatische Belastungsstörung zur Folge gehabt hätte, ist dem Gutachten nicht zu entnehmen (vgl insbes ON 119/S 121: „Im gegenständlichen Fall war eindeutig der Auslöser und der springende Punkt dieser sexuelle Missbrauch und diese körperliche Gewaltausübung."). Solcherart muss das Wahrspruchsubstrat, wonach allein körperliche Gewalt die als schwere Körperverletzung qualifizierte Belastungsstörung zur Folge hatte, erheblichen Bedenken begegnen.

Bereits das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes hat die - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur erfolgte - Urteilsaufhebung zur Folge (§§ 285e, 344 StPO).

Zu einer Sonderung des Wahrspruchs gemäß § 349 Abs 2 StPO sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst (vgl zur Teilrechtskraft: Ratz, WK-StPO § 289 Rz 3 ff), weil angesichts der unscharfen Formulierung der Eventualfrage, ob der Angeklagte das Versetzen von Schlägen mit der Hand zu verantworten habe, im Verhältnis zur - auf dieselbe Tat in anderer Modalität gerichteten (vgl § 314 Abs 1 StPO:

„Sind in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden ... wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, ...) - Hauptfrage unklar bleibt, welche Sachverhaltsaspekte der Hauptfrage die Geschworenen durch deren Verneinung konkret abgelehnt und ob sie in Betreff von Gewaltausübung ein von der Hauptfrage abweichendes (für die Beurteilung tatkausaler schwerer Folgen relevantes) Tatgeschehen durch Bejahen der Eventualfrage als erwiesen angenommen haben.

Die gänzliche Aufhebung des Wahrspruchs ermöglicht den Geschworenen im neuen Rechtsgang die gebotene Gesamtbeurteilung des Anklagesachverhalts, wobei diese - angesichts ausschließlich zugunsten des Angeklagten erhobener Rechtsmittel - das Verschlechterungsverbot zu beachten haben werden (vgl RIS-Justiz RS0098900; Ratz, WK-StPO § 293 Rz 22 mwN; § 16 StPO). Das bedeutet, dass im zweiten Rechtsgang etwa im Fall eines Schuldspruchs wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB nach Bejahen der anklagekonform gestellten Hauptfrage über den Angeklagten keine strengere Sanktion (vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 35) verhängt werden darf. Zufolge Aufhebung des Urteils und des dem zugrunde liegenden Wahrspruchs erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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