OGH 7Ob51/08p

OGH7Ob51/08p9.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Christian Boyer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** Sachversicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Johannes Klezl‑Norberg, Rechtsanwalt in Hinterbrühl, wegen 11.200 EUR, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. November 2007, GZ 4 R 111/07h‑12, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. März 2007, GZ 16 Cg 167/06t‑8, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Folgender Sachverhalt steht fest:

Der Kläger hat bei der Beklagten eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen, der die „Klipp und Klar‑Bedingungen, Unternehmer & Erfolgreich, Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige und Selbständige, Fassung 02/2001" (in Hinkunft: ABFT 2001) der Beklagten zugrunde liegen. Diese lauten unter anderem:

Pflichten des Versicherungsnehmers

Artikel 11

Was ist vor Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

[...]

Artikel 12

Was ist nach Eintritt des Versicherungsfalles zu tun?

Als Obliegenheiten, deren Verletzung und seine Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

[...]

5. Wir können verlangen, dass sich der Versicherte oder die dem Betrieb verantwortliche leitende Person durch die von uns bezeichneten Ärzte untersuchen lässt.

6. Der Versicherungsnehmer hat, soweit es ihm billigerweise zugemutet werden kann, unserem Beauftragten und Sachverständigen jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang unserer Verpflichtung zur Leistung zu gestatten, jede dazu dienliche Auskunft auf Verlangen auch schriftlich zu erteilen und Belege beizubringen. Er hat zu diesem Zweck die ordnungsgemäßen Bücher und Aufzeichnungen gemäß Artikel 11 (Was ist vor Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten) zur Verfügung zu stellen."

Aufgrund der mit der Beklagten abgeschlossenen Betriebsunterbrechungsversicherung machte der Kläger gegenüber der Beklagten (neuerlich) einen Versicherungsfall geltend. Die beklagte Partei leistete daraufhin unpräjudiziell eine Akontozahlung von 2.800 EUR und beauftragte ihren Vertrauenssachverständigen Dr. K***** mit der Begutachtung des Klägers in neurologisch‑psychiatrischer Hinsicht zur Klärung der Leistungsverpflichtung der Beklagten aus medizinischen Gründen. Dies wurde auch dem Kläger mitgeteilt. Der Kläger war der Ansicht, mit Dr. K***** schon negative Erfahrungen gemacht zu haben und erachtete diesen für befangen: Der Sachverständige hatte dem Kläger bei der Untersuchung anlässlich eines vorherigen Versicherungsfalls mitgeteilt, die Untersuchungsergebnisse seien für den Kläger „positiv" verlaufen und würden seinen Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht behindern. Im schriftlichen, gegenüber der Beklagten abgegebenen, Gutachten kam er jedoch zum gegenteiligen Ergebnis. Der Kläger beschritt daraufhin den Klagsweg. Der in jenem Verfahren beigezogene Gerichtssachverständige hat das Gutachten Dris. K*****s im Wesentlichen widerlegt. Der Kläger war daher nicht bereit, nochmals zur Klärung von Versicherungsfällen die Untersuchung durch Dr. K***** zu akzeptieren.

Deshalb rief er eine Referentin der Beklagten an, teilte ihr diese Umstände mit und ersuchte, die Beklagte möge einen anderen Sachverständigen namhaft machen. Die Referentin erklärte, bei ihrem Vorgesetzten Rücksprache halten zu müssen, was sie auch tat. Bei der Beklagten entschied man sich jedoch, auf der Befundung durch Dr. K***** zu bestehen, wovon der Kläger verständigt wurde. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger von der Referentin oder von anderen Mitarbeitern der Beklagten ausdrücklich zugesagt wurde, dass ein anderer Sachverständiger bestellt werde.

