OGH 2Ob7/08f

OGH2Ob7/08f29.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael K*****, vertreten durch Dr. Johannes Krauss, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Arno K*****, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler Rechtsanwalt Gesellschaft m.b.H. in Leoben, wegen 23.500 EUR sA und Feststellung (5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2007, GZ 4 R 125/07w-51, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 31. Mai 2007, GZ 19 Cg 122/05s-43, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.000,98 EUR (darin 166,83 EUR USt enthalten) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger bezeichnet sich selbst als Profiradrennfahrer, der Beklagte war ein solcher bis 2002 und bestreitet seitdem Hobbyrennen. Beide Streitteile nahmen am 15. Juni 2005 am Finallauf des Radrennens „Prolog zur Alpentour Trophy" in Graz als Rennläufer teil. Nach den Regeln durfte am nächsten Tag der Sieger dieses „Prologes" das Führungstrikot, der Zweitplatzierte ein Punktetrikot tragen, die Übrigen gingen leer aus. Während des Rennens stürzte der Kläger, wodurch er sich diverse Verletzungen zuzog und ihm gehörige Sachen, insbesondere das Fahrrad, beschädigt wurden.

Der Kläger begehrte 23.500 EUR sA, davon 18.000 EUR Schmerzengeld,

5.500 EUR für Sachschäden, weiters die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden aus dem Vorfall. Der Kläger brachte vor, der Beklagte habe sein Fahrrad nach rechts gelenkt, um ihn, den Kläger, beim Überholen von seiner Spur abzudrängen. Dadurch sei er in das rechts befindliche Geländer gedrängt worden und zu Sturz gekommen. Der Beklagte habe die Radsportregeln missachtet und den Unfall verschuldet. Wegen zu erwartender Dauerfolgen habe der Kläger ein Feststellungsinteresse.

Der Beklagte bestritt und brachte vor, es treffe ihn kein Verschulden, er habe keine Sportregeln übertreten. Durch die bevorstehende rechtwinkelige Linkskurve als Einfahrt in den Erich-Edegger-Steg sei es ihm vorgegeben gewesen, die Fahrlinie nach rechts zu verlagern, um diese scharfe Linkskurve gefahrlos bewältigen zu können. Durch die vorangegangenen Runden habe der Kläger damit rechnen müssen. Der Kläger werde die Voraussetzungen für das Feststellungsbegehren beweisen müssen.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 13.000 EUR sA (davon 8.500 EUR Schmerzengeld und 4.500 EUR für Sachschäden), wies das Leistungsmehrbegehren von 10.500 EUR (rechtskräftig) ab und sprach die Haftung des Beklagten für alle zukünftigen Schäden des Klägers aus dem Unfall aus.

Es traf folgende entscheidungswesentlichen Feststellungen:

Der in Nord-Süd-Richtung an der östlichen Murseite verlaufende Radweg, über den die Rennstrecke führte, ist 3 m breit und beidseitig durch Eisengeländer begrenzt. Die Geländer sind inklusive des Sockels 1,15 m hoch. Das horizontale Deckprofil ist durch vertikale Stäbe mit dem horizontalen Sockelprofil verbunden. Unter dem am östlichen Rand des Radwegs befindlichen Geländer ragt ein 7 cm hoher Asphaltsockel 20 cm in den Radweg hinein.

Zu Beginn der letzten Runde lag wie bereits seit mehreren Runden der Beklagte in Führung, der Kläger folgte im Windschatten. Der Abstand zwischen dem Hinterrad des Fahrrades des Beklagten und dem Vorderrad des Klägers betrug 20 bis 50 cm. Nachdem die Streitteile die Hauptbrücke passiert hatten, bogen sie auf den Radweg östlich der Mur ein. Sie fuhren mit einer Geschwindigkeit von 45 bis 55 km/h. Der Beklagte benützte eher den linken westlichen Rand des Radwegs. Beide Streitteile fuhren im Sitzen. Die Gerade, auf der sich letztlich der Sturz des Klägers ereignete, war die letzte Möglichkeit für den Zielsprint. Der Kläger versuchte, den Beklagten rechts zu überholen. Der Kläger begann mit seinem Überholmanöver; als er sich mit dem Beklagten schon fast auf gleicher Höhe befand, bemerkte der Beklagte den Kläger und begann, mit seinem Fahrrad nach rechts zu ziehen und dem Kläger den Weg zuzumachen, um dessen Überholvorgang zu verhindern. Der Beklagte berührte den Kläger, indem er den rechten Ellbogen zum Kläger auf Höhe dessen Ellbogens oder dessen Schulter hin bewegte. Durch diese Berührung erhielt der Kläger einen Impuls in Richtung Geländer. Dabei schliff er mit dem rechten Unterarm am Deckprofil des Eisengeländers entlang, der Lenker seines Rades und seine rechte Hand hakten in den vertikalen Geländerstäben ein. Durch die Verkeilung des Vorderrads wurde das Fahrrad stark und plötzlich verzögert, und der Kläger stürzte kopfüber über das Fahrrad auf den Asphalt des Radwegs.

