Spruch:
Es verletzen das Gesetz
1) das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006, GZ 2 U 318/06f-9, und das Urteil des Bezirksgerichts Landeck vom 27. Juli 2007, GZ 8 U 35/07y-6, jeweils in dem im XX. Hauptstück der StPO (aF) verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen;
2) das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006, GZ 2 U 318/06f-9, im § 267 StPO aF iVm § 447 StPO (aF).
Das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006, GZ 2 U 318/06f-9, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird im Umfang einer Tatbegehung auch am 3. November 2006 sowie im Strafausspruch einschließlich des Ausspruchs nach § 494a Abs 1 Z 3 StPO aufgehoben. Das Urteil des Bezirksgerichts Landeck vom 27. Juli 2007, GZ 8 U 35/07y-6, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird im Umfang einer Tatbegehung durch Cannabiskonsum seit dem 15. Lebensjahr bis 3. November 2006, demgemäß auch im Strafausspruch (nicht aber im Einziehungserkenntnis nach § 34 SMG) sowie im Ausspruch nach § 42 SMG (aF) einschließlich der Beschlüsse nach § 494a StPO aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Rene F***** wird von wider ihn erhobenen Anklage, er habe seit dem 15. Lebensjahr bis 3. November 2006 Suchtmittel, und zwar täglich Haschisch in Form von drei bis vier Joints, erworben und besessen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Die Strafsache AZ 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Strafbemessung auch zum einzubeziehenden Verfahren AZ 8 U 35/07y des Bezirksgerichts Landeck an das Bezirksgericht Silz verwiesen.
Text
Gründe:
Der am 16. März 1986 geborene Rene F***** wurde mit rechtskräftigem, gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 23. Juli 2004, GZ 1 U 38/04v-8, des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster, zweiter und sechster Fall) SMG (aF) schuldig erkannt, wobei gemäß § 13 Abs 1 JGG der Ausspruch der Strafe unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit vorbehalten wurde.
Mit dem erst nach Zurückziehung einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft am 22. Februar 2007 in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 12. September 2006 sah das Bezirksgericht Silz gemäß § 15 Abs 3 letzter Satz JGG von der Verhängung einer Strafe endgültig ab (GZ 1 U 38/04v-13 und -17 des Bezirksgerichts Silz). Im Verfahren Aktenzeichen 2 U 177/06w des Bezirksgerichts Silz legte der Bezirksanwalt Rene F***** den Erwerb und Besitz von Suchtgiften zur Last. Dazu holte das Bezirksgericht Silz eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 25 SMG (aF) sowie eine Stellungnahme der Gesundheitsbehörde nach § 35 Abs 3 SMG (aF) ein. Der Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft Imst teilte nach Untersuchung des Angeklagten mit, dass eine gesundheitsbezogene Maßnahme bei Rene F***** aussichtslos sei, weil dieser eine Behandlung ablehne und auf einer Fortsetzung seines Suchtverhaltens beharre (S 41 in ON 6 in 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz). Dieser Akt wurde in das Verfahren 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz gemäß § 56 StPO (aF) einbezogenen und zugleich der eingebrachte Strafantrag gemäß § 227 Abs 2 StPO (aF) gegen einen neuen Strafantrag vom 5. September 2006 ausgetauscht, in dem Rene F***** weitere, auch nach dieser amtsärztlichen Untersuchung begangene Suchtgiftmissbräuche zur Last gelegt wurden, weil er „zwischen ca Anfang 2004" Suchtgifte erworben und besessen habe (GZ 2 U 318/06f-7 des Bezirksgerichts Silz). Zugleich stellte die Staatsanwaltschaft mit Bezug auf das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 23. Juli 2004, GZ 1 U 38/04v-8, den Antrag auf nachträgliche Straffestsetzung gemäß § 15 JGG iVm § 494a Abs 1 Z 3 StPO.
In der Hauptverhandlung vom 3. November 2006 dehnte der Anklagevertreter den Strafantrag auf „Konsum + Erwerb bis gestern" aus (S 70 in 2 U 318/06f-7 des Bezirksgerichts Silz; vgl auch S 73:
Anklageausdehnung bis 2. November 2006).
