OGH 2Ob101/08d

OGH2Ob101/08d26.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Dr. Valerie S*****, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei DI Vadim S*****, vertreten durch Dr. Daniel Charim und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO, über den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 20. Februar 2008, GZ 23 R 34/08k-13, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Tulln vom 27. Dezember 2007, GZ 1 C 241/07a-8, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 445,82 EUR (darin 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Ehegatten. Mit einstweiliger Verfügung des Erstgerichts vom 4. 12. 2006, 1 C 228/06p-5, wurde dem Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) die Rückkehr in das Haus und auf das Grundstück in *****, und die unmittelbare Umgebung verboten; ausgenommen zu unternehmerischen Zwecken an jedem Montag, Mittwoch und Freitag in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr und beschränkt auf Diele, Wintergarten, WC und Küche (letztere allerdings wiederum eingeschränkt auf die Zubereitung von Kaffee und das Holen von Getränken) sowie ausgenommen die zum Betreten dieser Büroräumlichkeiten notwendigen Zugangswege von der Straße her, durch Haupteingang und Windfang. Dem Antragsgegner wurde weiter aufgetragen, das Zusammentreffen bzw die Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin und gefährdeten Partei (in der Folge: Antragstellerin) zu vermeiden, ausgenommen zu unternehmerischen Zwecken in schriftlicher (auch E-Mail und sonstiger Form) oder telefonischer Form. Die einstweilige Verfügung wurde für drei Monate erlassen.

Mit Beschluss vom 26. 9. 2007 sprach der Oberste Gerichtshof über entsprechenden Antrag der Antragstellerin aus, die genannte einstweilige Verfügung gelte bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien anhängigen Scheidungsverfahrens (7 Ob 157/07z). Im vorliegenden Verfahren begehrte die Antragstellerin aufgrund der von ihr behaupteten Auseinandersetzungen am 23. 11. 2007 zwischen den Streitteilen auf der in der einstweiligen Verfügung genannten Liegenschaft die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach dem Antragsgegner die Rückkehr in das Haus und auf das genannte Grundstück und deren unmittelbare Umgebung auch an jedem Montag, Mittwoch und Freitag in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr verboten werde. Weiters möge es dem Antragsgegner aufgetragen werden, das Zusammentreffen bzw die Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin ausnahmslos zu vermeiden.

Der Antragsgegner bestritt, am 23. 11. 2007 gegen die Antragstellerin tätlich geworden zu sein.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung am 27. 12. 2007 im Sinne der Antragstellerin. Es hielt für bescheinigt, die einstweilige Verfügung vom 4. 12. 2006 habe sich mit ihren Ausnahmeregelungen expressis verbis nur auf den Antragsgegner bezogen und insbesondere keine diesem eingeräumte Befugnis enthalten, die Liegenschaft samt Ehewohnung mit einem gewillkürten Personenkreis aufzusuchen. Der Antragsgegner habe monatelang von den zu unternehmerischen Zwecken normierten Betretungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Die Ehewohnung könne daher nicht als unbedingt und zwingend unternehmensnotwendig angesehen werden. Am 23. 11. 2007 habe der Antragsgegner darauf beharrt, mit vier weiteren, namentlich genannten Männern eine Besprechung in dem ihm selbst für unternehmerische Zwecke zugänglichen Räumlichkeiten der Ehewohnung durchzuführen. Dass gerade diese für die Besprechung essentiell gewesen wären, entziehe sich der Feststellbarkeit. Das bestimmte Auftreten des Antragsgegners, der sich über den eindeutig und ausdrücklich erklärten Wunsch und Willen der Antragstellerin, dass nur er, nicht aber seine Begleiter die Ehewohnung betreten sollten bzw dürften, hinweggesetzt habe, habe zu einer Eskalierung der Situation und dazu geführt, dass der Antragsgegner von der Polizeiinspektion K***** noch am 23. 11. 2007 weggewiesen und ein Betretungsverbot gegen ihn erlassen worden sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob es beim auslösenden Vorfall auch zu Tätlichkeiten des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin gekommen sei. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, bei der Prüfung der Unzumutbarkeit gemäß § 382b EO sei im Sinne der Intention des Gewaltschutzgesetzes ein großzügiger Maßstab zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis anzulegen. Auch eine einmalige, der Art nach nicht völlig unbedeutende Entgleisung genüge. Zufolge des als bescheinigt festgestellten Sachverhalts seien die Verfügungsvoraussetzungen des § 382b Abs 1 EO erfüllt, weil sich im Vorfall vom 23. 11. 2007 die auch vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 157/07z bestätigte Brisanz der Situation bzw des Verhältnisses zwischen den Parteien manifestiert habe, der es abzuhüten gelte. Es komme nicht mehr darauf an, ob ein jedenfalls verpönter Verletzungserfolg eingetreten sei. Das vom Antragsgegner angerufene Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und billigte die für stichhältig erachtete Begründung des Erstgerichts.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil zur Frage der Ausweitung des Geltungsbereichs einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO in sachlicher Hinsicht sowie dazu, welche Bescheinigung für eine derartige Ausweitung erforderlich sei (bloßes Fortbestehen der Gefahrenlage oder Eintritt einer zusätzlichen neuen Gefährdungssituation) keine Rechtsprechung des Höchstgerichts vorliege. Dabei handle es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Abweisung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Antragstellerin beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO).