Der Kläger bremste vor seinem Sturz nicht, trat aber auch nicht mehr in die Pedale. Auch der Beklagte wurde langsamer. Als der Beklagte die Lücke schloss und den Kläger berührte, hatte dieser keine Möglichkeit mehr zu bremsen. Hätte der Kläger den Lückenschluss noch vor der Berührung bemerkt, hätte er durch Abbremsen den Unfall verhindern können. Es kann nicht festgestellt werden, dass es dem Kläger möglich gewesen wäre, den Lückenschluss rechtzeitig zu bemerken.

Ursache für den Sturz war, dass der Beklagte sein Rad nach rechts gezogen und dadurch den Raum für den überholenden Kläger geschlossen hatte.

Der Kläger zog sich beim Unfall einen Speichenbruch rechts an typischer Stelle, einen basisnahen Bruch des fünften Mittelhandknochens rechts, einen Bruch des Speichenköpfchens links sowie Abschürfungen am rechten Unterarm, an der rechten Hand und an beiden Kniegelenken zu. Am 22. Jänner 2007 konnte eine Funktionseinschränkung an den verletzten Körperregionen nicht objektiviert werden, die kausalen Verletzungen sind ausgeheilt. Streckseitig in der Mitte des rechten Unterarms findet sich eine praktisch nicht mehr erkennbare minimal dunklere Hautfärbung von 4 cm im Durchmesser ohne lokale Druckschmerzhaftigkeit. Beugeseitig am rechten Unterarm zeigt sich, von der Beugefalte des Handgelenks ausgehend, eine 4,5 cm lange, ca 3 mm breite und etwas gerötete Narbe, die in Zukunft abblassen wird. An der rechten Handkante über dem fünften Mittelhandknochen ist eine weitere 4 cm lange, blande und strichförmige, kaum sichtbare Narbe.

Bis auf diese Narbenbildungen sind keine zusätzlichen Dauerfolgen nachweisbar. Kausale Spätfolgen sind medizinischerseits auszuschließen.

In entspannter Handhaltung besteht ein diskretes Abstehen des fünften Fingers rechts, der Mittelhandknochen ist jedoch balbatorisch unauffällig, ohne Druckschmerz, in korrekter und seitengleicher Länge und Drehstellung. Die Beweglichkeit der Gelenke des fünften Fingers rechts ist seitengleich im physiologischen Ausmaß gegeben, der Faustschluss erfolgt vollständig und kräftig.

Insgesamt ergeben sich, komprimiert auf den 24 Stundentag, unfallkausal erlittene starke Schmerzen von drei Tagen, mittelstarke Schmerzen von neun Tagen und leichte Schmerzen von 40 Tagen. Die Streitteile waren beim Rennen dem Reglement des Österreichischen Radsportverbands (ÖRV) unterworfen, das auszugsweise lautet:

„12.1.116 Jeder Teilnehmer muss sich so verhalten, dass ein Schnellerer ihn jederzeit ohne Behinderung überholen kann.

....

Strafenkatalog

....

12.1.125 Behinderung des Gegners beim Zielsprint, Unsportlichkeit gegenüber anderen Teilnehmern, Abkürzen der Rennstrecke, Ersetzen eines anderen Fahrers, Loslassen des Lenkers mit beiden Händen bei einem Massen-Zielsprint:

Vergehen leicht: Rückreihung

Vergehen schwer: Disqualifikation."

