OGH 12Os73/08i

OGH12Os73/08i19.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Piotr W***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 13. März 2008, GZ 15 Hv 63/07a-88, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Piotr W***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 3 SMG (A), ferner des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter und sechster Fall und Abs 3 SMG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er von Anfang 2004 bis 15. Mai 2007 in Straß im Straßertal und an anderen Orten in Niederösterreich vorschriftswidrig Suchtgift

A. in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge überschreitenden Menge anderen überlassen, indem er an nachgenannte Abnehmer insgesamt mehr als 18 kg Speed (zumindest 2.700 Gramm Amphetamin Reinsubstanz), 900 Gramm MDMA (zumindest 90 Gramm MDMA Reinsubstanz), mehr als 2.000 Stück LSD-Trips und flüssiges LSD (zumindest 0,256 Gramm LSD Reinsubstanz) sowie mehr als 400 Gramm Cannabiskraut (zumindest 8 Gramm Delta-9-THC Reinsubstanz) gewinnbringend verkaufte, und zwar

1) an den abgesondert verfolgten Markus L***** zumindest 10 kg Speed, 900 Gramm MDMA und flüssiges LSD für 2.000 Stück LSD-Trips,

2) an den abgesondert verfolgten Michael H***** zumindest 8 kg Speed, zumindest 2.000 Stück LSD-Trips und 400 Gramm Cannabiskraut und

3) an unbekannt gebliebene Abnehmer auf diversen Partys in nicht mehr feststellbaren Mengen Speed, Cannabiskraut und LSD-Trips;

B. in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge aus Deutschland und Tschechien aus- und nach Österreich eingeführt, indem er teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Markus L***** die unter

A genannten Suchtgiftmengen mit dem PKW in einem präparierten Feuerlöscher versteckt über die deutsch/tschechische und tschechisch/österreichische Grenze transportierte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.

In der Rechtsrüge (Z 9 lit b) zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, dass der gegen den Angeklagten erlassene europäische Haftbefehl (ON 43) darauf abstellte, dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig sei, ab Ende 2004 bis zuletzt mehrfach übergroße Mengen an Suchtgift, nämlich Speed, LSD und mehrfach große Mengen an MDMA aus Deutschland bzw Tschechien nach Österreich eingeführt zu haben. In Österreich soll er konkret an Michael H***** rund 7,4 kg Speed und ca 3.000 Stück LSD-Trips sowie an Markus L***** rund 20 kg Speed, mehrere tausend Stück LSD-Trips sowie 900 Gramm MDMA gewinnbringend verkauft haben. Markus L***** habe den Rechtsmittelwerber auch bei den Schmuggelfahrten begleitet.

Inhaltsgleich zu dieser im europäischen Haftbefehl beschriebenen Verdachtslage ordnete das Kammergericht Berlin die Auslieferung des Angeklagten an (ON 44, ON 63).

Der Rechtsmittelwerber zeigt nun zu Recht auf, dass die im Schuldspruch im Vergleich zu den der Auslieferung zugrunde liegenden Sachverhalten erfolgte Ausdehnung des Deliktszeitraums von Ende 2004 auf Anfang 2004, die den Schuldspruch A 2 betreffende Weitergabe von 8 kg Speed anstelle der im europäischen Haftbefehl genannten 7,6 kg dieser Substanz und die im europäischen Haftbefehl nicht verfolgte Weitergabe von 400 Gramm Cannabiskraut an Michael H***** sowie die gesamten vom Schuldspruch A 3 erfassten Sachverhalte dem Grundsatz der Spezialität des europäischen Haftbefehls nach § 31 Abs 1 EU-JZG widersprechen, zumal keine Verfahrensergebnisse vorliegen, wonach einer der im § 31 Abs 2 EU-JZG genannten Gründe für die Aufhebung des Spezialitätsgrundsatzes vorliegen könnte. Schon im Hinblick auf die nach den Urteilsausführungen nicht zuordenbaren Mengenverhältnisse betreffend den Schmuggel und das Inverkehrsetzen von Suchtgiftsubstanzen in der vom europäischen Haftbefehl umfassten (und daher auch nur in diesem Umfang inkriminierbaren) Tatzeit war der gesamte Schuldspruch aufzuheben (§ 285e StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird im Fall insoweit neuerlicher Verurteilung entsprechend den in der Subsumtionsrüge vorgebrachten Einwänden (Z 10) darauf zu achten sein, inwieweit bei den im Urteil genannten zweimaligen unter Beiziehung des abgesondert verfolgten Markus L***** durchgeführten Schmuggelfahrten an den über die Grenzen transportierten Suchtgiften ein Mitgewahrsam seitens dieses präsumtiven Komplizen bestand. Bejahendenfalls wäre dann die Übernahme des transportierten Suchtgifts in Österreich mangels Begründung eines eigenständigen Gewahrsams durch den am Schmuggel Beteiligten nicht zusätzlich noch als Überlassen im Sinn des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG zu qualifizieren (vgl Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 48; vgl auch 14 Os 123/07f). Bleibt anzumerken, dass der durch die SMG-Novelle 2007 neu eingeführte Tatbestand des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG im Wesentlichen eine selbstständige Qualifikation des Grundtatbestands nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG darstellt. Dieses quantitätsmäßig definierte Delikt ist erfüllt, sobald der Täter mehr als die Grenzmenge Suchtgift erzeugt, ein- oder ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft.