Der Kläger erschien in der Folge bei Dr. K***** trotz Vorladung zu mehreren Terminen nicht. Die Beklagte lehnte daher die Versicherungsleistung unter Bezugnahme auf eine Obliegenheitsverletzung ab.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bezahlung von 11.200 EUR aus der Betriebsunterbrechungsversicherung mit folgender zusammengefasster Begründung: Der Tagessatz habe 200 EUR betragen, sodass sich für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 21. 9. 2004 bis 30. 11. 2004 (siebzig Tage) ein Betrag von 14.000 EUR errechne. Die Beklagte habe darauf 2.800 EUR akontiert, sodass der Klagsbetrag verbleibe. Eine Referentin der Beklagten habe dem Kläger aufgrund der ihr gegenüber mündlich geäußerten Ablehnung zugesagt, einen anderen Sachverständigen zu bestellen. Dabei habe der Kläger die Befangenheitsgründe bekannt gegeben, die darin gelegen seien, dass Dr. K***** keine objektiven Gutachten erstatte. Aufgrund der früheren Untersuchung des Klägers durch Dr. K***** wäre wegen des identen medizinischen Sachverhalts mit dem vorliegenden Versicherungsfall eine weitere Untersuchung durch den Sachverständigen ohnehin nicht notwendig gewesen, weil die Meinung Dris. K*****s über den krankhaften Zustand des Klägers aus der ersten Untersuchung bekannt gewesen sei. All das habe die Beklagte dazu bewogen, einen anderen Sachverständigen in Aussicht zu stellen. Einige Wochen später habe die Beklagte jedoch dem Kläger bekannt gegeben, er müsse weiterhin zum selben Sachverständigen wie ursprünglich gehen. Da eine objektive Äußerung des abgelehnten Sachverständigen Dr. K*****s nicht zu erwarten gewesen sei, habe der Kläger dessen Ladung nicht Folge geleistet. Die Unrichtigkeit des vorhergehenden Gutachtens sei im Prozess zum ersten Versicherungsfall vom Gerichtssachverständigen bestätigt worden. Der Standpunkt der Beklagten, in Kenntnis der vom Kläger behaupteten Umstände auf den Sachverständigen Dr. K***** zu bestehen und daraus eine Obliegenheitsverletzung abzuleiten, sei sittenwidrig. Es verstoße auch gegen Treu und Glauben, wenn sich die Beklagte nunmehr auf die Obliegenheitsverletzung berufe, obwohl dem Kläger zugesagt worden sei, dass man sich um einen anderen Sachverständigen bemühen werde. Der Kläger sei über die Bedeutung dieser Obliegenheitsverletzung nicht informiert worden, obwohl die Beklagte wegen seiner Konsumenteneigenschaft dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Hinweis im Schreiben der Beklagten vom 13. 12. 2004, dass erst nach Erstellung des Gutachtens über die Leistungsansprüche entschieden werden könne, sei für den Kläger so zu verstehen gewesen, dass er seine Leistungsansprüche erneut einklagen müsse. Die unterbliebene Untersuchung durch Dr. K***** sei ohne Einfluss auf die Beurteilung des Leistungsfalls, weil die Beurteilung durch einen Sachverständigen jederzeit, auch nunmehr im Gerichtsverfahren, erfolgen könne.

Mit der Beklagten sei eine Karenzfrist von sieben Tagen vereinbart worden „und bei Spitalsaufenthalt werden sieben Tage abgezogen, sodass sofort die Ansprüche des Klägers gebühren".

Die Beklagte bestritt und wendete im Wesentlichen ein, der Kläger habe die Beklagte über eine krankheitsbedingte Betriebsunterbrechung vom 21. 9. 2004 bis 30. 11. 2004 informiert, worauf sie eine unpräjudizielle Akontozahlung von 2.800 EUR geleistet, dem Kläger gleichzeitig aber mitgeteilt habe, zur Überprüfung des Leistungsanspruchs sei die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens Dris. K*****s nötig. Der Kläger habe daraufhin die Ablehnung Dris. K*****s ohne jegliche Substantiierung mitgeteilt, weshalb die Beklagte den Kläger auf die Notwendigkeit der Untersuchung und darauf hingewiesen habe, dass ohne eine solche eine Entscheidung über eine Versicherungsleistung unmöglich sei. Nach Information durch Dr. K*****, dass der Kläger zwei Mal zu Untersuchungsterminen unentschuldigt nicht erschienen sei, sei der Kläger letztmalig aufgefordert worden, sich mit Dr. K***** in Verbindung zu setzen.