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Beklagte habe rechtswidrig gegen die gebotene Sorgfalt verstoßen, woraus der Sturz des Klägers unmittelbar resultiert sei. Die zitierten Regeln des Reglements des ÖRV bezweckten, den Überholenden gegen eine Behinderung durch den Überholten zu schützen und das insbesondere bei einem Wettkampf gegebene Verletzungsrisiko zu begrenzen. Jedenfalls gegen die letztgenannte Regel habe der Beklagte verstoßen. Für die erlittenen Schmerzen sei ein Betrag von 8.500 EUR, für den Sachschaden von 4.500 EUR angemessen. Das Feststellungsinteresse sei zu bejahen, weil Dauerfolgen und Spätfolgen zwar nicht zu erwarten, aber auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen seien. Das Berufungsgericht gab der nur vom Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Urteils des Erstgerichts erhobenen Berufung nicht Folge. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus:

Gefährdungen oder Verletzungen der Beteiligten bei der Ausübung eines Kampfsports seien geradezu typisch und würden daher wegen ihrer mit der Natur dieses Sports verbundenen Regelmäßigkeit in Kauf genommen. Im Hinblick auf den der Sportentfaltung von der menschlichen Gemeinschaft beigemessenen hohen Wert werde nämlich das mit der Sportausübung notwendigerweise verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen gebilligt (RIS-Justiz RS0023400). Handlungen und Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, aus welcher Gefährdungen oder Verletzungen anderer Teilnehmer resultierten, seien nicht rechtswidrig, sofern das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko nicht vergrößert werde. Die allgemeinen Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen, wie sie sonst bei Gefährdung der körperlichen Unversehrheit und bei Körperverletzungen von Menschen gefordert würden, seien daher für den sportlichen Bereich reduziert (RIS-Justiz RS0023039). Bei einer „parallelen Sportausübung" wie dem Radsport beruhe die Gefährdung der Teilnehmer darauf, dass sie gleichzeitig auf beschränktem Raum eine bestimmte Sportart ausübten. Dabei seien die Teilnehmer zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet, sie hätten die gebotene Sorgfalt anzuwenden und müssten insbesondere die spezifischen Sportgefahren unter Kontrolle halten. Beim Sport nebeneinander dürfe kein Teilnehmer gefährdet oder geschädigt oder mehr als vermeidbar behindert werden. Der Konsens der Teilnehmer habe Einfluss auf die untereinander gebotene Sorgfalt. Sie könnten insoweit untereinander gewisse Verhaltenskriterien verändern, zB beim Radsporttraining die Abstandsregeln untereinander außer Kraft setzen (2 Ob 338/98i zu einer Trainings- bzw Vergnügungsfahrt mehrerer Mitglieder eines Radclubs).

Im vorliegenden Fall liege aber keine parallele Sportausübung, sondern eine Wettkampfsituation vor, die als haftungserleichternd zu werten sei. Der wechselseitigen Rücksichtnahme komme dabei ein geringerer Stellenwert zu als bei gemeinsamer Sportausübung (2 Ob 338/98i; RIS-Justiz RS0111575). Dennoch berechtige die Teilnahme an einem Rennen nicht dazu, bestehende Vorschriften zu übertreten oder die den Teilnehmern nach allgemeinen Grundsätzen obliegende Pflicht zur Vorsicht und Aufmerksamkeit außer Acht zu lassen (SZ 10/74). Zwischen den Teilnehmern an einer Wettkampfveranstaltung bestehe in der Regel ein Vertragsverhältnis insofern, als sie sich (zumindest gegenüber dem Veranstalter, jedoch auch zugunsten der jeweiligen anderen Teilnehmer) den Reglements des Wettkampfs unterworfen hätten. Die Pflichten der Teilnehmer richteten sich daher nach dem Vertragsinhalt, wobei insbesondere die für den Wettkampf bestehenden Regeln von besonderer Bedeutung seien. Mit der Teilnahme am Prolog zur Austria Radtrophy 2005 hätten sich die Streitteile dem Reglement des ÖRV unterworfen.