Der Unterschied zwischen § 28a Abs 1 SMG und der Vorgängerbestimmung des § 28 Abs 2 SMG aF liegt darin begründet, dass früher tatbildlich handelte, wer „ein Suchtgift in einer großen Menge (= § 28 Abs 6 SMG aF) in Verkehr setzte, während nunmehr das Tatbild erfüllt, wer „Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge" in Verkehr setzt. Die die Grenzmenge sachlich definierenden Bestimmungen des bisher in Kraft gewesenen § 28 Abs 6 SMG aF und des neu geschaffenen § 28b SMG sind - soweit hier von Interesse - inhaltlich ident (vgl Schroll, RZ 2008, 90).

Ein mit Additionsvorsatz erfolgtes mehrfaches Inverkehrsetzen kleinerer Suchtgiftquanten ab Überschreiten der Grenzmenge iSd § 28b SMG erfüllt - nach wie vor - den Tatbestand des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG.

Eine Differenzierung zwischen Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG, welche durch eine einzige Tathandlung begangen werden, und solchen, welche über einen von Anfang an bestehenden Additionsvorsatz durch sukzessive Tathandlungen erfüllt werden, sieht die auf eine „Straftat nach Abs 1" abstellende Qualifikationsregelung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht vor. Daher bezieht sich auch die Gewerbsmäßigkeitsqualifikation auf ein im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit verwirklichtes Verbrechen gemäß § 28a Abs 1 SMG (vgl Schroll, RZ 2008, 92).

Nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG muss ein Suchtgifthändler bezwecken, wiederholt mehr als eine Grenzmenge durch ein Verhalten im Sinn des § 28a Abs 1 SMG gewinnbringend in Verkehr zu setzen. Um bei einer sukzessiven Verbrechensverwirklichung gemäß § 28a Abs 1 SMG feststellen zu können, ob der Täter mit der Absicht auf deren wiederkehrende Begehung handelte, bedarf es - im Gegensatz zu den Ausführungen des Bundesministeriums für Justiz im Einführungserlass zur SMG-Novelle 2007 - weiterhin einer gedanklichen Abtrennung nach Verwirklichung einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG. Das versuchte oder vollendete und im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit durch sukzessives Inverkehrsetzen begangene Verbrechen gemäß § 28a Abs 1 SMG ist dabei als Ansatzpunkt heranzuziehen.

Verfolgt der Täter die Absicht, dieses durch fortlaufende Tathandlungen verwirklichte Delikt in der Weise zu wiederholen, dass er mittels eines vom Additionsvorsatz umfassten Kleinhandels mehrfach ein die Grenzmenge infolge Zusammenrechnung übersteigendes Suchtgiftquantum erzeugt, ein- oder ausführt, einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft, so handelt er - entgegen dem Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz - gewerbsmäßig nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG (vgl Schroll, RZ 2008, 92 sowie bereits 12 Os 48/08p).

Der Einwand des Einführungserlasses des Bundesministeriums für Justiz, die Tatobjektsbegrenzung des § 28a Abs 1 SMG, welche ein Übersteigen der Grenzmenge erfordert, stehe einer gedanklichen Abtrennung entgegen, überzeugt nicht: Jedes die Grenzmenge übersteigende Suchtgiftquantum genügt dem Erfordernis des § 28a Abs 1 SMG. Sobald der Täter mehr als die zweifache Grenzmenge an Suchtgift in Verkehr setzt, verwirklicht er ein weiteres Verbrechen nach § 28a Abs 1 SMG. Die weiterhin mögliche gedankliche Abtrennung erfolgt aber nicht - wie auf der Basis des SMG aF - nach Erreichen der Grenzmenge, sondern ab Überschreiten derselben.

Damit wird aber die bislang nach alter Rechtslage notwendige Berücksichtigung der sogenannten Restmenge nach gedanklicher Abtrennung einer (bisherigen) großen Menge (iSd § 28 Abs 6 SMG aF) hinfällig. Denn bis zum Überschreiten der nächsten Grenzmenge entspricht jedes über der Grenzmenge liegende Mehr an Suchtgift - ungeachtet des konkreten Ausmaßes der Überschreitung - der im § 28a Abs 1 SMG definierten Menge.

Sobald die Grenzmenge iSd § 28b SMG durch den sukzessiven Handel mit Suchtgift überschritten wurde, ändert auch ein bloß versuchtes Überlassen einer weiteren (geringen) Menge nichts am bereits erfüllten Tatbestand des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG. Dieses Verbrechen wird dann eben teilweise in der Erscheinungsform des Versuchs (§ 15 StGB) erfüllt.

Sobald der Täter mehr als das Fünfzehnfache der Grenzmenge iSd § 28b SMG in Verkehr setzt und damit über den im Qualifikationstatbestand zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Zusammenrechnung das Verbrechen nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG verwirklicht, entfällt eine weitere gedankliche Abtrennung von Suchtgiftquanten, weil bezüglich dieser Qualifikation keine gewerbsmäßige Begehung vorgesehen ist. Gleiches gilt nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG bei Überschreiten des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge (vgl Schroll, RZ 2008, 92). Ausgehend von diesen Grundsätzen erfolgte die vom Erstgericht vorgenommene Unterstellung der von den Schuldsprüchen A und B erfassten Straftaten - in Bezug auf nicht mehr relevante „Restmengen" - auch unter § 27 Abs 1 Z 1 fünfter, sechster und achter Fall sowie Abs 3 SMG zu Unrecht (neuerlich 12 Os 48/08p).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung stattzugeben, das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Mit seinen weiteren Einwänden sowie mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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