In Art 12.5. und 12.6. ABFT 2001 seien Obliegenheiten des Versicherungsnehmers normiert, deren Verletzung die Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG bewirke. Die Untersuchung des Klägers durch den Facharzt sei für die Feststellung des Grunds und der Höhe einer allfälligen Leistungspflicht der Beklagten bedeutsam gewesen. Dennoch habe sich der Kläger ohne erkennbaren und erklärten Grund der Untersuchung entzogen und damit die Mitwirkung an der Feststellung des Versicherungsfalls zumindest mit Eventualvorsatz verweigert, was die Leistungsfreiheit der Beklagten zur Folge habe. Der Kläger habe jedenfalls grob fahrlässig gehandelt, und die Verweigerung der Untersuchung habe jedenfalls Einfluss auf die Feststellung des Vorliegens und des Umfangs einer Leistungspflicht der Beklagten gehabt, weshalb sie auch aus diesem Grund leistungsfrei sei. Sie habe daher eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag zu Recht abgelehnt.

Aufgrund der Angaben des Klägers im Vorprozess bestünden zudem erhebliche Zweifel, ob der Kläger tatsächlich jemals selbständig tätig gewesen sei. Eine Unterbrechung des versicherten Betriebs sei gar nicht eingetreten. Selbst im Fall einer Betriebsunterbrechung und einer 100 %igen Arbeitsunfähigkeit des Klägers wäre die vereinbarte leistungsfreie Zeit (Karenzzeit) der Beklagten von sieben Tagen in Abzug zu bringen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und folgerte rechtlich, dem Kläger sei eine Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, die zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.

Der Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht Folge und hob das angefochtene Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sei an der Zulässigkeit der versicherungsvertraglichen Vereinbarung, der Kläger müsse sich im Versicherungsfall einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, nicht zu zweifeln. Dem Kläger stehe ein Ablehnungsrecht nicht zu, weil ein solches nur in konkreten Ausnahmefällen, etwa bei persönlichem Fehlverhalten des Arztes anlässlich früherer Untersuchungen in Betracht komme, nicht aber schon deshalb, weil der Versicherungsnehmer mit dem Beurteilungsergebnis nicht einverstanden oder weil der ausgesuchte Arzt versicherungsfreundlich sei. Ein persönliches Fehlverhalten des Sachverständigen Dr. K*****s sei nicht ersichtlich, weil seine mündliche Äußerung anlässlich der Untersuchung des Klägers keine Unparteilichkeit begründe, auch wenn das in der Folge erstattete schriftliche Gutachten zu einem anderen Ergebnis gekommen sei. Anhaltspunkte dafür, Dr. K***** werde trotz der Widerlegung seines Gutachtens im Vorverfahren auf seinem zuvor eingenommenen Standpunkt beharren, seien nicht vorgebracht worden. Dem Kläger falle eine vorsätzliche, zumindest aber grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung zur Last, da ihm bekannt gewesen sei, dass die Beklagte seinen Standpunkt ablehne. Gegen Treu und Glauben habe die Beklagte nicht verstoßen, weil eine Pflicht des Versicherers, die Ablehnungsgründe anzuführen, nicht bestehe. Für einen Täuschungs- oder Verschleierungsvorsatz biete die Sachlage keinen Anhaltspunkt, weshalb dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis offen gestanden sei, den er erkennbar dadurch angetreten sei, indem er dargelegt habe, die fehlende Untersuchung habe keinen Einfluss, weil sie durch Sachverständige im Gerichtsverfahren nachgeholt werden könne. Dazu fehle es aber an Feststellungen im Ersturteil, sodass dieses aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen gewesen sei. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil Judikatur zur Verletzung der Obliegenheit der Untersuchungspflicht nach den ABFT fehle.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.

Dem trat der Kläger in seiner Rekursbeantwortung entgegen.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Rekurs ist zulässig, weil beide Vorinstanzen den hier wesentlichen Inhalt der anzuwendenden Versicherungsbedingungen nicht beachtet haben, weshalb der Oberste Gerichtshof, der bei der Behandlung eines Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO die Rechtsansicht der zweiten Instanz in jeder Hinsicht zu überprüfen hat, zur Wahrung der Rechtssicherheit durch Korrektur verpflichtet ist.

2.1. Der Rekurs ist aber - im Ergebnis - nicht berechtigt. Unbeachtet blieb bisher die die Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht des klagenden Versicherungsnehmers nach Art 12.5. und Art 12.6. ABFT 2001 einschränkende Formulierung „soweit es ihm billigerweise zugemutet werden kann" in Art 12.6. ABFT 2001.