Nicht jede Regelwidrigkeit sei auch rechtswidrig. Bei Regelverletzungen sei vielmehr auf die Bedeutung der konkreten missachteten Regel für die Verletzungsprävention abzustellen (Höllwerth, JBl 2006, 568). Wer an einem Kampfsport teilnehme, setze sich damit den ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahren, die die Ausübung dieses Sports mit sich brächten, aus. Ein solches die Rechtswidrigkeit des Gefährdenden ausschließendes echtes Handeln auf eigene Gefahr werde allerdings nur dann anzunehmen sein, wenn eine Interessenabwägung ergeben sollte, dass dadurch die Sorgfaltspflichten des Gefährdenden aufgehoben würden. Dies werde in der Regel bei einem üblichen leichten Verstoß des Gefährdenden gegen objektive Sorgfaltspflichten zutreffen. Bei einem Kampfsport sei daher davon auszugehen, dass Verletzungen eines Kontrahenten dann nicht rechtswidrig seien, wenn sie sich aus typischen, beim Sport unvermeidlichen Verstößen gegen Spielregeln ergäben. Verhaltensweisen, die außerhalb der Sportausübung ein leichter Verstoß gegen die objektive Sorgfaltspflicht wären, seien im Kampf- und Gemeinschaftssport hingegen in der Regel nicht rechtswidrig (7 Ob 656/81 = SZ 54/133).

Vorsätzliche oder sorgfaltswidrige Verstöße gegen Regeln, die erhebliche Körperverletzungen verhindern sollten, stellten zumindest auch Sorgfaltswidrigkeiten im Sinne des ABGB dar. Besonders gefahrenträchtiges (unsportliches) Verhalten sei jedenfalls rechtswidrig.

Im vorliegenden Fall seien die Punkte 12.1.116 und 12.1.125 des Reglements des ÖRV zu prüfen.

Gemäß Punkt 12.1.116 müsse sich jeder Teilnehmer so verhalten, dass ein Schnellerer ihn jederzeit ohne Behinderung überholen könne. Zweck dieser Bestimmung könne nur sein, eine durch deutlich langsamere Fahrer hervorgerufene negative Beeinflussung des Rennergebnisses zu verhindern. Der Wortlaut „jederzeit ohne Behinderung" lasse auf einen deutlichen Geschwindigkeitsunterschied schließen. Hier sei es jedoch um die Entscheidung des Rennens zwischen dem Erst- und dem Zweitpositionierten gegangen. Innerhalb dieses Positionskampfes sei eine Subsumtion des Beklagten unter den Begriff des langsameren Fahrers nicht denkbar. Es sei das Wesen eines jeden Rennsports, die voranliegende Position zu verteidigen. Der Kläger habe bis zum hier zu beurteilenden Vorfall keinen Angriff zur Erlangung der Führungsposition gesetzt, sondern im Windschatten nahezu das gesamte Rennen bestritten. Die Verteidigung der Führungsposition bis zum Zielsprint sei dem Beklagten auf der Grundlage dieser Reglementbestimmung nicht vorwerfbar. Eine gegenteilige Auslegung liefe dem Wesen des Radrennsports zuwider.

Gemäß Punkt 12.1.125 sei die Behinderung des Gegners beim Zielsprint untersagt. Die Bestimmung bezwecke (auch), das gegebene Verletzungsrisko zu begrenzen. Im vorliegenden Fall sei der Unfallbereich als Bereich des Zielsprints zu werten, weil hier die letzte Möglichkeit vor dem Ziel gegeben gewesen sei, den Gegner zu überholen. Der Beklagte habe gegen diese Regel verstoßen, was ihm auch anzulasten sei. Um sich regelkonform zu verhalten, hätte er das Nach-Rechts-Ziehen nach Erkennen des vom Kläger eingeleiteten Überholmanövers und auch die erfolgte Berührung unterlassen müssen. Lediglich durch nochmalige Beschleunigung wäre der Angriff des Klägers regelkonform abzuwehren gewesen.

Zu prüfen sei, ob dieser Regelverstoß das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößert habe und somit rechtswidrig sei.

Angesichts des konkreten Unfallsorts und der eingehaltenen Geschwindigkeit sei es bei einem Kontakt nahezu unumgänglich, dass sich Fahrer oder Fahrrad im Geländer verkeilten. Der „Prolog" habe den Auftakt eines Etappenrennens dargestellt und dazu gedient, das Fahrerfeld den Zuschauern vorzustellen und dem Sieger das „Führungstrikot" zu vergeben. Die Risikobereitschaft der Fahrer sei nach diesen Kriterien als hoch zu bewerten.

