OGH 6Ob244/07m

OGH6Ob244/07m7.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Luigi Michele S*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 12, 13, 23, *****, über den Revisionsrekurs des Vaters Mario S*****, Italien, vertreten durch Mag. Sylvia Weiländer, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Mai 2007, GZ 48 R 94/07i-U68, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 19. Jänner 2007, GZ 2 P 234/03t-U62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Der mj Luigi Michele S***** wurde am ***** 1995 geboren und ist das eheliche Kind des Mario und der Daniela S*****, deren Ehe mit Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 17. 2. 2006 aus dem gleichteiligen Verschulden geschieden wurde. Luigi Michele befindet sich in Pflege und Erziehung der Mutter, der auch die Obsorge zukommt. Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Meidling vom 16. 1. 2006 seit 1. 7. 2005 zu monatlichen Unterhaltsleistungen in Höhe von 400 EUR verpflichtet; dieser Verpflichtung lag ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 2.000 EUR als Kellner zugrunde. Die Unterhaltsleistungen werden seit 1. 2. 2006 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG bevorschusst.

Der Vater beantragt die Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung ab 17. 1. 2006 (in eventu: Festsetzung einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 10 EUR). Die Mutter habe ihm dadurch, dass sie durch „ungerechtfertigte Anschuldigungen" ein Betretungsverbot gegen ihn erwirkt habe, „ein weiteres Leben in Österreich verunmöglicht". Daher sei er nach Italien zurückgekehrt. Er habe in Österreich keine Arbeit mehr gefunden. Er verfüge allerdings auch in Italien weder über Einkommen noch Vermögen, sondern werde von den Geschwistern „mit den lebensnotwendigsten Dingen versorgt". Er sei aufgrund seines hohen Alters (geboren 1946) und seiner schlechten Ausbildung „faktisch unvermittelbar". Er habe weder in Österreich noch in Italien Pensions- oder Rentenansprüche, jedoch aufgrund eines schweren Unfalls während seiner Tätigkeit in Österreich „fortbestehende Rückenprobleme"; auch aufgrund seiner „angeschlagenen Gesundheit" sei es ihm daher nicht möglich, einer Beschäftigung nachzugehen, bei der er ein Einkommen erzielen könnte. Zum Beweis für sein Vorbringen berief sich der Vater neben mehreren (italienischen) Zeugen auf seine Einvernahme und auf die Einholung eines berufskundlichen und eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens. Im Übrigen habe er für Luigi Michele in Österreich „erhebliches Vermögen" bei dessen Mutter belassen. Der Minderjährige sprach sich sowohl gegen die Enthebung als auch die Unterhaltsherabsetzung aus. Der Vater verfüge zwar über keine Ausbildung, seine Geschwister seien jedoch sehr wohlhabend und im Auto- und Immobilienhandel tätig; dort arbeite der Vater sicherlich mit. Richtig sei, dass er einmal einen Bandscheibenvorfall erlitten habe, „Beweise einer gesundheitlichen Erwerbsunfähigkeit" lägen jedoch nicht vor.