Mit rechtskräftigem, gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006, GZ 2 U 318/06f-9, wurde Rene F***** des „ab Anfang 2004 bis 3. November 2006" begangenen Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) SMG (aF) unter gleichzeitiger Straffestsetzung gemäß § 15 JGG iVm § 494a Abs 1 Z 3 StPO zum eingangs erwähnten Urteil desselben Gerichts vom 23. Juli 2004 zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.
Obwohl der Vorakt Aktenzeichen 1 U 38/04v des Bezirksgerichts Silz dem Akt 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz angeschlossen war (Antrags- und Verfügungsbogen zu 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz, Verfügung vom 3. Oktober 2006), übersah der Bezirksrichter bei der Urteilsverkündung den zum Aktenzeichen 1 U 38/04v des Bezirksgerichts Silz bereits am 12. September 2006 ergangenen Beschluss auf endgültiges Absehen von der Verhängung einer Strafe (dortiger Antrags- und Verfügungsbogen, Amtsvermerk vom 21. November 2006).
Das Bezirksgericht Landeck wiederum verhängte mit rechtskräftigem, gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 25. Juli 2007, GZ 8 U 35/07y-6, über Rene F***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster, zweiter und sechster Fall) SMG aF eine (unbedingte) Geldstrafe und fasste den Beschluss auf Widerruf der zum Aktenzeichen 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz gewährten bedingten Strafnachsicht sowie auf Absehen des Widerrufs der zum Aktenzeichen 2 U 96/06h des Bezirksgerichts Silz ausgesprochenen bedingten Nachsicht der Strafe bei gleichzeitiger Verlängerung dieser Probezeit auf fünf Jahre.
Nach dem strafantragskonform ergangenen Schuldspruch des Bezirksgerichts Landeck hatte der Angeklagte - neben anderen Tathandlungen - „seit dem 15. Lebensjahr Suchtmittel, derzeit täglich in Form von 3 - 4 Joints," konsumiert (gemeint offenbar: erworben und besessen).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006 und des Bezirksgerichts Landeck vom 25. Juli 2007 verletzen - wie die Generalprokuratur zu Recht aufzeigt - mehrfach das Gesetz. Die im Verfahren zum Aktenzeichen 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz in der Hauptverhandlung vom 3. November 2006 vorgenommene Anklageausdehnung stellte auf den „Konsum + Erwerb bis gestern" ab und inkriminierte solcherart eine Suchtgiftdelinquenz bis 2. November 2006. Mit der diesem Schuldspruch zugrunde gelegten Tatzeit bis einschließlich des 3. November 2006 überschreitet das Urteil die Anklage und verletzt damit das Gesetz in den §§ 267, 447 StPO (aF). Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass angesichts der Weigerung des Angeklagten, sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen, das Bezirksgericht Silz im Verfahren 2 U 318/06f trotz der nach der amtsärztlichen Untersuchung zusätzlich vorgeworfenen, teils erst nach diesem Zeitpunkt begangenen Suchtmittelmissbräuchen nicht mehr verpflichtet war, gemäß § 37 SMG aF die Diversionsvoraussetzungen nach § 35 Abs 1 SMG (aF) nochmals zu prüfen, weil die bereits unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte fehlende Kooperationsbereitschaft des Angeklagten einer diversionellen Erledigung jedenfalls entgegenstand. Zum Zeitpunkt der vom Bezirksgericht Silz zum Aktenzeichen 1 U 38/04v vorgenommenen nachträglichen Straffestsetzung gemäß § 15 JGG iVm § 494a Abs 1 Z 3 StPO war im ursprünglichen Verfahren bereits endgültig von der Verhängung einer Strafe abgesehen worden. Es durfte daher weder das erkennende noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation dieses Beschlusses hierüber neuerlich absprechen. Dass im Zeitpunkt der nachträglichen Straffestsetzung der im Vorverfahren ergangene Beschluss über das endgültige Absehen von der Verhängung einer Strafe noch nicht in Rechtskraft erwachsen war, ändert nichts am Eintritt der Sperrwirkung dieses Beschlusses (vgl Jerabek in WK2 [2006] § 53 Rz 29).