Ein vom Typ der Sportart und vom Grundkonsens der Beteiligten gedeckter kämpferischer Einsatz sei hingenommen (1 Ob 606/87: Eishockey). Ein kämpferischer Einsatz beim Zielsprint eines Radrennens entspreche durchaus diesem Grundkonsens, diene dieser doch gerade dazu, eine Entscheidung in den letzten Sekunden des Rennens herbeizuführen. Es könne vom Führenden in dieser Situation nicht verlangt werden, dass er sich ohne jede Gegenwehr, passiv verharrend, auf den letzten Metern vor dem Ziel vom bislang Zweitplatzierten überholen lasse. Auch dass die Reglementbestimmungen eine Behinderung beim Zielsprint unter Strafe stellten, könne durchaus ein Indiz für einen sporttypischen und in der Natur des Sports gelegenen Regelverstoß sein.

Die Art, in der der Beklagte den Kläger beim Zielsprint behindert habe, gehe jedoch über den erlaubten kämpferischen Einsatz zur Verteidigung der Führungsposition deutlich hinaus. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass dem Beklagten bloß eine Fehleinschätzung der Situation unterlaufen sei (wie beispielsweise dem beklagten jugendlichen Hobby-Eishockyspieler in 1 Ob 606/87). Selbst wenn man eine hohe Emotion und Konzentration in dieser kurzen Phase zubillige, habe dem Beklagten klar sein müssen, dass er mit seinem Verhalten dem Kläger den Weg auf diesem schmalen Kurs abschneide, ihn geradezu in das Geländer dränge und dass dieses den Teilnehmern von den vorangegangenen Runden bekannte, in keiner Weise abgesicherte Geländer aufgrund seiner Ausgestaltung für Lenker und Fahrrad höchst gefährlich sei.

Selbst wenn eine solche Verhaltensweise im Radrennsport üblich wäre - hiezu liegen keine Feststellungen vor -, sollte der Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr gegenüber vorsätzlichen Regelverletzungen nicht durchgreifen (MünchKomm-Mertens § 823 BGB Rz 347). Der Beklagte hafte daher für die Unfallfolgen, und zwar zur Gänze, weil ihm der Beweis für das eingewendete Mitverschulden des Klägers nicht gelungen sei.

Das mit 8.500 EUR bemessene Schmerzengeld bedürfe wegen der psychischen Alteration des Klägers keiner Korrektur durch das Berufungsgericht. Der Kläger als Profiradrennfahrer sei mitten in der Saison durch die Verletzungen aus dem Renngeschehen gerissen worden. Erst sieben Wochen nach dem Unfall habe er den Radsport wieder aufnehmen können. Naturgemäß habe er dann nicht unmittelbar an seinem Trainings- und Konditionszustand vor dem Unfall anschließen können. Das zugesprochene Schmerzengeld halte sich auch im Rahmen des zugesprochenen Betrags bei annähernd vergleichbaren Verletzungen (2 Ob 69/87).

Auch das Feststellungsinteresse sei gegeben. Nach den Feststellungen seien sonstige (über die Narben hinausgehende) Dauerfolgen (derzeit bloß) nicht nachweisbar, eine funktionelle Einschränkung der Beugefähigkeit des Handgelenks und der Seitenführung nach der Metallentfernung könne (derzeit bloß) nicht nachgewiesen werden, es ergebe sich (bloß) aus der Erfahrung, dass durch entsprechendes Muskelaufbautraining für die Zukunft keine Kraftminderung vorhanden sein werde.