Die vom Rekursgericht aufgezeigte Rechtsfrage ist nicht erheblich, weil sie bereits an Hand der vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beantwortet werden kann:

Die Ausdehnung einer rechtskräftigen einstweiligen Verfügung ist der Exekutionsordnung fremd (10 Ob 172/98m). Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Gericht berechtigt ist, die durch eine rechtskräftige einstweilige Verfügung auferlegten Verbote und Beschränkungen aufgrund eines neuen Antrags der gefährdeten Partei mit neuer einstweiliger Verfügung auszuweiten bzw abzuändern, ist nach den allgemeinen Grundsätzen über die materielle Rechtskraft zu lösen. Der gleiche Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage bzw im neuen Antrag geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts ident mit jenem des Vorprozesses ist (RIS-Justiz RS0039347). Die Streitanhängigkeit ist - auch im Sicherungsverfahren - dort ausgeschlossen, wo die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise ist, also bei einem weiteren Anspruch zu dem im ersten Antrag vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen behauptet werden (RIS-Justiz RS0039347 [T12, T13]).

Im vorliegenden Fall ist dieser rechtserzeugende Sachverhalt mit dem der einstweiligen Verfügung vom 4. 12. 2006 zugrundeliegenden insofern nicht identisch, als es im vorliegenden Verfahren weiters am 23. 11. 2007 zu den dargestellten Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen gekommen ist, die zu einem am selben Tag gegen den Antragsgegner von der Polizei ausgesprochenen Betretungsverbot führten. Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache steht der nunmehr erlassenen einstweiligen Verfügung somit nicht entgegen.

Nach der vom Revisionsrekurswerber selbst zitierten Entscheidung 10 Ob 172/98m (RIS-Justiz RS0110376) ist ein konkretes Vorbringen und dessen Bescheinigung (nur) dafür notwendig, dass die Erlassung der angestrebten weiteren einstweiligen Verfügung zur vollen Erreichung des Sicherungszwecks erforderlich ist. Dabei handelt es sich um eine - weitere - Gefährdungsbescheinigung, wobei im vorliegenden Fall die dargestellte „Eskalierung" grundsätzlich ausreicht. Auch der Revisionsrekurswerber zeigt keine (weitere) erhebliche Rechtsfrage auf. Bei der erstgerichtlichen Ausführung, die verfahrensgegenständliche einstweilige Verfügung (vom 4. 12. 2006) beziehe sich mit ihren Ausnahmeregelungen expressis verbis nur auf den Antragsgegner und enthalte insbesondere keine dem Antragsgegner eingeräumte Befugnis, die Liegenschaft samt Ehewohnung mit einem gewillkürten Personenkreis aufzusuchen, handelt es sich um keine Tatsachenfeststellung, sondern um die (zutreffende) Wiedergabe des Akteninhalts des Vorakts. Die diesbezügliche Rüge des Revisionsrekurswerbers, das Rekursgericht habe zu Unrecht die Behandlung der diesbezüglichen Beweisrüge verweigert, geht somit ins Leere.

Ob der Antragsgegner im Rahmen der ihm in der ersten einstweiligen Verfügung gestatteten Zeiten auch weitere Personen (Geschäftspartner) mitnehmen durfte oder ob die Antragstellerin in Ausübung ihres Hausrechts diesen dritten Personen das Betreten des Hauses verbieten durfte, ist nicht entscheidungswesentlich, weil die Tatsache der Eskalation der Situation am 23. 11. 2007, die in einer polizeilichen Wegweisung endete, genügt, um (in vertretbarer Weise) die Notwendigkeit einer weitergehenden einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO zu bejahen. Im Übrigen stellt die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person den an sie gerichteten Auftrag zum Verlassen der Wohnung gemäß § 382b EO rechtfertigt, grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0110446 [T7]).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 393 Abs 2 EO, §§ 50, 41 ZPO. Die Antragstellerin hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Der Ansatz für die verzeichnete Bemessungsgrundlage beträgt 232,20 EUR.

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