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB), orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers auszulegen (RIS‑Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie - wie hier mangels anderer Behauptungen anzunehmen ist - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut zu interpretieren (RIS‑Justiz RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen. Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, also des Versicherers, gehen.

2.3. Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die beiden genannten Punkte 5. und 6. des Art 12 ABFT 2001 nicht jeweils für sich isoliert, sondern im Kontext zu lesen. Diese Sichtweise entspricht ohnehin jener der Beklagten, die sich im Einspruch zur Begründung der von ihr behaupteten Verletzung der Obliegenheit des Klägers zur Mitwirkung an der Feststellung des Versicherungsfalls auf beide Bestimmungen beruft. Beide Punkte sehen nach Eintritt des Versicherungsfalls die Verpflichtung zur Gestattung von Untersuchungen vor; sie unterscheiden sich - abgesehen vom Hinweis auf die Zumutbarkeit der Untersuchung - ohnehin im Wesentlichen nur durch den Adressaten (Versicherter oder die den Betrieb verantwortlich leitende Person/Versicherungsnehmer), durch den für die Beklagte Untersuchenden (Arzt/Beauftragter und Sachverständiger) und schließlich dadurch, dass nur Art 12.6. erster Satz ABFT 2001 auch den Gegenstand und Zweck der zu duldenden Untersuchung nennt (Ursache und Höhe des Schadens sowie Umfang der Leistungsverpflichtung der Beklagten) enthält.

Art 12.6. erster Satz ABFT 2001 bildet für den Versicherungsnehmer betreffend den auftrags der Beklagten Untersuchenden die allgemein gefasste Bestimmung, weil ein Arzt auch zu den Beauftragten und/oder Sachverständigen der Beklagten zu zählen ist; ihr Inhalt ist aber enger gewählt, weil sowohl Gegenstand und Zweck der Untersuchung als auch eine Einschränkung der Duldungspflicht vorgesehen sind. Ungeachtet der nummerischen Vorreihung stellt sich Art 12.5. ABFT 2001 somit als Spezialbestimmung gegenüber dem folgenden Punkt dar, die (nur) ärztliche Untersuchungen auch für den Versicherten oder die den Betrieb verantwortlich leitende Person vorsieht. Für diese Untersuchungen gelten daher im Übrigen die Bestimmungen des Art 12.6. ABFT 2001, also auch die Einschränkung der Untersuchungspflicht auf billigerweise zumutbare Fälle. Die Nennung von Büchern und Aufzeichnungen im zweiten Satz des Art 12.6. ABFT 2001 ist als (weitere, nur) Buchhaltungsunterlagen betreffende Spezialbestimmung anzusehen, die an der dargestellten Auslegung des ersten Satzes nichts zu ändern vermag.

Die Beklagte bezeichnet den Kläger selbst als Versicherungsnehmer, sodass für ihn jedenfalls (auch) Art 12.6. ABFT 2001 gilt. Ihm war daher gegenüber dem Verlangen des Versicherers, sich durch einen von diesem bezeichneten Arzt untersuchen zu lassen, der Einwand eingeräumt, es sei ihm dies billigerweise nicht zumutbar. Da eine Reduzierung dieses Einwands auf ganz bestimmte Gründe, seien diese wirtschaftlicher, persönlicher oder gesundheitlicher Natur, nicht vorgenommen wird, ist die Zumutbarkeit für den Versicherungsnehmer in jede Richtung zu prüfen.

Wollte man Art 12.5. ABFT 2001 als selbständige, vom folgenden Artikel unabhängige Bestimmung ansehen, dann bliebe völlig unklar, wieso der Versicherte einer Aufforderung (nur) zur ärztlichen Untersuchung bedingungslos Folge leisten müsste, ein Versicherungsnehmer (der ja gleichzeitig auch Versicherter sein kann) dem Verlangen nach sämtlichen Untersuchungen jedoch nur nachkommen müsste, „soweit es ihm billigerweise zugemutet werden kann".