Die Verurteilung Rene F*****s zum Aktenzeichen 8 U 35/07y des Bezirksgerichts Landeck wiederum verstößt gegen den Grundsatz ne bis in idem, weil dem damaligen Angeklagten der Konsum (gemeint offenkundig der Erwerb und Besitz) von Suchtmitteln (Joints) seit dem 15. Lebensjahr, demgemäß seit 16. März 2000, zur Last gelegt wurde. Da Rene F***** mit Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 23. Juli 2004 wegen des Erwerbs und Besitzes von Haschisch bzw Cannabisprodukten zwischen Frühjahr 2001 und Ende Dezember 2003 bereits schuldig erkannt worden war (1 U 38/04v-8 des Bezirksgerichts Silz) und die Staatsanwaltschaft Innsbruck mit Erklärung vom 5. September 2006 zu Rene F***** hinsichtlich des Erwerbs und Besitzes von Cannabis „vor dem Jahr 2004" einen Verfolgungsverzicht gemäß § 90 Abs 1 StPO (aF) nach verantwortlicher gerichtlicher Abhörung Rene F*****s als Beschuldigter (§ 38 Abs 3 StPO aF) abgegeben hatte (Antrags- und Verfügungsbogen zu 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz), bestand insoweit ein von Amts wegen wahrzunehmendes, vom Bezirksgericht Landeck missachtetes Verfolgungshindernis.
Diese Gesetzesverletzungen wirkten sich zum Nachteil des Verurteilten aus.
Demgemäß sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 3. November 2006, GZ 2 U 318/06f-9, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Umfang einer Tatbegehung auch am 3. November 2006 sowie im Strafausspruch einschließlich des Ausspruchs nach § 494a Abs 1 Z 3 StPO aufzuheben.
Das Urteil des Bezirksgerichts Landeck vom 27. Juli 2007, GZ 8 U 35/07y-6, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war im Umfang einer Tatbegehung durch Cannabiskonsum seit dem 15. Lebensjahr bis 3. November 2006, demgemäß auch im Strafausspruch (nicht aber im Einziehungserkenntnis nach § 34 SMG) sowie im Ausspruch nach § 42 SMG (aF) einschließlich der Beschlüsse nach § 494a StPO aufzuheben, in der Sache selbst zu Recht zu erkennen und Rene F***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe seit dem 15. Lebensjahr bis 3. November 2006 Suchtmittel, und zwar täglich Haschisch in Form von drei bis vier Joints, erworben und besessen und er habe hiedurch das Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.
Das Verfahren zum Aktenzeichen 2 U 318/06f war zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Strafbemessung an das Bezirksgericht Silz zu verweisen.
Der angeschlossene Akt Aktenzeichen 8 U 35/07y des Bezirksgerichts Landeck wird gemäß § 37 Abs 1, Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 StPO in das Verfahren AZ 2 U 318/06f des Bezirksgerichts Silz einzubeziehen sein. Demgemäß wäre das Bezirksgericht Landeck sowie die Strafregisterbehörde (zwecks Löschung der das Verfahren AZ 8 U 35/07y des Bezirksgerichts Landeck betreffenden Eintragung) zu verständigen. Im Hinblick auf die verbleibenden Schuldsprüche des Bezirksgerichts Silz wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (aF) und die verbleibenden Schuldsprüche des Bezirksgerichts Landeck wegen der Vergehen § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMF (aF) wird dann unter Anwendung des § 28 StGB nach § 27 Abs 1 SMG aF (unter Beachtung des Verbots der reformatio in peius) fallbezogen ein einziger Strafausspruch zu fällen sein. Dabei wäre auch über den Antrag der Staatsanwaltschaft nach §§ 15 Abs 1, 16 Abs 1 JGG auf nachträgliche Festsetzung einer Strafe zum Schuldspruch des Bezirksgerichts Silz vom 23. Juli 2004, GZ 1 U 38/04v-8, abzusprechen (vgl in diesem Zusammenhang ON 13 iVm ON 18 in 1 U 38/04v des Bezirksgerichts Silz).
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