OGH 13Os101/08i

OGH13Os101/08i27.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer in der Strafsache gegen Gia K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 und Z 2, 130 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 31. Jänner 2008, GZ 23 Hv 11/08p-22, und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der begangenen Diebstähle nach § 130 vierter Fall StGB sowie im Strafausspruch, weiters der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde sowie der Angeklagte werden auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Übrigen - ebenso wie die gegen den Ausspruch über die Schuld ergriffene Berufung - zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die die Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden Urteil wurde Gia K***** des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 und Z 2, 130 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederholte Begehung von Diebstählen (auch) durch Einbruch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, anderen fremde bewegliche Sachen weggenommen, und zwar

1. zwischen 23. und 24. Juli 2007 in R***** Gewahrsamsträgern der A***** vier Laptops und ein Mobiltelefon unbekannten Wertes und

2. zwischen 3. und 4. August 2007 in W***** Gewahrsamsträgern der Gemeinde W***** rund 800 Euro Bargeld durch Aufdrücken zweier gekippter Fenster sowie durch Einsteigen in das Gebäude und Aufbrechen einer Registrierkassa.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 1a, 4, 5, 9 lit b und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Zutreffend reklamiert die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) die Berücksichtigung eines noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs sowie die Tatsache der Anklageerhebung in Betreff weiterer dem Beschwerdeführer vorgeworfener Taten zur Begründung einer auf wiederkehrende Begehung zu fortlaufender Einnahmeerzielung gerichteten Absicht als Verstoß gegen die aus Art 6 Abs 2 MRK erhellende Unschuldsvermutung. Der die Beurteilung der Beweismittel zur Frage gewerbsmäßiger Begehung abschließende Satz: „In diesem Zusammenhang ist auf die nicht rechtskräftige Entscheidung 17 Hv 41/07d zu verweisen, außerdem auf die ausgeschiedenen Fakten." zeigt tatsächlich auf, dass das Schöffengericht ohne gesetzlichen Nachweis auch insoweit von der Schuld des Angeklagten ausgegangen, zu seinem Nachteil mithin eine grundrechtswidrige Schuldvermutung in Anschlag gebracht hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass diese Vermutung die Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst hat, sodass das Urteil im betroffenen Teil unter einer zutreffend geltend gemachten Nichtigkeit aus Z 5 vierter Fall leidet, was zur Aufhebung des Urteils im Umfang der Subsumtion der Taten auch nach § 130 vierter Fall StGB und demzufolge im Strafausspruch samt davon abhängigem, nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO gefasstem - von der Staatsanwaltschaft angefochtenen - Beschluss führt (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO).

Das auf § 281 Abs 1 Z 1a StPO gestützte Beschwerdevorbringen räumt selbst ein, dass der Angeklagte während der gesamten Hauptverhandlung durch einen - nach § 61 Abs 3 StPO bestellten (ON 17) - Verteidiger vertreten war, worauf der in Anspruch genommene Nichtigkeitsgrund nach seinem klaren Wortlaut alleine abstellt. Dem Rechtsmittelstandpunkt zuwider ist eine (hier: angeblich mangels Kooperationsbereitschaft des Angeklagten) nicht gelungene „gehörige" Vorbereitung des Verteidigers auf die Hauptverhandlung einer unter Nichtigkeitssanktion stehenden fehlenden Verteidigung nicht gleichzusetzen und damit einer Anfechtung aus Z 1a entzogen. Abgesehen davon, dass die Auswahl der Person des zu bestellenden Verteidigers nicht dem Gericht, sondern dem Ausschuss der nach seinem Sitz zuständigen Rechtsanwaltskammer obliegt, der den Wünschen des Beschuldigten zur Auswahl der Person dieses Verteidigers im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt „nach Möglichkeit zu entsprechen" hat (§ 62 Abs 1 StPO), kann Nichtigkeit aus Z 1a auch nicht darauf gegründet werden, dass der Angeklagte die Person des Verteidigers „nicht akzeptiert" und weder in der Hauptverhandlung noch im Zuge der Vorbereitung bereit war, dessen Fragen zu beantworten, weil „dessen Bestellung gegen seinen Willen erfolgt ist". Auf ein Vertrauensverhältnis zum Angeklagten kommt es ebenso wenig an. Dass Gia K***** „auf einen Verteidiger verzichtet" hätte, ist dem Protokoll über die Hauptverhandlung gar nicht zu entnehmen, ein solcher Verzicht wäre aber auch unwirksam (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 146 ff, 163; RIS-Justiz RS0099261, RS0099304, RS0098070).