Diese Formulierungen bedeuteten nichts anderes, als dass derzeit über die Narben und Hautveränderungen hinausgehende Dauerfolgen, insbesondere eine funktionelle Einschränkung der Beugefähigkeit des Handgelenks und der Seitenführung sowie eine Kraftminderung der rechten Hand bei entsprechendem Muskelaufbautraining nicht zu erwarten seien. Auch wenn der Kläger ein solches Training selbst durchführe, könne nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass ihm dadurch mögliche Unkosten für fachkundige Anleitung und Beobachtung entstünden. Nach der Rechtsprechung genüge dies für das Feststellungsinteresse.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu. Ob der konkrete Unfallhergang über einen immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgehe, hänge zwar von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Es existiere jedoch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in einem Haftungsprozess zweier aktiver Teilnehmer am Zielsprint eines Radrennens. Die zitierten Judikaturlinien bezögen sich auf die Ausübung von Sportarten wie Fußball, Eishockey, Tennis, Squash, teilweise als Hobby, teilweise im Wettkampf. Die Entscheidung 2 Ob 338/98i befasse sich mit einem Unfall von Hobbyradsportlern außerhalb eines Wettkampfs. Der am ehesten vergleichbare Sachverhalt eines Unfalls zweier Motorradlenker im Rahmen eines Rennens, bei dem der Beklagte nach links gezogen sei, ohne sich nach dem nachkommenden Kläger umzuschauen, und in der Folge mit ihm kollidiert sei (SZ 10/74), liege eine Entscheidung aus dem Jahr 1928 zugrunde. Wenngleich eine Befassung des Höchstgerichts mit jeder Sportart nicht nötig erscheine, gehe der vorliegende Sachverhalt in seiner Bedeutung doch über den Einzelfall hinaus: Der („parallele") Radsport sei ein Breitensport. Vermutlich deshalb werde den wettkampfmäßigen Radrennsport auch in der Öffentlichkeit eine relativ große Aufmerksamkeit zuteil. Der vorliegende Fall könnte nun Anlass bieten, die Grenzen zwischen (noch nicht rechtswidriger) kampfbedingter Härte und (rechtswidriger) „Unfairness" auszuloten. Das Berufungsgericht teile nämlich die Ansicht von Mertens in MünchKomm § 823 BGB Rz 347, dass die Rechtsordnung keinen Anlass habe, beklagenswerte Verwilderungen in einem Sport nur deshalb hinzunehmen, weil sie weitgehend an der Tagesordnung seien.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Mit seinem Ausspruch zur Zulässigkeit der Revision zeigt das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Wie das Berufungsgericht selbst zutreffend ausgeführt hat, hängt die Beurteilung, ob der konkrete Unfallhergang über einen immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgeht, von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RS0022443 [T6]). An dieser Einzelfallbezogenheit kann auch die Tatsache nichts ändern, dass nach den Ausführungen des Berufungsgerichts der „parallele" Radsport allenfalls ein Breitensport sein mag.

Auch der Beklagte zeigt in der Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf. Dass es keine Entscheidung des Höchstgerichts zu einem ähnlichen Sachverhalt gibt, kann nach ständiger Rechtsprechung für sich allein keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS-Justiz RS0102181). Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Verhalten des Beklagten sei rechtswidrig gewesen, ist angesichts der schon vom Berufungsgericht zitierten oberstgerichtlichen Judikatur durchaus vertretbar und jedenfalls keine vom Revisionsgericht aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Gegen diese Beurteilung des Verhaltens des Beklagten als insgesamt rechtswidrig kann die Revision nichts Stichhaltiges ins Treffen führen, zumal die Rechtsrüge großteils nicht gesetzmäßig ausgeführt ist, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht und im Übrigen über weite Strecken in Wahrheit die nicht revisible Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft.

Soweit der Revisionswerber die Höhe des zugesprochenen Schmerzengelds bekämpft und nur 6.700 EUR als angemessen erachtet, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung Ermessensentscheidungen im Einzelfall wie die Bemessung der Höhe des Schmerzengelds nur bei einer - hier nicht vorliegenden - eklatanten Fehlbemessung vom Obersten Gerichtshof überprüfbar sind (RIS-Justiz RS0042887; RS0021095 [T1, T12]; RS0044088 [T19]).

Schließlich macht die Revision geltend, es wäre „vertretbar", das Feststellungsbegehren abzuweisen. Zutreffend ist, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein Feststellungsinteresse zu verneinen ist, wenn Spätfolgen gänzlich oder wenigstens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sind (RIS-Justiz RS0038976 [T22]; vgl auch RS0039018 [T8]; RS0038971 [T5]).

Im vorliegenden Fall hat aber das Berufungsgericht ausgeführt, es könne nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass dem Kläger durch das von ihm als Folge des Unfalls durchzuführende Muskelaufbautraining mögliche Unkosten für fachkundige Anleitung und Beobachtung entstehen.

In diesem Sinn sind zwar „kausale Spätfolgen medizinischerseits", nicht aber - wie zuerkannt - „alle zukünftigen Schäden und Auslagen aus dem Unfall" - vor allem in finanzieller Hinsicht - auszuschließen. Somit erweist sich auch die Bejahung des Feststellungsinteresses durch das Berufungsgericht als vertretbar (vgl RIS-Justiz RS0038976; RS0039018 [T1] ua).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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