2.4. Der Kläger hat sich in seinem Vorbringen nicht (ausdrücklich) auf diese Klausel bezogen; bei sinnvoller und verständiger Würdigung seiner Argumentation ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass er der Meinung ist, der gegenüber Dr. K*****s erhobene - und erwiesene - Vorwurf, dieser habe seine mündliche positive Einschätzung der Untersuchungsergebnisse zum vorausgehenden Versicherungsfall im schriftlichen Gutachten an die Beklagte nicht aufrechterhalten und ein falsches Gutachten erstattet, befreie ihn von der Verpflichtung, sich (neuerlich) durch Dr. K***** über Verlangen der Beklagten gemäß Art 12.5. der ABFT 2001 untersuchen zu lassen. Er behauptete damit Tatsachen, die sein Nichterscheinen bei Dr. K***** rechtfertigen sollen. Damit macht er zumindest sinngemäß geltend, eine Erfüllung der Untersuchungsverpflichtung sei ihm aus den genannten Gründen nicht zumutbar gewesen, weil ein nicht objektives Gutachten und somit ein - aus der Sicht des Klägers - negatives Untersuchungsergebnis vorhersehbar gewesen sei. Schließlich braucht der Kläger eine rechtliche Qualifikation seines Vorbringens gar nicht vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0037447).

3. Es ist daher zu prüfen, ob dieser Einwand zu Recht erfolgte, wozu es einer Interessenabwägung bedarf. Auf Seiten des Versicherers steht das berechtigte Interesse an einer zuverlässigen Möglichkeit, selbst zu überprüfen, ob ein Versicherungsfall vorliegt, und gegebenenfalls, in welcher Höhe eine Leistungspflicht besteht, im Vordergrund. Dem gegenüber ist für den Versicherten zu bedenken, dass zwar die Ergebnisse einer solchen Untersuchung durch einen Sachverständigen nicht bindend sind (also den Klagsweg nicht abschneiden); dennoch wird durch die Erstattung eines Gutachtens ein wesentliches Kriterium für die Entscheidungsfindung des Versicherers geschaffen, das für dessen weiteres Verhalten und Vorgehen von maßgeblicher Bedeutung ist. Im Fall einer aus der Sicht des Versicherungsnehmers negativen Beurteilung steht er daher vor dem Problem, diese gegen seinen Standpunkt und gegen eine Leistungspflicht des Versicherers sprechende Expertise durch ein weiteres vorprozessual oder im Prozess, in der Regel zumindest vorläufig auf eigene Kosten einzuholendes Gutachten widerlegen zu müssen. Schon deshalb ist auch dem Versicherungsnehmer ein beachtliches Interesse an der Richtigkeit des Gutachtens des Vertrauensarztes des Versicherers und damit auch an der Objektivität des beigezogenen Sachverständigen einzuräumen. Gewichtige Ablehnungsgründe können daher unter Umständen den Einwand der Unzumutbarkeit rechtfertigen. Es kann nämlich unterstellt werden, dass einer (großen) Versicherungsgesellschaft nicht nur ein einziger sachverständiger Arzt ihres Vertrauens pro Fachgebiet zur Verfügung steht. Der Gefahr des Beweisverlusts könnte daher leicht durch (rasche) Nominierung eines anderen Arztes entgegengewirkt werden.

In diesem Sinn wird auch in der deutschen Lehre - obwohl die dort kommentierten Versicherungsbedingungen gar keine dem Art 12.6. erster Satz ABFT 2001 entsprechende Einschränkung der Untersuchungs- und Auskunftspflicht vorsehen - eine Ablehnung des vom Versicherer ausgewählten Arztes, allerdings nur in konkreten Ausnahmefällen, etwa bei persönlichem Fehlverhalten des Arztes anlässlich früherer Untersuchungen, anerkannt, nicht aber schon deswegen, weil der Versicherungsnehmer mit dem Beurteilungsergebnis nicht einverstanden ist (Tschersich in Beckmann/Matusche‑Beckmann, Versicherungshandbuch § 45 Rz 85).