Der auf der selben Basis argumentierenden Verfahrensrüge (Z 4) genügt es zu erwidern, dass sie sich nicht - wie für eine erfolgreiche Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlich - auf einen in der Hauptverhandlung gestellten begründeten Antrag (auf Vertagung der Hauptverhandlung zwecks deren besserer Vorbereitung oder Ersuchen an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer zur Bestellung eines anderen Verteidigers) bezieht. Dass der Angeklagte „in der Hauptverhandlung des Öfteren deponiert" hat, dass er den bestellten Verfahrenshelfer ablehne und „sich Dr. Rolph P*****, welcher ihn bereits in vorherigen Verfahren vertreten hat, als Verfahrenshelfer wünscht", weil er „lediglich zu diesem ... offenbar Vertrauen" hat (S 383), genügte als bloßer Protest gegen die Person des bestellten Verteidigers nicht. Dass dem Angeklagten durch einen „offenkundigen Mangel" der Verteidigung (also durch falsches oder fehlerhaftes Verhalten des Verteidigers, das eine konkrete und wirksame Verteidigung, wie sie mit Blick auf Art 6 Abs 3 lit c MRK erforderlich wäre, nicht mehr gewährleistet) konkrete Nachteile entstanden wären (vgl das Erkenntnis des EGMR vom 10. Oktober 2002, Czekalla gegen Portugal, Nr 38830/97; NL 2002, 209), wurde im Übrigen gar nicht behauptet.

Das undifferenzierte Beschwerdevorbringen, „die Entscheidung des Erstgerichts" sei offenbar unzureichend begründet, richtet sich inhaltlich bloß gegen die Annahmen zur inneren Tatseite (Z 5 vierter Fall), insbesonders zur gewerbsmäßigen Tatbegehung, übergeht dabei aber die Bezugnahme auf die zum Schuldspruch 2. umfassend geständige Einlassung des Beschwerdeführers (US 8 iVm S 382) sowie die insoweit zentralen - wenn auch teils im Rahmen der Feststellungen getroffenen, teils in der rechtlichen Beurteilung nachgetragenen - Erwägungen der Tatrichter. Diese leiteten die Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit (und damit auch zu Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz) nämlich aus der zusammenhängenden Betrachtung der abgeurteilten Taten mit der prekären finanziellen Lage des Angeklagten (US 8), dessen Versuch, durch Stellung zweier Asylanträge und Verwendung verschiedener Namen seinen Aufenthalt in Österreich zu verlängern (US 6) und dessen mehrfachen - ebenfalls (ua) wegen gewerbsmäßigen Diebstahls und wegen gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls erfolgten - Vorverurteilungen ab (US 9 f iVm US 4 f), was aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist.

Indem der Beschwerdeführer einwendet, er habe in Österreich aus Furcht vor einer Abschiebung in seine Heimat und nicht mit dem Ziel, Einbruchsdiebstähle zu begehen, um Asyl angesucht, unterlässt er die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394) und bekämpft nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts in Bezug auf ein Urteilsargument.

Die als übergangen reklamierte Passage der Aussage des Rechtsmittelwerbers im Ermittlungsverfahren, wonach er mit beim Einbruchsdiebstahl vom 3. August 2007 erbeutetem Geld seine kranke Mutter in Russland unterstützen, maW die zunächst in seinem Vermögen eingetretene Bereicherung von vorneherein für jemand anderen verwenden wollte, steht - dem weiteren Einwand der Mängelrüge zuwider - der Annahme fortgesetzter gleichartiger Delinquenz mit dem Ziel, sich selbst eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nicht entgegen (Jerabek in WK² § 70 Rz 15) und war daher iSd Z 5 zweiter Fall nicht erörterungsbedürftig.