Das Erstgericht setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 17. 1. 2006 auf 220 EUR herab und wies das Mehrbegehren ab. Der Vater sei bis 30. 9. 2003 als Arbeiter bei verschiedensten Unternehmen tätig gewesen, danach habe er etwa ein halbes Jahr lang Arbeitslosengeld bezogen und sei im September 2004 selbstständig erwerbstätig gewesen. Seit diesem Zeitpunkt sei er in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit mehr nachgegangen. Er lebe nunmehr in Italien und werde von seiner Familie unterstützt. Er habe keine weiteren Sorgepflichten. Da der Vater zwar eine gesundheitliche Einschränkung behauptet, Beweise dafür jedoch nicht vorgelegt habe, sei er als arbeitsfähig anzusehen und als Kellner auf ein - sowohl in Österreich als auch in Italien - erzielbares Einkommen von monatlich 1.100 EUR anzuspannen. Luigi Michele, der vermögenslos sei, habe Anspruch auf 20 % dieser Bemessungsgrundlage. Das Rekursgericht bestätigte über Rekurs des Vaters die eingeschränkte Herabsetzung und sprach zunächst aus, der Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Über Zulassungsvorstellung des Vaters änderte es jedoch in weiterer Folge diesen Ausspruch dahin ab, dass „die ordentliche Revision" (richtig: der ordentliche Revisionsrekurs) zugelassen werde; es sei nicht auszuschließen, dass der Vater dadurch in seinem Recht auf ein fair trial verletzt worden ist, dass weder das Erst- noch das Rekursgericht ihn zur Vorlage von Urkunden über seine Arbeitsunfähigkeit aufgefordert haben. In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, der Vater habe seine Arbeitsunfähigkeit nicht bewiesen; er habe nicht einmal wenigstens solche Belege vorgelegt, die es ratsam erscheinen ließen, einen Sachverständigen beizuziehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig; er ist auch berechtigt. Der Vater war zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 400 EUR verpflichtet und strebte seine gänzliche Enthebung von dieser Verpflichtung an. Er berief sich auf mangelnde Erwerbsmöglichkeiten sowohl in Österreich als auch in Italien einerseits aufgrund seines hohen Alters und seiner mangelnden Ausbildung (die im Übrigen sogar vom Minderjährigen zugestanden wurde) und andererseits aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Rückenbereich. Er bot dazu sowohl Zeugen- als auch Sachverständigenbeweise und seine eigene Einvernahme an.

In seinem Rekurs gegen die seinem Antrag nur teilweise stattgebende Entscheidung des Erstgerichts rügte der Vater ausdrücklich die Nichteinholung des berufskundlichen und des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens als Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens. Das Rekursgericht hielt dem entgegen, er wäre dafür beweispflichtig gewesen, „dass er gesundheitlich nicht einmal im Stande ist, ein derartig niedriges Einkommen [die vom Erstgericht angenommenen 1.100 EUR monatlich als Kellner] zu erzielen; er habe „aber keine gesetzlichen Bestätigungen vorgelegt, was bei einer schweren Beeinträchtigung, die ihm die Arbeitsfähigkeit raubt, ohne Schwierigkeiten möglich wäre".

Diese Argumentation ist verfehlt: Der Vater hat konkrete Behauptungen aufgestellt, weshalb er nicht angespannt werden kann (hohes Alter, mangelnde Ausbildung, gesundheitliche Beeinträchtigung), und er hat dazu auch konkrete Beweisanbote gemacht. Dass er diesen Beweis nur mittels von ihm vorgelegter „Bestätigungen" (von wem?) erbringen könnte, lässt sich dem Außerstreitgesetz nicht entnehmen. Sollten die Vorinstanzen tatsächlich von Schutzbehauptungen ausgegangen sein, wäre es ihnen jedenfalls oblegen, vor Abweisung seines Mehrbegehrens den Vater zur Vorlage derartiger Bestätigungen aufzufordern. Richtigerweise hätte das Erstgericht aber ohnehin eine Einvernahme des Vaters durchführen und - zunächst einmal - einen medizinischen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen müssen. Erst wenn der Vater einer derartigen Vorladung (des Gerichts und/oder des Sachverständigen) nicht nachgekommen wäre, hätte mit einer (teilweisen) Antragsabweisung vorgegangen werden können. Diese Versäumnisse wird das Erstgericht nunmehr nachzuholen haben, wobei es zweckmäßigerweise zunächst mit der rechtsfreundlichen Vertreterin des Vaters abklären könnte, ob allenfalls eine Zureise des Vaters nach Österreich zu seiner Einvernahme und einer Befundaufnahme durch einen Sachverständigen möglich ist; wenn nicht, werden Einvernahme und Begutachtung im Rechtshilfeweg in Italien durchzuführen sein.

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