4. Das den klägerischen Vorwurf der mangelnden Objektivität begründende Fehlverhalten des von der Beklagten ausgewählten Sachverständigen Dr. K*****s liegt darin, dass er - wie bindend feststeht - anlässlich einer früheren Untersuchung das Untersuchungsergebnis gegenüber dem Kläger zunächst mündlich positiv darstellte, das schriftliche Gutachten jedoch negativ abfasste. Das stellt ein Fehlverhalten dar, weil vom Sachverständigen zu verlangen ist, sich für den Fall, dass er sich seines Gutachtens nach der Befundaufnahme noch nicht sicher sein sollte, jeder Äußerung zu enthalten; wenn er sich daher zu einem mündlichen (positiven) Gutachten gegenüber dem Versicherten hinreißen lässt, so muss er dies in der späteren schriftlichen Ausfertigung aufrecht erhalten können. Ist dies nicht der Fall, lautet das schriftliche Gutachten also für den Versicherten (doch) negativ, sind Bedenken zumindest an der Objektivität und an der Vertrauenswürdigkeit des Sachverständigen nicht unangebracht. Dieses persönliche Fehlverhalten des Gutachters ist nicht mehr zu vernachlässigen.

5. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob es deshalb dem Kläger billigerweise nicht zumutbar war, sich durch den von der Beklagten zur Beurteilung ihrer Leistungsverpflichtung neuerlich nominierten Arzt ein weiteres Mal untersuchen zu lassen, ist aus folgenden Gründen entbehrlich: Angesichts des festgestellten Fehlverhaltens des Sachverständigen ist die Weigerung des Klägers im für ihn ungünstigsten Fall als bloß leicht fahrlässige Verletzung seiner Obliegenheit zur Mitwirkung anzusehen. Selbst wenn ihm nämlich ein Ablehnungsrecht im Sinn des Art 12.6. ABFT 2001 nicht zuzugestehen sein sollte, würde seine Weigerung, Dr. K***** neuerlich aufzusuchen, subjektiv weder den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit noch jener des Vorsatzes zulassen. Gelingt aber dem Versicherungsnehmer der Nachweis, dass die Obliegenheitsverletzung als eine unverschuldete anzusehen ist (§ 6 Abs 1 VersVG), oder dass sie von ihm nur mit einfacher oder leichter Fahrlässigkeit begangen wurde, hat die Obliegenheitsverletzung keine Einschränkung der Leistungspflicht des Versicherers zur Folge (7 Ob 216/04x; RIS‑Justiz RS0043728 [T4]). Die von der Beklagten geltend gemachte Obliegenheitsverletzung des Klägers führt daher unter den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten. Auf die Prüfung des Kausalitätsgegenbeweises kommt es daher gar nicht mehr an.

6. Der erstmals in der Revision erhobene Einwand der mangelnden Fälligkeit des Klagsanspruchs übersieht die Feststellung, wonach die Beklagte unter Bezugnahme auf eine Obliegenheitsverletzung eine Versicherungsleistung ablehnte. Deren Fälligkeit tritt aber jedenfalls ein, sobald der Versicherer die Leistung ablehnt (RIS‑Justiz RS0114507 [T4]).

7. Die Einwendungen der Beklagten beschränkten sich aber nicht nur auf jene der Obliegenheitsverletzung.

Sie machte auch geltend, eine tatsächliche Unterbrechung des versicherten Betriebs sei nicht vorgelegen, sowie weiters, es bestünden erhebliche Zweifel, ob der Kläger tatsächlich je selbständig tätig gewesen sei und damit einen unter dem Gesichtspunkt der Betriebsunterbrechungsversicherung versicherbaren Betrieb geführt habe. Letzteres Vorbringen ist ergänzungsbedürftig, weil von der Beklagten nicht ausreichend klar zum Ausdruck gebracht wurde, ob sie die selbständige Tätigkeit des Klägers im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich bestreitet oder nicht.

Zum weiteren Einwand der Beklagten, selbst im Fall einer Betriebsunterbrechung und einer 100 %igen Arbeitsunfähigkeit des Klägers wäre die vereinbarte leistungsfreie Zeit (Karenzzeit) der Beklagten von sieben Tagen in Abzug zu bringen, replizierte der Kläger: Mit der Beklagten sei eine Karenzfrist von sieben Tagen vereinbart worden „und bei Spitalsaufenthalt werden sieben Tage abgezogen, sodass sofort die Ansprüche des Klägers gebühren". Auch dieses unverständliche Vorbringen bedarf einer Erörterung durch das Erstgericht.

8. Da es der dargestellten Ergänzung des erstgerichtlichen Verfahrens bedarf, erweist sich der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Ergebnis als berechtigt, weshalb dem Rekurs der Beklagten kein Erfolg zukommen kann.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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