Soweit das Beschwerdevorbringen „insbesondere hinsichtlich der inneren Tatseite enthalten die Gründe des Erstgerichts lediglich die gebetsmühlenartige Wiederholung der verba legalia ..." als Rechts- (Z 9 lit a) oder Subsumtionsrüge (Z 10) verstanden werden mag, wird verkannt, dass dadurch nur bei - hier nicht gegebenem (US 7 f) - Fehlen eines Sachverhaltsbezugs ein Rechtsfehler mangels Feststellungen begründet wird (RIS-Justiz RS0119090; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8).

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Fehlende Feststellungen in Betreff eines sog Ausnahmesatzes sind als Feststellungsmangel geltend zu machen. Dem das Fehlen solcher Feststellungen reklamierenden Beschwerdeführer obliegt es dabei, auf ein ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (vgl § 258 Abs 1 StPO), solche Konstatierungen indizierendes Sachverhaltsubstrat hinzuweisen, um so klarzustellen, dass das Gericht einer - erst unter dieser Voraussetzung bestehenden - rechtlichen Verpflichtung nicht nachgekommen ist. Diese Verpflichtung entfällt nur - im hier nicht vorliegenden - Fall, dass fehlende Feststellungen die rechtliche Annahme der Beseitigung eines in tatsächlicher Hinsicht konstatierten Ausnahmesatzes unschlüssig machen, weil dann das Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes iwS stets als indiziert anzusehen ist, während es umgekehrt unsinnig wäre, die Gerichte zu verhalten, stets zu allen denkbaren Strafausschließungsgründen iwS negative Feststellungen zu treffen (zur Abgrenzung von Feststellungsmängeln und Rechtsfehlern infolge fehlender Feststellungen vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 598 ff; RIS-Justiz RS0119884, RS0118580; 14 Os 28/05g, EvBl 2005/170, 809; zust Fabrizy StPO9 § 281 Rz 55).

Den eben aufgezeigten Kriterien wird die Rechtsrüge (Z 9 lit b) nicht gerecht, indem sie das Vorliegen des Verfolgungshindernisses des § 263 StPO daraus abzuleiten versucht, dass dem Schuldspruch zugrunde liegende Taten noch vor Urteilsfällung im Verfahren AZ 23 Hv 272/07v (damals noch nicht rechtskräftig) angeklagt, dem zugleich gestellten Antrag auf Einbeziehung in dieses Verfahren nicht entsprochen und solcherart ein aus § 263 Abs 2 StPO resultierendes Verfolgungshindernis entstanden sei. Warum ein solches Geschehen § 263 StPO, dessen Wortlaut gerade nicht auf eine in einem getrennt geführten Verfahren erhobene Anklage abstellt, hier anwendbar sein sollte, erklärt die Beschwerde jedoch nicht.

Dass sich der Angeklagte nach Ansicht der Tatrichter durch die - für die Annahme der Qualifikation nach § 130 vierter Fall StGB ausreichende (vgl dazu Kirchbacher/Presslauer in WK² § 148 Rz 6) - wiederholte Begehung auch von Einbruchsdiebstählen für längere Zeit eine fortlaufende Einnahmequelle erschließen wollte, brachten diese deutlich genug zum Ausdruck (US 7 f). Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) diese Konstatierungen ignoriert und unsubstantiiert behauptet, aufgrund der Feststellungen könne „jedenfalls nicht von Gewerbsmäßigkeit ausgegangen werden", verfehlt sie den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt. Inwiefern die exakte Bezifferung des von den Tatrichtern als geringfügig bewerteten Einkommens des Beschwerdeführers zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wäre, macht sie nicht deutlich.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher im dargelegten Umfang gemäß § 285d Abs 1 StPO - ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Schuldberufung (S 386; vgl § 283 Abs 1 StPO) - schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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